Armins Heimat – eine Annäherung

HEIMAT: Worin noch niemand war. 

„Was bedeutet Ihnen Heimat?“, fragte die Interviewerin.

„Freunde, verwurzelt sein, zu Hause sein, Halt finden, die Bilder und Gerüche der Kindheit, der alte Lehmkeller in Opas Haus in der Friedhofstraße, eiskaltes Wasser aus der Schöpfkelle trinken, Fenner Harz mit Schichtkäse, Zuckerbrote, Butterschmier, beim Nachbarn im Keller der entsetzliche Gestank nach eingelegten sauren Bohnen, die keifende Alte, die uns verjagte, wenn wir auf ihrem Grundstück Kohlenklauen spielten, der alte Herr CeWe, der auf seiner Wiese einen Strohwisch aufstellte – was bedeutete, dass wir dort nicht spielen durften. Wir spielten aber doch und benutzten den Wisch als Torpfosten beim Fußballspiel.“

„Geraucht?“

„Haben wir auch. Bei Gilbert im Hexenhaus im Garten. Ernte 23. Die hab ich auch später geraucht. Und von Alfons geschnorrt. Später aus dem Automaten gezogen.“

„Wann haben Sie die Erste geraucht?“

„Mit 15?!“

„Und?“

„Mir war sauschlecht. Richtig angefangen habe ich erst mit 18 im Musikverein. Als ich K. kennen gelernt hatte. Beim Musikverein habe ich rauchen, beim Turnverein Bier trinken gelernt.
Und richtig Musik machen. Jazzen. 
Ich habe Trompete gespielt. 
Ich war auch kein schlechter Turner. 
Wir haben Landesliga geturnt, waren einmal Vizemeister. 
Beim Pferdsprung haben ich den Handstandüberschlag mit ganzer Drehung gezeigt. 
Damit war ich im Finale der Saarlandmeisterschaft – mit Benno Grohs, dem Olympiateilnehmer, Ferd Greulich und Hansi Alger. 
Trainer war ich auch. Die Turnhalle war ein wichtiger Teil meiner Welt. 

Aber ihr habt nach Heimat gefragt. 
Heimat ist ein merkwürdiges Gefühl. Vertrautheit. Sinnliche Erinnerungen. Der Magnesiastaub in den Turnhallen, der Ledergeruch der Turngeräte (- der Turnbock, das Pferd), das Weihrauchfass in der Kirche. Meine Lieblingsheilige Maria Magdalena. Sie stand auf dem rechten Seitenaltar. Die Sünderin. Im Dunkeln. Zu der habe ich gebetet, wenn es mir nicht so gut ging. Eine Straßenheilige, zu der man ganz normal beten konnte. Überhaupt die kirchlichen Erfahrungen. Ich war gern Messdiener, durfte schon als Steppke aus dem Lektionar vorlesen. Heimlich haben wir Messwein in der Sakristei stibitzt. 
Auch die weltlichen Erfahrungen will ich nicht missen. 
Einen Pfirsichbaum haben wir im Trainings-Zeltlager geplündert. Von oben bis unten. Der Eigentümer hat sogar die Polizei geschickt. Und alle haben dichtgehalten. Das war eine gute Erfahrung. 
Heimat.
Das Illinger Kolpingheim, unser erstes Gymnasium. Mit dem alten Herrn Nicolay, der aus dem Ersten Weltkrieg erzählte und uns die Kosmos-Naturführer empfahl (Was blüht denn da?). 
Später das Pfarrheim mit seinen verwinkelten Kellergängen – dem Ort für heimliche Treffs und erste Küsse. 
Der Zigeunerpfarrer Arnold Fortuin, dem wir die Hölle heiß machten, als er vom Himmel erzählte. Wir waren nicht nett zu ihm. 
Im Pfarrheim bin ich zum ersten Mal ins Klassenbuch geflogen. König und Thomas B. verwüsten die Klasse. Was ein Schmarren war. Wir, die Busschüler aus Hüttigweiler, hatten wegen unserer Lateinlehrerin den Bus verpasst und machten deshalb ein bisschen Remmidemmi. Spielten mit dem Schwamm Fußball. Der Hausmeister K., von dem viele glaubten, er sei der stellvertretende Direktor, verpfiff uns beim Direx. Und der Direx erschien auch, fragt, wer die Übeltäter gewesen seien. Und weil mein Vater mir „Üb immer Treu und Redlichkeit“ beigebracht hatte, meldete ich mich. Zusammen mit Tommi B. Die beiden Kleinsten übernahmen Verantwortung. Der Rest hatte Schiss. Doch statt uns zu begnadigen oder eine echte Untersuchung zu führen, bestrafte der kleine, dicke Direx eben nur uns beide. Was einfach war. Und damit war ein Exempel statuiert. 
Und Tommi und ich hatten fürs Leben gelernt (und für die Politik – Tommi B. ist heute bei den Grünen in Saarbrücken, ein Aufrechter): Sich nie auf vermeintliche Freunde verlassen. Dann bist du nämlich verlassen. Selbst stark sein. Verlieren können und wieder aufstehen. 
Natürlich ist Heimat ein Ort für mich. Illingen als Ganzes. Hüttigweiler im Besonderen. Das Saarland im Allgemeinen. 
Der Ort meiner Eltern. 
Sie haben mir viel mitgegeben. 
Musik, Die Liebe zu Büchern. 
Einen festen Glauben. 
Die Fähigkeit, zu lieben. 
Enthusiasmus. 

"Lieben Sie Ihre Heimat".

Ich mag meine Heimat. 
Hier fühle ich mich sicher, hier fühle ich mich wohl.
Aber lieben?
Ich liebe meine Frau. 
Meine Heimat schätze ich. 

"Negative Erfahrungen?"

Gab es. Aber ich bin Optimist. 
Die Enttäuschungen habe ich verdrängt. Vergessen.
Ich bin verletzt worden. Zuletzt wieder. Das schmerzt, weil ich nicht in der Lage bin, mir eine Elefantenhaut zuzulegen. 
Aber ich weiß jetzt, wie man damit umgeht. 
Auch wenn mich Verletzungen heute noch und immer wieder ärgern. 

"Wie vergessen Sie solche Verletzungen?"

Ich habe eine gute Familie.
Und ich habe die Musik. Mein Klavier. 
Und meine Bücher. 
Ich mag Bücher und ich mag Musik.

"Können Sie verzeihen?"

Ja sicher. Ich bin Christ. Aber niemand verzeiht gern. Mir fällt es auch zuweilen schwer.

"Warum schreiben Sie?"

Weil ich muss. 
SCHREIBEN, was zu schreiben ist, was uns bewegt: Konflikte, Tragödien, persönliche Dramen, Komödien auch, Politisches, Kritisches, Hoffnungsvolles. 
Es ist die Suche nach der Wahrheit, die mich treibt. 
Gelegentlich den Grenzübertritt wagen, schreiben, was nicht politisch korrekt erscheint, was gerade nicht à la mode ist. 

"Bringt Sie das in Konflikt mit Ihrer politischen Arbeit?" 

Selten. Ich bin auch in der Politik der, der ich bin. Versuche, authentisch zu bleiben, auch wenn ich anecke. 
Manche sagen, ich polarisiere.
Man kann aber nur etwas bewegen, wenn man zuweilen gegen den Strom schwimmt. 
In der Heimat fühle ich mich sicher, neue Wege zu erkunden. 
Und viele gehen mit. 
Das gefällt mir in meiner Heimat. 

"Sind Sie gern Bürgermeister in Ihrer Heimatgemeinde?"

Liebend gern. Ich gehe darin auf…

Armin König 2010