Armin König

Marta Minujín: Ein weiblicher Robin Hood der Kunstszene setzt mit einem Bücher-Tempel Maßstäbe in Kassel

Der Name Marta Minujín bürgt für Star-Appeal. Die Argentinierin, 1943 geboren, gehört zu den globalen Top-Konzeptkünstlerinnen und wird als »argentinischer Warhol« (Thieme 2012) mit einem Hang zu »parodistischer Selbstdarstellung« (Thieme 2012) apostrophiert.
Sie hat die stylische Paradiesvogel-Atmosphäre von Beginn an gepflegt. Das hat ihr künstlerisch wie medienkommunikativ nicht geschadet – im Gegenteil.
Sie, die auf vielen künstlerischen Feldern bewandert ist, gilt in ihrer Heimat als Medienstar mit gesellschaftlicher Wirkung. Nur mit den Honoraren ist es nicht so weit her wie bei Andy Warhol – und das hängt nicht nur damit zusammen, dass Warhol ein Mann und sie eine Frau im männerdominierten Kunstbetrieb ist. So erklärte sie nach der Auszeichnung mit dem renommierten und mit 100.000 Euro dotierten Velázquez-Kunstpreises durch Spanien, sie habe sich »sehr gefreut , dass endlich die künstlerische Rebellion mit diesem Preise geehrt« (Meyer 2017, 28) werde, um anzufügen: »Über die 100.000 Euro Preisgeld freue sie sich auch. ›Denn mit meiner vergänglichen Kunst mache ich kaum Geld.‹« (Meyer 2017)
Marta Minujín ist also kein Pendant zu Andy Warhol, so sehr sie sich auf Selbstvermarktung versteht und obwohl sie schon mit ihm performt hat (»Bezahlung der argentinischen Auslandsschulden mit Mais, dem Gold Südamerikas, 1985/2011). Ihre Internationalität hat sie schon früh mit unterschiedlichsten Stilen und Varianten moderner Kunst in Verbindung gebracht.
Victoria Eglau beschreibt eine Szene aus 2008, als Minujín in ihrem Atelier eine Parfum-Performance inszeniert:
»Hallo, ich bin Marta Minujín, Künstlerin seit meiner Geburt. Habe die Kunstakademie abgebrochen, bin um die ganze Welt gereist und habe immer von der Kunst gelebt.« (Eglau 2008)
Die Aktion ist nicht politisch, sondern einfach nur witzig.
»Es ist ausnahmsweise keine Demonstration, die an diesem Nachmittag in Buenos Aires stattfindet, sondern eins von Marta Minujíns Happenings. Die Künstlerin hatte angekündigt, sie wolle die Straße parfümieren. Jetzt läuft Marta vor der Ausstellungshalle hin und her, umgeben von jungen Leuten, die mit ihren weißen Schutzanzügen und Kanistern auf dem Rücken aussehen, als würden sie Gift verspritzen. Tatsächlich handelt es sich um ein Markenparfum.
»Operation Parfum, schließ’ die Augen«, rufen Marta Minujín und ihre kleine Prozession, zu der auch Klarinetten- und Oboenspieler gehören. Dann skandieren sie: »Kunst, Kunst, Kunst – lebe die Kunst.« (Eglau 2008)
Wenn alles Kunst ist, kann Frau bedenkenlos Grenzen überschreiten, auch die von Kunst zu Kommerz und Kitsch. Alles ist möglich, alles ist erlaubt. Das können auch sinnenfrohe, süße Installationen sein wie der «Obelisco del pan dulce», der Obelisk aus süßem Hefeteigkuchen aus dem Jahr 1979.
Sie macht – wie Warhol – Kunst für ein Massenpublikum, damit wird sie angreifbar. Dass Publizisten Kritik an Werk und Person ihrerseits gern mit äußerlicher Schicki-Micki-Attitüde verknüpfen (Die Diva mit der platinblonden Perücke), stört sie allerdings nicht. Sie pflegt den Kult um ihre Person ja selbst, wenngleich sie sich nicht als «Diva» sieht (Meyer 2017)
Victoria Eglau zitiert ihre extroveretierte Selbstauskunft mit Begeisterung:
«Ich war eine rebellische Künstlerin, hatte in Buenos Aires alle meine Bilder verbrannt und in Paris angefangen, mit Matratzen und Kartons zu arbeiten, die ich auf der Straße fand. Damals, in den Sechzigern, gab es weltweit eine Explosion von Künstlern, die Happenings machten. Ich war eine der Pionierinnen, denn schon 1963 zerstörte ich in Paris meine Kunst und dieser Akt der Zerstörung war auch wieder ein Kunst-Event.» (Eglau 2008)
An dieser Grundeinstellung hat sich bis heute nichts geändert. Sie ist und bleibt eine Rebellin, die in unkonventionellen Events Erfüllung findet und dabei auch ihr Ego streichelt.
Andererseits kann es in einem nach Aufmerksamkeit und großen Namen gierenden Kunst- und Kultur- und Medienbetrieb sehr hilfreich sein, wenn eine »Dalí Südamerikas«, eine weiblich »Robin(a) Hood« mit politischen Ansagen und Installationen Akzente setzt.
Es geht dabei gerade nicht um die verquaste Weltverbesserer-und-Selbstverleugnungs-Attitüde des Kurators Adam Szymczyk (Rauterberg 2017), sondern um konkrete Fragen, die sich 2017 in bemerkenswerter Form politisch neu stellen: Zensur, Autokratisierung, Unterdrückung kritischer Schriften, Diffamierung von Kunst, Kultur und Journalismus und um Fragen der Gleichschaltung.
Rauterberg, der die #Documenta14 »krachend gescheitert« sieht, macht es sich zu einfach, wenn er Minujíns Parthenon in Buenos Aires 1983 nach dem Ende der Militärdiktatur gerade noch gelten lässt, über den Kasseler Tempel der verbotenen Bücher aber ein ebenso krachendes Verdikt ausspricht, das aber angesichts von Trump, Erdogan, Orban und anderen Herrschern durchaus ungerecht erscheint.
Er sieht Kassel als falschen Ausstellungsort für das Bücher-Denkmal:
»Warum aber einen Bücher-Parthenon für Kassel? Weil die Documenta 14 ein starkes Faible für alles hat, was nicht mehr ist: für Werke und Aktionen, die vom Geist des Widerstands erzählen, der einst die Welt zu durchwehen schien, gerade in den sechziger und siebziger Jahren. Es ist eine Ausstellung voller Dokumente und Reliquien, die meist ein wenig knittrig ausschauen und deren Patina bestens zur Retroseligkeit der Gegenwart passt. Irgendwann, irgendwie war früher alles besser, das ist die Grundstimmung dieser Nostalmenta.
Damit einher geht eine Vorliebe für ewig wahre Botschaften. Gegen Diktatur zu sein, gegen Zensur, erst recht hier auf dem Friedrichsplatz, wo in der NS-Zeit unliebsame Bücher verbrannt wurden, das trifft auf das schwere Wohlwollen aller Kulturbürger, und so ist der Tempel zu Kassel nicht zuletzt der Selbstgefälligkeit geweiht.« (Rauterberg 2017).
Man hätte das vor zwei Jahren so sehen können. Es ist aber heute nur noch die halbe Wahrheit. Die Welt hat sich verändern, und damit haben sich auch die kontextuellen Rahmenbedingungen verändert. Und so wird das auf den ersten Blick dekorative Monument plötzlich wieder sperriger. Marta Minujín erläutert:
»Meistens denken die Menschen bei Zensur von Büchern und Gedanken an ein Problem aus der Vergangenheit. Aber vielerorts wird staatliche Zensur wieder zur Normalität. Schauen Sie in die Türkei. Oder in einige islamische Staaten. Und bei einem präsidenten wie Donald Trump würde es mich auch nicht wundern, wenn es bald in den USA wieder verstärkt zur Zensur gewisser Bücher oder kritischer Presse käme.« Minuijín in: Meyer 2017)
Nun hat sich Marta Minujín also, wie wir es dem d14-Daybook entnehmen, das oder den Parthenon als »ebenso ästhetischen wie politischen Archetypus der Demokratie anverwandelt« (Bal-Blanc 2017, Eintrag 17. Juni 2017) und für sich umgewandelt. Es geht um Dekonstruktion des Gewohnten, Brechung und Neugestaltung im Sinne einer verdinglichten Symbolisierung.
Bal-Blanc erklärt den Hintergrund hochtrabend konzeptionell:
»In ihrer auf große Teilnehmerzahlen angelegten Projekten entdeckt die Künstlerin den ursprünglichen Wert von kollektiven Schätzen nue und schmilzt geteiltes Kapital rückstandslos in kulturelle Währung um.« (Bal-Blanc 2017)
Dazu muss man wissen, dass das hellenische Parthenon »die riesige Goldstatue der Athene sowie den Schatz des Attischen Seebundes und die Silberreserven der Stadt« Athen beherbergte, nach mittelalterlicher Usurpation durch die christliche und islamische Religion in der Neuzeit dann aber »zu einem Symbol der Demokratie und der kulturellen Vormachtstellung des Westens« wurde (vgl. Bal-Blanc), was sich die Künstlerin nun zunutze machte.
Angeblich hat Minujíns Werk auch ein städtebaukritisches und denkmalkritisches Moment:
»Minujín unterminiert die Vertikalität von öffentlichen Bauwerken, die für usurpiertes kulturelles Wissen und ein von Engstirnigkeit gekennzeichnetes Vermächtnis stehen, und gibt das Kapital, das diese Mythen verkörpern, dem Verfall preis. Indem sie diese Symbole buchstäblich in eine Schieflage bringt, verlieht sie ihnen nicht nur neue Bedeutung, sondern auch eine neue Sinnlichkeit.« (Bal-Blanc 2017).
Womit er allerdings Buenos Aires im Blick hatte.
Fazit:
Marta Minujíns Parthenon der verbotenen Bücher ist gigantisch, spektakulär, dekorativ, plakativ. Es ist ein massenmedial taugliches Instrument der Selfie-Bespaßung der Besucher und eckt trotz seiner gigantischen Ausmaße nicht an. Trotzdem ist es verdienstvoll, weil es das Thema Zensur in einer Zeit der Nationalismen und der mutwilligen Demokratiezerstörung in Europa in den Fokus des Interesses rückt und damit Mitte 2017 hoch politisch Akzente setzt. Dafür nimmt man die Robin-Hood-Attitüde gern in Kauf.
Literatur:
Bal-Blanc, Pierre (2017): Marta Minujín. In: Documenta 14: Daybook. Athen, 8. April – Kassel, 17. September 2017. München, London, New York: Prestel. Eintrag 17. Juni. o.p.
Eglau, Viktoria (2008): Kunst zum Aufessen. Die argentinische Performance-Künstlerin Marta Minujín hat keine Angst vor dem Massenpublikum. Deutschlandfunk Kultur Online. http://www.deutschlandfunkkultur.de/kunst-zum-aufessen.1153.de.html?dram:article_id=181846
Meyer, Manuel (2017): Bitte anschnallen. GRiechische Oliven für Angela Merkel, ein Parthenon aus verbotenen Büchern vor dem Fridericianum. Die argentinische Pop-Art-Dova Marta Minujín versorgt die documenta-Besucher mit Emblemen zum MInehmen. In: art. Das Kunstmagazin. Ausg. Juni 2017, S. 20-29.
Rauterberg. Hanno (2017): Documenta: Im Tempel der Selbstgerechtigkeit. Warum die Documenta in Kasel krachend scheitert. Und Müsnter die bessere Kunst zeigt. Aus der ZEIT Nr. 25/2017. Zeit-Online: 13. Juni 2017: http://www.zeit.de/2017/25/documenta-kassel-kunst-kapitalismuskritik
Thieme, Maggie (2012): The Rise and Rise of Marta Minujín. taz-Blogs. http://blogs.taz.de/latinorama/2012/05/23/the-rise-and-rise-of-marta-minujin

Dr. Armin König, Juli 2017

Foto: Dr. Armin König