Angst
Heinz Bude (2014) war mit »Gesellschaft der Angst« einer der ersten populären Soziologen, der das Thema »Angst« einem breiteren Publikum nähergebracht hat.
Angst ist für Bude der Signaturbegriff einer Epoche. Sie ist das leise, allgegenwärtige Grundrauschen einer Gesellschaft, die ihren Boden unter den Füßen verloren hat. Im Zeitalter globaler Märkte, digitaler Kontrollsysteme und instabiler Bindungen verwandelt sich Sicherheit in ein rares Gut – und mit ihr das Gefühl der Souveränität des eigenen Lebens. Bude beschreibt diese Gesellschaft der Angst nicht als Ausnahmezustand, sondern als Normalmodus moderner Erfahrung: Die Menschen fürchten nicht mehr den „großen Anderen“, sondern die Unendlichkeit ihrer eigenen Möglichkeiten.
Die Mittelschicht, lange Garant sozialer Stabilität, erlebt diese Entsicherung besonders intensiv. Zwischen Statuspanik und Erschöpfung schwankt sie zwischen Selbstoptimierung und Abstiegsangst. Das Individuum wird zum Unternehmer seiner selbst, getrieben von der Furcht, Chancen zu versäumen. Arbeitswelt, Partnerschaften, politische Loyalitäten – alles steht unter dem Vorzeichen von Leistungsdruck und Reversibilität. Bindung selbst wird angstbesetzt, weil sie das eigene Ich in Abhängigkeit bringt.
Bude zeigt die Dialektik moderner Freiheit: Je größer der Handlungsspielraum, desto größer das Gefühl der Ohnmacht. Die „Niemandsherrschaft“ abstrakter Systeme aus Geld und Daten ersetzt die erkennbare Autorität durch unpersönliche Macht. Angst entsteht dort, wo Verantwortung sich verflüchtigt und Ursachen intransparent werden – im Finanzsystem ebenso wie in der Informationsgesellschaft. So wird Angst zur sozialen Grammatik unserer Gegenwart: ein Medium, in dem die Gesellschaft ihre Krisen spürt und deutet.
Doch der Autor bleibt nicht bei der Diagnose stehen. In seinen Analysen schwingt auch die leise Hoffnung, Angst als Erfahrungsform des Zusammenlebens zu begreifen. Wo Angst geteilt wird, entsteht Verständigung. Die Herausforderung liegt darin, aus der privaten Beklemmung eine politische und kommunikative Energie zu gewinnen. Eine „Gesellschaft der Angst“ muss ihre Ängste öffentlich verhandeln, statt sie populistisch instrumentalisieren oder individuell pathologisieren zu lassen.
Budes Essay registriert fein die Stimmungen einer Epoche, die sich selbst nicht mehr traut – und eröffnet zugleich den Denkraum, über Angst zu diskutieren.
Seine Hoffnung war zu optimistisch. Das Buch erschien 2014. Mit der so genannten »Flüchtlingspolitik« begannen schon ein Jahr später die panischen Ängste der konservativen Mittelschicht, zu Verlierern zu werden. In Deutschland kaperten AfD und CSU sowie erzkonservative CDU-Politiker die Angst, um sie politisch zu bewirtschaften, um mit Eva Illouz («Explosive Moderne«, 2024) zu sprechen. Im Klappentext des vielbesprochenen Illouz-Textes heißt es: » Angst, Enttäuschung und Wut, aber auch Scham oder Liebe sind fest in die sozialen Arrangements der westlichen Moderne eingebaut – und werden von ihrer Ökonomie, Politik und Kultur intensiv bewirtschaftet. Sie sind psychologisch relevant, moralisch bedeutsam, politisch wirksam – und hochgradig ambivalent. Das macht die Gegenwart, in der wir leben, so brisant, ja explosiv.« Das hat sich als realistisch herausgestellt.
Und so suchen wir permanent nach Auswegen aus dieser Angst.
Als wir sie fast kanalisiert hatten, begann die Corona-Pandemie – die für die Demokratie zum Desaster wurde, die Gesellschaft spaltete, Willkürmaßnahmen hervorgebrachte und bis heute Nachwirkungen zeigt. Die selbsternannten »Opfer« der Pandemiemaßnahmen zelebrieren bis heute Angst, Wut und rechtsradikal geneigtes Revoluzzertum.
Angstpolitik [als Geschäftsmodell der Populisten]
Angstpolitik ist eine politische Strategie, die vor allem von populistisch-nationalistischen und anti-demokratischen Parteien gezielt eingesetzt wird. Es ist ihr wichtigstes Geschäftsmodell. Angst ist ihr Kapital. Angst verunsichert und schwächt das Vertrauen in gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten demokratischer Systeme. Populismusforscher haben untersucht, welche Mechanismen wirksam werden, wenn in einer Zeit der großen Unübersichtlichkeit und der gesellschaftlichen Neurosen »Angstpolitik« als Strategie und Taktik eingesetzt wird.
Angstpolitik ist aber seit vielen Jahren auch von konservativen Parteien wie der CSU und der CDU in Teilen übernommen worden, weil man damit Wahlen gewinnen konnte. Eine Lieblingsvokabel ist dabei die »Verschärfung«, die zum Asylrecht seit vielen Jahren ebenso passt wie zum Strafrecht, zum Polizeirecht, zum Arbeits- und Sozialrecht oder zu »Sicherheitsgesetzen« (Videoüberwachung, Befugnisse der Sicherheitsbehörden).
Drastischer fordern dies die radikalen Populisten der AfD. Sie schüren gezielt und intensiv Angst vor Migranten, Angst vor kultureller Überfremdung, absurde Ängste vor angeblicher »Umvolkung« (ein rechtsextremes Narrativ) und treiben mit dieser Angstpolitik die anderen in den Parlamenten vertretenen Parteien vor sich her. Vor allem rechte Kreise in CDU und CSU springen seit Jahren auf diese Narrative auf in der Hoffnung, damit Wähler*innen zu gewinnen. Sie sind damit aber bisher krachend gescheitert. Die verunsicherte Bevölkerung wählt zunehmend das schrille Original der Angst- und Panikpolitik. Die Agenda der Politik haben die Rechtspopulisten und Rechtsextremen damit innerhalb von nicht einmal zehn Jahren dramatisch verändert. Begonnen hat dies mit den Terroranschlägen auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 und dem »Global War on Terrorism«, der US-Präsident Bush und dem US-Department of State ausgerufen worden war. Zu den wichtigsten Zielen gehörten Prevention and Investigation, Law Enforcement, Homeland Security, Military Campaign. Das sind zum Teil verschleiernde Begriffe für Krieg, Verhaftungen und Internierungen, weltweite massenhafte private Datenüberwachung ohne Rechtsgrundlage und Einsatz von staatlicher Gewalt. Dass die Notwendigkeit bestand, den Kampf gegen Terrorismus zu koordinieren, ihn effektiver und effizienter zu führen, international zu kooperieren, wurde kaum bestritten. Dabei blieb es aber nicht. Da der Terror nicht ausgerottet werden konnte und wohl auch nicht kann, setzte eine Spirale der Gesetzesverschärfungen ein, die längst Eigendynamik gewonnen haben – auch ohne das Feld des Terrorismus.
Heribert Prantl, Buch-Autor und preisgekrönter SZ-Journalist, hat dies unter dem prägnanten und sehr stark zugespitzten Titel »Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht« (2008) verständlich erläutert. Seine Themen sind der Präventions- und Überwachungsstaat, die Aufweichung des Menschenwürdeschutzes, Exklusionen durch Feindstrafrecht und Ausländer- und Asylrecht sowie zunehmende Punitivität. Er begründet begründet auf dieser Grundlage die These, »dass mit Angst unnötig) Politik gemacht wird und wir uns letztlich von Terroristen die Gesetze diktieren lassen« (Velten 2009).
Angstpolitik wird gern genutzt, um Macht auszuüben. Angstpolitik ist also ein Instrument der Machtpolitik. Das war noch vor Beginn der so genannten »Flüchtlingskrise«, mit der das Populisten-Geschäft mit der Angst erst begann. Das Thema wurde nicht ernst genommen. Die Folgen sind zehn Jahre zu besichtigen: Europaweit haben rechtsnationale, rechtsextremistische und populistische Parteien enormen Zuwachs erzielt (Daten: ParlGov 2021).
2018 war es Brigitte Bargetz, die unter dem Titel »Politik und Angst – Oder: homo neuroticus und der Spuk nationaler Souveränität« die psychoanalytische Beschreibung der Mechanismen weltweiter Angstpolitik in Zeiten der Globalisierung und damit des Verlusts nationaler Souveränitäten beschrieben hat. Spätestens mit den Anschlägen auf das World Trade Center habe die Politik der Angst ihren Aufschwung genommen, die neurotische Bürger*innen unter Druck gesetzt habe.
Erstaunlicherweise versuchen nun Rechtskonservative und Rechtsextreme, den Spieß umzudrehen und die Kritik an Angstpolitik zu kapern, indem sie dem »Bürokratenstaat« Angstpolitik vorwerfen. Es geht dabei fast immer um die Pandemie-Politik der Jahre 2021 bis 2023.
Dr. Armin König