Armin König

Arnold Fortuin Straße, Fortuin-Gemeinschaftsschule Illingen würdigt einen fast vergessenen Menschenretter – Frieden, Menschenwürde, Verantwortung

Rede von Bürgermeister Dr. Armin König

Es ist ein besonderer Tag in und für Illingen: Wenn wir heute die Straße zum Schulzentrum in Arnold Fortuin Straße neu benennen und das Straßenschild enthüllen und wenn die Gemeinschaftsschule das Namensfest zur „Fortuin Gemeinschaftsschule Illingen“ feiert, dann würdigen wir einen Pfarrer, der als Nazi-Gegner Zivilcourage gezeigt und Sinti vor dem sicheren Tod gerettet hat.

Ja, Illingen hat seinen ehemaligen Pfarrer Arnold Fortuin wiederentdeckt. Der Vater der einst im ganzen deutschen Südwesten bekannten „Sinti-Wallfahrt“ ist jetzt Namensgeber der Gemeinschaftsschule Illingen und der Straße zum Schulzentrum.

Es gibt Geschichten, die liegen nicht auf der Straße. Man muss sie suchen. Und je mehr Spuren man findet, um so spannender wird sie.

So ist es mir mit Arnold Fortuin gegangen.

Es ist eine der wohl ungewöhnlichsten Geschichten, die ich bisher erlebt habe. Sie klingt nach Filmstoff und Roman und ist doch ganz authentisch. Und es ist eine Geschichte, in der zwei Männer aus der Gemeinde Illingen die Hauptrollen spielen.

Es ist die Geschichte einer Vision, die Geschichte einer Mission, die Geschichte eines guten Samariters, der zunächst gar kein Samariter sein will und lieber die Jonas-Rolle im Walfischbauch einnehmen möchte, dann aber doch zupackt, eingreift und seinen Auftrag annimmt und lebt. Es ist aber auch die Geschichte eines verlorenen Sohnes, der plötzlich wieder Kontakt zur Heimat findet, wo er die Zelte abgebrochen hatte und nach Köln ausgewandert war.

Und schließlich ist es die Geschichte eines ungläubigen Thomas. Ich zweifelte und musste bekehrt werden, weil ich die Dimension dieser großen Geschichte zunächst gar nicht wahrhaben wollte.

Ich hatte Arnold Fortuin fast vergessen. Vielleicht hing es damit zusammen, dass er so wirkte, als sei er aus der Zeit gefallen. Und weil sein Nachfolger Karl-Josef Wendling geradezu die Verkörperung des Zweiten Vatikanischen Konzils war.

Aber ich habe Fortuin wieder entdeckt, und ich bin sehr froh darüber.

Vor sieben Jahren habe ich begonnen, Überzeugungsarbeit in Illingen zu leisten.

Heute feiern wir die Wiederentdeckung eines bescheidenen Charismatikers.

Und ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass es mit Hilfe engagierter Mitstreiter wie Burkard Maurer gelungen ist, Arnold Fortuin die Ehre zu erweisen.

Er hat sich für Minderheiten eingesetzt.

Er hat den Sinti Ehre erwiesen und sie beschützt, gegen alle Vorurteile, die bis heute nicht überwunden sind. Ja, sie sind zeitweise geradezu explodiert.

Damit erwiesen wir einem Mann Gerechtigkeit, der dies verdient hat.

Der frühere Pfarrer von Illingen und Begründer der „Zigeunerwallfahrt“ gilt mittlerweile als „Arnold Schindler der Sinti und Roma“, weil er in der Nazizeit Menschen vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Er wird verehrt und auch in Kirchenkreisen geachtet.

Mit der Namensgebungsfeier und der Straßen-Benennung setzen wir ein Zeichen.

Ein Zeichen für Mut, ein Zeichen für Zivilcourage, ein Zeichen für Menschlichkeit und Nächstenliebe.

 

Begonnen hat es für mich mit Emails von Benjamin Marx, der aus Wustweiler ausgewandert ist und in Köln seine Heimat gefunden hat. Aber das Projekt seines Lebens hat er als Projektleiter der katholischen Aachener Siedlungsgesellschaft in Berlin in Neukölln gefunden. „harzer Straße“ hieß der Arbeitstitel.

Seine Mission als Gesandter Gottes begann um 2011, als er ein heruntergekommenes Wohnhaus in der Harzerstraße in Neukölln kaufte. In dem lebten mehr als 400 Roma und ein paar Deutsche. Vor Marx wurde das Haus in der Presse das „Rattenhaus von Neukölln“ genannt. Müll bedeckte zeitweise den ganzen Innenhof. Dann kam Marx mit seinem vorbildlichen Integrationsprojekt.

Der Berliner Tagesspiegel beschrieb es so: „„Er lässt  derzeit nicht nur das gesamte Gebäude in der Harzer Straße und jede einzelne der 137 Wohnungen sanieren ohne die Mieten über den Mietspiegel zu heben. Er beschäftigt auch viele Roma als Bauarbeiter, Hausmeister, Putzleute und für Kinderbetreuung. Außerdem bietet er Gratis-Deutschkurse und soziale Beratung auf Rumänisch an. Und er holte Nicht-Roma als Mieter ins Haus, um kein Getto zu schaffen, zum Beispiel die Mitglieder einer katholischen Gemeinschaft aus Frankreich, deren Aufgabe es ist, Nächstenliebe zu leben.“

Was Marx dort macht, ist ungewöhnlich. Die britische BBC hat über ihn berichtet, ein finnischer Sender, einer aus der Schweiz, einer aus Tschechien, zwei aus Frankreich und einer aus dem arabischen Raum. Große Artikel standen in der Welt, der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und natürlich in den Berliner Medien. Die Südwest-Presse Ulm schreibt von „Wunder von Neukölln“.

Die christliche Mission ist es, die ihn antreibt – und das Vorbild seines ehemaligen Religionslehrers Arnold Fortuin. Marx ist überzeugt davon, auch mir hat er ins Gewissen geredet, weil ich auf den Enthusiasmus in seinen ersten Mails nur zurückhaltend reagiert habe.

Weil seine Schützlinge Roma sind, nannte er das Haus nach dem Mann, der zum Schutzpatron der Sinti und Roma geworden ist: Arnold Fortuin.

Der frühere Pfarrer von Illingen und Begründer der „Zigeunerwallfahrt“ gilt mittlerweile als „Arnold Schindler der Sinti und Roma“, weil er in der Nazizeit Menschen vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Er wird verehrt und auch in Kirchenkreisen geachtet. Mit der Übergabe der Neuköllner Häuser an ihre Bestimmung wird ihnen  der neue Name „Arnold-Fortuin-Haus“ verliehen.

Und damit wäre der zweite Illinger in dieser außergewöhnlichen Geschichte genannt: Es ist Arnold Fortuin. Pfarrer Arnold Fortuin  war Lehrer von Benjamin Gerhard Helmut Marx. In Erinnerung geblieben ist er in Illingen als Begründer der Sintiwallfahrt zur Bergkapelle, die damals noch „Zigeunerwallfahrt“ hieß. In Köln ist eine Straße nach ihm benannt. Ein „heiliger Mann“ ist er für Sinti und Roma. Arnold Fortuin. Der bescheidene Pfarrer von Illingen.

Benjamin Marx hat in einer seiner ersten Mails die Haltung Fortuins zu den Sinti und Roma treffend beschrieben: „Es sind Menschen und als solche nehmen wir sie an, und genau da tue ich, ich frage nicht weiter: es sind Menschen, so wie Sie und ich …“

Marx hat das nie vergessen.

Nur in Illingen scheint Fortuin fast vergessen.

Dass es Schülerinnen und Schüler sind, Lehrerinnen und Lehrer, die nun die Initiative ergriffen machen, macht mir besonders Mut.

Ihr seid großartig. Weil ihr nach Werten fragt.

Weil ihr das Menschliche in den Blick genommen habt. Und weil ihr auf Spurensuche gegangen seid. Ich finde das faszinierend.

Er war auch mein Lehrer am noch jungen Illtal-Gymnasium, das damals noch „Gymnasium in Gründung hieß“. Ich habe ihn als gutmütigen Menschenfreund in Erinnerung, der sich über Schülerstreiche nicht beschwert hat, sondern Nachsicht geübt hat – auch mit Rabauken. Aber wenn es um seine Schützlinge ging, von denen er verehrt wurde, dann strahlte er. Dann war er erfüllt von einer Vision, einer Mission. Er war ein sehr gläubiger Mensch – und ein Glaubender, der von seiner Mission überzeugt war.

Nie hätte er sich träumen lassen, dass er einmal bekannt und berühmt und verehrt wird. Das war nicht seine Sache. Er hätte sich wohl gewundert, wenn sie ihn als „Oskar Schindler der Sinti und Roma“ bezeichnet hätten. Er war viel zu bescheiden, um solche Ehrungen zu erwarten. Aber er war stark, wenn es darum ging, Menschen, die in Gefahr waren, zu schützen. Er riskierte in der Nazizeit seinen Beruf und seine Freiheit, vielleicht sogar sein Leben.

In Manchem erinnert er mich an den heiligen Pfarrer von Ars. Auch der war nicht der Glamouröse, der Held. Er war Arbeiterpriester, der sich seiner Mission verschrieb. Für die, die benachteiligt waren.

Sinti und Roma wurden in der Nazizeit systematisch verfolgt, verschleppt und ermordet.

Es dauerte im Nachkriegsdeutschland bis 1982, bis diese Verbrechen von der Bundesregierung überhaupt anerkannt wurden.

 

Es gab durchaus Diskussionen über die Straßen-Umbenennung.

Manche waren formalistisch, andere historisch begründet, weil auch der Name Schwarzer Weg seine Geschichte hat.

Aber ich habe von Arnold Fortuin gelernt, dass man Zivilcourage zeigen muss.

Die hatten wir.  Wir haben abgewägt, der Ortsrat hat Ja gesagt, und nun wird auf jedem Schulbrief der Arnold-Fortuin-Gemeinschaftsschule, auf jedem Zeugnis des Illtal-Gymnasiums der Name Arnold Fortuin stehen.

Wir entscheiden nicht darüber, wie sein Leben war. Dafür wissen wir zu wenig. Wir entscheiden auch nicht darüber, wie er als Pfarrer oder als Pädagoge war.

Wir würdigen einen Lebensretter, einen Unterstützer der Verfolgten und Benachteiligten.

Wir würdigen einen charismatischen, gläubigen Menschen, der auch mit der Begründung der Wallfahrt der Sinti zur Bergkapelle Historisches geleistet hat. Für uns Schüler war dies ein Ereignis, eine Wucht, ein Event. Und schulfrei hatten wir auch an jenen Wochenende im Oktober, wenn im Pfarrheim gefeiert wurde. Für Medien aus dem ganzen südwestdeutschen Raum war diese Wallfahrt ein großes Thema. Sie hat Illingen damals berühmt gemacht.

Aber sie war nicht populär. Wurde Arnold Fortuin deshalb vergessen? Wir holen ihn aus der Vergessenheit. Wir würdigen ihn. Weil er ein Teil unserer Geschichte ist.

Danke, dass Sie, dass Ihr das möglich gemacht habt. Das ist nicht selbstverständlich in diesen Zeiten der großen Erregung.

Das ist ein wichtiger Tag für die Schule, das ist ein wichtiger Tag für Illingen.