Armin König

Ahoi Ojo! Über Piraten, Digitalisierung, Leitmedien, Populisten und geschäftstüchtige Protagonisten

Ahoi Ojo! Burt Lancaster und Robert Siodmak hätten ihre große Freude am Piraten-Hype, den wir derzeit auf allen Kanälen erleben. Während aus vollem Rohr gegen die Etablierten geschossen wird, werden die Freibeuter in den siebten Himmel gehoben. Sie sind die Shooting-Stars der digitalen und analogen Medien-Bordkanonen und erleben einen irrwitzigen Hype, derweil der Medienindustrie den Himmel auf den Kopf fällt, wenn wir der alt ehrwürdigen New York Times glauben dürfen, die wir digital angegoogelt haben („In Piracy Debate, is the Sky Falling?“ und “The fundamental issue is whether or not the sky is falling and the entertainment industry is being decimated by technology,” said James Burger, a lawyer who specializes in intellectual property and entertainment content licensing.“)

Erstaunlich ist ja, dass ausgerechnet die Medien, die unter der Urheberrechtsfreibeuterey am meisten leiden, die Piraten in eben den Himmel heben, der ihnen (den Schöpfern) bald auf den Kopf fällt. Das verstehe, wer will. Als Autor bin ich jedenfalls auf der Seite von Sven Regener und co und lehne Urheberrechtspiraterie ab. Andererseits unterstütze ich die piratischen Forderungen nach Transparenz, Offenheit, breiter Diskussion und Bürgerbeteiligung. Auch die Forderung, dass Forschungen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden, auch im Forschungsumfeld kostenlos zugänglich gemacht werden, ist diskussionswürdig.

Aber alle Debatten nun zu offen zu diskutieren, öffnet auch bei den Piraten alle Windows für Fensterreden und alle Macs für verbale McHaudegen. Kein Thema kann mehr seriös in kleiner Runde vorbereitet werden. Vertraulichkeit ist durchaus keine Schande, sondern bei manchen Debatten zwingend notwendig, um zu Lösungen zu gelangen, die beim endlich erreichten Kompromiss dann sehr wohl öffentlich und breit partizipativ diskutiert werden können.

Derweil jubelt @herrlarbig den Piraten zu, weil sie den Leitmedienwechsel zur Digitalisierugn eingeleitet hätten.

Nun ja, Herr Larbig, wir Illinger sind keine Piraten. Im Rat sind Schwarze, Rote, ganz Rote, Grüne, Gelbe, und der Bürgermeister ist ein Schwarzer. Und diese ganz große bunte Koalition hat vor Jahren schon beschlossen, über einen Integrationsbetrieb mit Behinderten und nichtbehinderten Menschen Akten zu digitalisieren, weil es unsere Leitmedienvision für die Verwaltung ist. Leider ist das mit der Leitmedienänderung so eine Sache. Keiner will sie so recht, nur der Betrieb und der Chef und der Rat. Aber die anderen Kommunen wollen nicht zahlen für Digitalisierung, was dann wieder total piratisch und wegen der analogen Folgen doch extrem konservativ ist.

Der konservative Bürgermeister und seine seine All-Parteien-konservativ-sozialdemokratisch-links-lieberalen Räte sind die die eigentlichen Leitmedienänderer und insofern so etwas wie Freibeuter der Verwaltung und haben doch gegen die Null-Cent-null-Bock-Kommunalverwaltungs-Piraten derzeit wenig Chancen.

Die Herren @ciffi und @herrlarbig meinten dann noch, mich zum „Provinzpolitiker“ stempeln zu müssen, was ich gern annehme, da ich nur ein kleiner Landbürgermeister bin, der in einem Provinzmagazin und auf einer Provinzbühne als „Dr. Facebook“ gestempelt wurde, was mich wiederum leicht geadelt hat. Und weil der @herrlarbig ein Lehrer ist, hat er mich auch ordentlich belehrert, was Digitalisierung ist, was ein Leitmedium und dass die Herren Manuel Castells und Villem Flusser Leitfiguren dafür sind. Nun bin ich leider selbst ein alternder Nerd, der seinen Castells längst angelesen und in den Bücherschrank gestellt hat, wo er nach all den Jahren verstaubt, und die Flusser-Kommunikologie-Kulturidee ist für mich kein Fluxus und kein Luxus, sondern eine Philosophie, vond er man als Provinzkulturmensch und Ex-Germanist aus der PhilFak sehr wohl gehört haben darf. Meine Tochter hat gar über Castells geschrieben, ich habe über ihn poetisch philosophiert, aber auf die Idee, damit Piraten in Verbindung zu bringen, wäre ich nie gekommen. Man lernt immer noch dazu.

Und doch bleibt es irritierend, dass Piraterie plötzlich aus irrwitzigsten Gründen zum Leitmotiv wird. Ich mag nicht anerkennen, dass der Urheberrechtsschutz zum Ärgernis, das geistige Eigentum zur Beliebigkeit von Nerds wird, die sich ihre eigenen Werke durchaus gut bezahlen lassen. So mutmaßt die FAZ, dass Neu-Vorstandsmitglied Julia Schramm von Random House einen Buchvorschuss von 100.000 Euro erhalten haben soll. Und für sich nimmt die Freibeuterin durchaus urheberrechtlichen Schutz (via Verlag) in Anspruch. Aber vielleicht habe ich auch alles falsch verstanden. So lasse ich mich auch von den Piraten, insbesondere von @goboldt, gern auf denen neuesten Stand bringen. Ich bin trotz meines Alters ja nicht verstockt.

Derweil erfahren wir, dass es nun zwar Führungs-Personen und eine Diskussion über die Koalitionsfähigkeit der Piraten gibt, aber immer noch kein neues Programm. Das alte mit seiner Freiheit der Genusskultur hat ja durchaus seine Fußangeln. Aber wahre Piraten der Karibik können mit solchen Fußangeln allemal leben. Das walte Ojo! Ahoi!

Sie sagen nun, das sei keine Auseinandersetzung mit der Politik der Piraten?! Sie sei oberflächlich? Voller Schlagworte?
Recht so. So war dieser feuilletonistische Kleinessay auch gedacht.

Was wir brauchen, ist tatsächlich eine offene politische Auseinandersetzung. Ich bin gern bereit, sie zu führen. Und es gibt sogar Forderungen, die ich ausdrücklich unterstütze. Aber dafür brauche ich mehr als die paar Twitter-Zeichen und diesen kleinen Blog.

Wir bleiben im Gespräch. Versprochen.
Ahoi Ojo!