Tritt ein und sei überwältigt – so lautet der unausgesprochene Anspruch der Ausstellung „Kirchner, Lehmbruck, Nolde – Geschichte des Expressionismus in Mannheim“.
Was die Kurator:innen zusammengetragen und höchst attraktiv präsentieren, ist tatsächlich visuell äußerst beeindruckend. Und Geschichte wird dabei auch erzählt: über die einst höchst umstrittene Kunstrichtung Expressionismus, die in der Kunsthalle Mannheim früh gefördert wurde (schon ab etwa 1918), über die Kunsthändler und Galeristen in Mannheim, die Expressionisten kauften, die später enteignet und verfolgt wurden, über die Nazi-Verbrechen und ihre zersetzende, diffamierende und zerstörerische Schau „Entartete Kunst“, die vor allem den Expressionismus traf – aber auch über Anpassler, Lügner, Verräter wie Ernst Nolde und über Verlierer, der sowie über die Neuentdeckung der Verfemten und die Wiederauferstehung des Expressionismus nach dem Zweiten Weltkrieg.
Von „unbequemen Fragen“ und „kritischem Blick“ sprach SWR-Kritikerin Marie-Dominique Wetzel, von der „beschämenden Anbiederei Noldes an die Nazis in den Jahren gleich nach der Machtergreifung“ berichtete Kritiker Jens Frederiksen vom Darmstädter Echo. Aber ist das nicht ein bisschen wenig Kritik und Selbstkritik der Mannheimer – angesichts des mörderischen Furors der Nazis und angesichts eines verlogenen Anpassers und Nazi-Enthusiasten Emil Nolde?
Kann und darf man ihn, der 2019 endgültig als überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus entlarvt wurde, überhaupt so prominent ausstellen? Und dann auch noch mit rassistisch konnotierten „Südseemenschenbildern“?
Wie kann es sein, dass Nolde noch immer Blockbuster-Status hat?
Ja, es sind die Farben, die all den Dreck in seiner Biografie überstrahlen.
Aber wie kann es sein, dass sich Kunstkritiker noch immer blenden lassen? So schreibt Jens Frederiksen: „Gleich die fünf großformatigen Nolde-Gemälde am Beginn des Ausstellungsparcours stellen die unterschiedlichen Bild-Herkünfte sehr schön aus: Ein Blumenstück und zwei Landschaften sind Kompensationskäufe der Nachkriegszeit, eine Landschaft überstand die Beschlagnahmen von 1937 in Mannheim, und die Marschlandschaft mit dem gelben Sonnenuntergangshimmel von 1916 wurde von den Nazis geraubt und in die Schweiz verkauft – und kam jetzt vom Kunstmuseum Basel für die Dauer der Ausstellung nach Mannheim zurück.“
An Nolde sind noch ein paar weitere „Geschichten“ festgemacht – auch solche ohne die Kennung „Mannheim“. Die Bilder seiner Teilnahme an einer Expedition 1913 ins damalige Deutsch-Neuguinea dokumentieren einen Blick auf Eingeborene und ihre Kunst, der heute nicht mehr ganz so unbefangen daherkäme.“ (Frederiksen, Darmstädter Echo)
Wie bitte??!!
Welch unkritische, ja verfängliche Sätze: „Blick auf Eingeborene und ihre Kunst, der heute nicht mehr ganz so unbefangen daherkäme.“ Was Nolde abbildet, ist im Kern Rassismus – der Blick eines sich überlegenen weißen Superstars der Kunst.
Es wäre ungerecht, die Ausstellung auf Nolde zu verengen. Und die Kurator:innen haben sie mit erläuternden, kritischen Veranstaltungen ergänzt.
Zudem ist unbestritten, dass Mannheim große Verdienste um den Expressionismus und die verfolgten Künstlerinnen und Künstler hat. Aber Nolde wird prominent positioniert. Das darf gesagt werden. Ist man bei Nolde vorbeigewandert, kann man dann doch anders auf die Bilder und Grafiken schauen.
Der Ausstellungsrundgang lässt immer wieder aufs Neue staunen – über die insgesamt 50 Gemälde, 30 Skulpturen und 100 Grafiken. Die sind tatsächlich sensationell in ihrer Qualität und Zusammenstellung: Das ist eine Wucht.
Beispielhaft seien Franz Marcs Reitschule nach Ridinger, Jacoba van Heemskercks Mappe mit sechs Holzschnitten aus dem Jahr 1915, Oskar Kokoschkas Porträt Herwarth Waldens oder Max Pechsteins Rauchende genannt. Natürlich gehören auch Schmidt-Rottluffs biblische Holzschnitt-Illustrationen (Gang nach Emmaus, Petri Fischzug) und Marcs Tiger dazu. Besonders spektakulär aber ist das Altarbild-Triptychon von Josef Weisz (1894-1969) aus dem Jahr 1915. Das Frühwerk des Münchner Künstlers wurde 1918 von der Kunsthalle für die Ausstellung „Neue religiöse Kunst“ erworben. Der dreiteilige Aufbau in Gestalt eines Altarbildes erinnert an die großen mittelalterlichen Meister. Schriftzüge mit den plakativen Begriffen „Das Leiden“, „Gottes Wille“ und „Weltkrieg“ verstärken diesen fulminanten Eindruck. Die zentral positionierte Kanone ist ein Symbol für den Krieg. Gleichzeitig ist sie eingebettet in Motive wie die Pietà, die apokalyptischen Reiter und die Auferstehung. Mich hat dieser Teil der Ausstellung besonders beeindruckt. Und die Plastiken wirken tatsächlich wie eine Familienaufstellung, die erstaunlich viel über Zeit und Stil preisgibt.
Hochwertig sind auch die Präsentation und die erläuternden Texte.
Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Otto Mueller, der ja ebenfalls mittlerweile kritischer gesehen wird, die lange unterschätzte Gabriele Münter, dazu passend Alexej von Jawlensky, Erich Heckel, Max Pechstein, Wilhelm Lehmbruck, Georg Minne, Milly Steger – das ist nach der beeindruckenden Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ erneut ein großer Wurf der Mannheimer Kunsthalle.
Die Neue Sachlichkeit findet sich in einem eigenen Forum in verkleinerter Form wieder. Und wer Sascha Wiederhold noch nicht kennt, der sollte einen Blick auf sein großformatiges Bild Jazz-Symphonie werfen.
Fotos: (c) Armin König VG Bild Kunst 2025
August Macke („Afrikanische Landschaft“ 1914), Kokoschkas „Amsterdam, Kloveniersburgwal I,, 1925“, Blick auf Kirchner und den umstrittenen Emil Nolde, Rückseite eines Kirchner-Gemäldes.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation im Deutschen Kunstverlag.
Kurator*innen: Johan Holten, Luisa Heese, Dr. Ursula Drahoss�Kuratorische Assistenz: Dorotea Lorenz
Wer die Ausstellung sehen will, muss sich beeilen:
Nur noch bis zum 11. Januar 2026.
Text und Fotos: Dr. Armin König




