Armin König

Am Tag, als Koch zurücktrat… hat die ARD versagt

„Wusstest du nicht, dass Koch zurücktreten wollte“, fragte einer der besten Kenner der saarländischen Landespolitik. Nein, ich wusste es nicht. Angeblich wussten es auch viele Journalisten nicht – die doch eigentlich immer gut informiert sein sollen. Einige haben es wohl auch gewusst, durften es aber nicht sagen. Nehme ich an. Die Kanzlerin jedenfalls wusste es. Und beim Andenpakt wusste man’s auch. Koch soll früher abgereist sein aus Barcelona – die letzten Mohikaner-Andianer blieben zurück. Hab ich gelesen heute.

Erst habe ich ein bisschen triumphiert. Ich mochte schon den JU-Koch nicht, mag ihn auch heute als CDU-Politiker nicht. Diese kalte Berechnung, dieses Pokern bis zur Schmerzgrenze, das etwa Andrea Ypsilanti niemals vergessen wird, hat mich einerseits abgestoßen, andererseits fasziniert. Wenn Koch etwas will, dann kriegt er es auch. Meistens. Bis auf das Amt des Bundeskanzlers. Ansonsten ist er ein Winnertyp – selbst in aussichtslosen Situationen, weil er bereit ist, Regeln zu brechen.

Seine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft war so ein Verstoß gegen ungeschriebenen Gesetze der Political Correctness. Er hat vom Regelbruch profitiert und ist 1999 Ministerpräsident geworden. Sein Umgang mit der Causa Brender war ein Lehrstück in politischer Kaltschnäuzigkeit – ebenso wie „seine“ Kür des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber. Die schwarzen Sheriffs hatten ein Faible füreinander. Da störte die seltsame Politikerin aus dem Osten, die den von Koch einst so verehrten Helmut Kohl abserviert hatte. Der Koch! Der Ehrgeizige! Der schwarze Sheriff!

Seine Raufbold-Art hat mir schon eher imponiert. Männer-Rituale 😉 Die Situationen kenn‘ ich: Manchmal muss man eben in den Ring steigen und kämpfen, auch wenn man ein’s auf die Nase kriegt. Und Koch hat oft ein’s auf die Nase gekriegt. Beim letzten Kampf hätt‘ ich ihm selbst gern eins übergebraten, als er den SparRasenmäher auch bei Bildung und Erziehung ansetzen wollte. Er kannte die neuesten demographischen und demoskopischen Zahlen, was in Zukunft immer wichtiger wird: Alterung der Bevölkerung…. Ja, ich hätte ihm eine verbrazzelt. Virtuell natürlich. Weil er genau wusste, was er tat, als er brutalstmöglich provozierte.

Koch ist ein brillanter Analyst und Analytiker. Das habe ich an ihm besonders geschätzt. Nüchtern kann er Probleme sezieren und nach der Zerlegung in Einzelteile eine Lösung auftischen, die nicht dem Mainstream entspricht. Deshalb wird er auch weiter Karriere machen. Wie Friedrich Merz. Gut bezahlt, in guten Kreisen. Man sagt, er sei ein guter Ministerpräsident. Das glaube ich. Einer wie er kann regieren, weil er weiß, wie man Macht als Government-Repräsentant einsetzt.

Die Fernsehsender haben Koch nicht gemocht. Deshalb haben sie heute einen kapitalen Fehler begangen. Sie haben Kochs Rücktritt unter Wert verkauft.

Der kaputte Knöchel des Fußballspielers Michael Ballack war der ARD einen Brennpunkt wert.

Kochs Rücktritt hat die ARD-Köche kalt gelassen.

Das war ein Kunstfehler. Hier hat das Erste Deutsche Fernsehen versagt. US-Fernsehstationen liefern in solchen Fällen brillante Analysen. Davon war die ARD (und nicht nur sie) weit entfernt. Natürlich ist zu fragen, ob der Rücktritt eines Landesfürsten einen solchen Aufwand wert ist.

In Kochs Fall: Ja. Koch ist Stellvertreter Merkels, der momentan profilierteste Konservative in Deutschland, einer der mächtigsten Medienpolitiker des Landes, ein finanz- und wirtschaftspolitisches Schwergewicht, mit dem es der amtierende Ressortminister Brüderle nicht annähernd aufnehmen kann.

Und deshalb gibt es nach dem Rücktritt so viele offene Fragen – weniger in Hessen als in der Bundespolitik.

Uns interessiert das Bundespolitische: Wer vertritt künftig den „schwarzen Block“, die eckigen Konservativen?
Was macht Merkel ohne echten Gegenpart? Mehr zaudern?
Ist Kochs Rücktritt ein Signal, dass echte Kerle in dieser neuen Unübersichtlichkeit keinen Bock mehr auf Politik haben (Lafontaine ist auch weg)?
Wird Kochs Abgang die Politikverdrossenheit weiter erhöhen, weil die Konservativen keine Leitfigur mehr haben?
Welche Macht und welche Energie muss die Physikerin Angela Merkel haben, wenn sie die besten Analytiker der deutschen Politik (Merz, Koch) dazu treibt, etwas Anderes als Politik zu machen?
Hat mit dem Abgang Kochs auch der Niedergang Merkels begonnen, die nun Farbe bekennen und Konflikte austragen muss?
Haben wir es mit einer schleichenden Bedrohung der Demokratie zu tun, die demokratische Gestalter immer häufiger aufgeben lässt?
Wie hoch ist der Druck, der auf Leadern lastet?
Werden sie in der Politik angemessen bezahlt (nein)?

Wir haben noch keine Antworten darauf bekommen.

Ach, noch was: Eines ist mir noch aufgefallen: Am Auftritt Kochs bei der Pressekonferenz, die allenthalben als souverän und locker beschrieben wird, stimmte etwas nicht. Duktus und Gestik haben mich zuweilen irritiert. Genauer beschreiben kann ich es (noch) nicht. Da war noch was – oder da ist noch was, was ich derzeit nicht darlegen kann. Ich ahne es nur. Vielleicht irre ich mich ja. Man müsste das Video wieder sehen.

Aber auch in der Situation hätte das Fernsehen dazu beitragen können, nach amerikanischem Standard Antworten zu liefern – von externen Profis, von Insidern, von Analytikern, von Körpersprache-Experten…

Am Tag, als Koch zurücktrat, war Ballacks Syndesmose immer noch angerissen, ohne dass es Auswirkungen auf die Weltgeschichte gehabt hätte.
Am Tag, als Koch zurücktrat, knickten die europäischen Aktienbörsen reihenweise ein, weil es nun auch in Spanien kriselt.
Am Tag, als Koch zurücktrat, gab Italien ein Milliardenspar-Programm bekannt (Berlusconi!!!).
Am Tag, als Koch zurücktrat, suchte ein Großaufgebot der Polizei in Illingen nach einem vermissten 82jährigen – mit Tauchern, Suchtrupp, Hubschrauber.
Am Tag, als Koch zurücktrat, ließen sich Menschen scheiden.
Am Tag, als Koch zurücktrat, fanden Menschen das Glück der Erde.
Am Tag, als Koch zurücktrat, ging das Leben weiter.
Weltweit.
Ernst und heiter. Auch ohne Brennpunkt.
Es geht immer weiter.
Das lässt auch Fehler vergessen.