Armin König

Beim größten Sportfest der Welt König sein

 Deutsches Turnfest 2005 in Berlin mit Wild Witches und einer Show der Superlative

 

Ein Deutsches Turnfest in der Bundeshauptstadt Berlin, 100.000 Teilnehmer, und die Illinger als größte Gruppe aus dem Turngau Blies mittendrin – wenn das kein Erlebnis ist! Illingens Bürgermeister Armin König hat teilgenommen und seine Eindrücke exklusiv notiert. 

Samstag, 14. Mai: Um Mitternacht in Illingen losgefahren zu meinem 5. Deutschen Turnfest; während der Busreise nur leicht gedöst. Als ich endlich eingeschlafen war, die erste Rastplatz-Pause. Aber das gehört zum Spiel: Turnfest-Fahrer müssen auch ein bisschen leiden. Wir – das sind 83 Illinger – sind trotzdem gut drauf, das Wetter ist okay. Kurz vor Berlin treffen wir einige unserer 100.000 Turnfest-Kollegen auf einem Rastplatz. Gegen 9 treffen wir an der Salvador-Allende-Schule in Berlin-Köpenick ein, wo wir die nächsten 8 Tage auf Luftmatratzen und in Schlafsäcken nächtigen. Die „Wild Witches“, also die „Wilden Hexen“ des TV Illingen, die Turner, die Senioren, die „Uvis“ um oder über vierzig, der König (Armin), der volksnah mit 20 Mitstreitern im Schulsaal schläft. Ganze Familien sind dabei: Wie Gabi, Heinz, Christian und Sabrina Steuer oder Anita, Friedhelm, Annika, Frederick und Maike Meyer. Ein Turnfest hat eben eine familiäre Atmosphäre. Auch die Eicherte aus Hüttigweiler schlafen und schnarchen auf unserem Flur. Es herrscht Zeltlager-Atmosphäre im Schulsaal. Köpenick ist übrigens einer der charmantesten ehemaligen Ost-Berliner Stadtteile: Viel Grün, viel Wasser, Regattastrecke, hübsche Altstadt mit dem Köpenicker Rathaus, wo Wilhelm Voigt als Hauptmann von Köpenick die Beamten-Hierarchie genarrt hat. Den Rühmann-Film kennt (fast) jeder. Ja, die Woche werden wir gut überstehen. Natürlich führt der erste Weg mit S-Bahn und U-Bahn zum Brandenburger Tor und zum Pariser Platz, wo „die Musik spielt“. Denn heute ist Eröffnung – mit Bundespräsident Horst Köhler. Ab 14 Uhr Himmel und Menschen am Brandenburger Tor. Und wer läuft uns über den Weg? Eine Gruppe aus Illingen, die eine Polit-Reise in die Hauptstadt gebucht hat. Auf der „Straße des 17. Juni“ erwarten wir den Festzug, der von der Siegessäule zum Brandenburger Tor läuft. Leider beginn es kurz vor 17 Uhr zu regnen. Es wird kalt und ungemütlich. Der Bundespräsident gibt den Startschuss, Oasis spielt. Ein langer Abend wird das trotzdem nicht für uns, denn nach stundenlanger Wartezeit frösteln wir. Und Gabi Steuers Wild Witches haben morgen Wettkampf, müssen früh ins Quartier. In Köpenick wärmen wir uns schließlich auf – bei Kaffee und Tee und Grog und Jazz.

Pfingstsonntag
Ökumenischer Gottesdienst im Berliner Dom. Anschießend der erste frühe Wettbewerb: Gabi Steuer geht mit den Wild Witches in der Halle 12 am Funkturm in den Bundeswettbewerb Rendezvous der Besten, nachdem sich die Illinger Cowboy-Hexen auf Südwest-Ebene qualifiziert hatten. 
Knapp 50 Super-Gruppen aus ganz Deutschland bewerben sich ums Finale der 16 Besten. Es geht heiß her, die Konkurrenz ist stark, auch die Tanzgruppe der TG Landsweiler-Reden ist gut im Rennen. Heute wird die Tagesform entschieden – und die Laune der Preisrichter, das wird schnell deutlich. 
Wenige Gruppen sind „nur“ gut. Alle anderen landen in den Kategorien „sehr gut“ und „hervorragend“. Carmen Hell, Karsten Rehling, Stefan Schaum, Sabrina Steuer, Sarah Sassou – sie und all ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter sind hoch konzentriert trotz schwieriger äußerer Bedingungen. Es ist eng, der Zeitplan gedrängt, immer mehr Zuschauer strömen herbei, weil sie hier gleich am ersten Wettkampftag den ersten Turnfest-Höhepunkt erleben können, Security sichert die Zugänge zu den überfüllten Tribünen, Wettkämpferinnen müssen sich durch die Massen durchzwängen. Doch wenn sie dann auf der Bühne stehen, lächeln sie und geben alles. Wir sehen Showvorführungen in einer Qualität, wie es sie bei einem Deutschen Turnfest noch nie gegeben hat: Rock’n Roll, Aerobic, Artistik, alles ist zu sehen. Die Wild Witches kommen als Cowgirls und Cowboys, zeigen einen ihrer besten Tänze, vielleicht den besten, den sie je hatten: Saloon-Atmosphäre, rasante Riverdance-Schritte, Sprünge, Hebungen, Würfe – alles ist drin. Aber auch die Konkurrenz ist bärenstark. Außerdem sind die Wertungen am Nachmittag generell höher als am Nachmittag. Pech für die Witches, dass sie schon morgens dran waren. Am Ende verpassen die Illinger Mädchen das Finale der 16 besten Teams knapp, werden auch von den Landsweilerinnen noch abgefangen. Aber die Vorstellung war sehr gut und wird auch mit hoher Punktzahl gewürdigt. Gabi Steuer und die Schlachtenbummler sind sehr zufrieden. Aber ein bisschen traurig ist das Team dann doch, dass es nicht zum Finale der 16 Besten gereicht hat. Unser Trost für die Truppe: „Ihr habt Illingen und das Saarland super vertreten.“ 

Montag, 16. Mai: Wettkämpfe, Workshops, Volleyballturnier – jetzt sind schon viele Illinger aktiv. Nach der Presse-Akkreditierung zieht es mich in die Workshops. Hier können wir auch Anregungen für unseren Bäder- und Freizeitbetrieb und für unser Gesundheitsangebot in der Gemeinde erhalten. Was inzwischen von Turnvereinen in diesem Bereich geboten wird, ist enorm: Spinning, Aerobic, Pilates, neue Gesundheitsgeräte, Nordic Walking, Entspannung – alles wird geboten. Die Teilnahme an Workshops macht Spaß, ist aber anstrengend und schweißtreibend. Aber Mitmachen ist lehrreicher als nur Zuschauen. Wenn wir uns als Sportgemeinde weiter profilieren wollen, müssen wir die Zusammenarbeit mit den Vereinen auch weiter intensiv pflegen. Aber das wissen wir in Illingen ja. Hier im Berliner Messezentrum sind es tausende Vereine, die ihr Angebot präsentieren. Ein gigantischer Markt der Möglichkeiten („Wir sind der Markt, oder?“). Auch Reporterin und Wild-Witches-Hexe Kristin Dörr ist begeistert. 
Abends mit unserem Team am Schlossplatz: Super Musik, super Stimmung, super Fete. Berlin ist eine Reise wert. Ein Deutsches Turnfest auch. 

Dienstag, 17. Mai: Erstes Schwimm-Training in Charlottenburg: Sprintstrecken stehen auf dem Programm: Kraul Brust und Rücken, jeweils 50 Meter. Turner sind vielseitig, vor allem Mehrkämpfer. In Leipzig hatte ich Turnen mit Schwimmen kombiniert. Wegen einer Verletzung muss ich diesmal auf Reck, Barren und Bodenturnen verzichten, konzentriere ich ganz aufs Schwimmen – eine Premiere bei meinem fünften Deutschen Turnfest. Bei Kraul und Brust läufts gut, Rückenschwimmen macht mir dagegen Probleme: Ich bin zu langsam, finde meinen Rhythmus nicht. Das hängt wohl mit dem Amt zusammen: Als Politiker musst du dem Gegner immer ins Auge schauen, nach vorne blicken. Rückenlage ist lebensgefährlich. Das scheint auch bei meinem Schwimmstil so zu sein. Bis Donnerstag kann ich noch am Stil feilen.
Unterdessen ist Philipp Schirra, das große Talent der Illinger, bei einer Deutschen Meisterschaft angetreten, dem Deutschen Sechskampf, bei dem Vielseitigkeit gefragt ist. Neben Turnen wird auch Leichtathletik gefordert. Der 12jährige Philipp meistert seine Aufgabe bravourös und wird in einem starken und großen Teilnehmerfeld (34 Teilnehmer) Dreizehnter. 
Abends saarländischer Abend, präsentiert vom Saarländischen Turnerbund (STB). Es ist die erste und einzige echte Enttäuschung dieses Turnfests. Scharenweise laufen die Saar-Turner wieder weg, fahren in die Stadt. Organisation und Programm werden kritisiert. Vor vier Jahren in Leipzig war’s um Klassen besser. Aber damals hatten die Illinger, die Hüttigweiler und die Völklinger das Ganze organisiert. Wir lassen uns nicht verdrießen, entern eine Köpenicker Brauerei und machen mit Turnfreunden aus Heiligenwald und Saarlouis unseren eigenen saarländischen Abend mit Musik, Tanz und Gesang. Sarah: „Echt Partytime in der Stadt des falschen Hauptmanns von Köpenick.“ Der Abend war dann auch lang… 

Mittwoch, 18. Mai: Erneut Training. Diesmal läuft’s besser. Auch die Wahlwettkämpfer greifen jetzt in den Wettkampf ein. Stefan Linnebach hat Chancen, seinen Turnfestsieg von Leipzig zu verteidigen. Wieder Workshops und Schauvorführungen und ein intensives Kulturprogramm absolviert. Berlin ist gigantisch – eine echte Metropole. Bildungsprogramm am Holocaust-Mahnmal, anschließend zum Prenzlauer Berg. Dort gibt es Anschauungsmaterial für eine gelungene Stadtsanierung. Allerdings haben dazu auch viele Westgelder beigetragen. Erfahrungsaustausch mit zahlreichen Sportlern aus andern Turnverbänden und Anregungen für das Programm „Kinder stark machen“ – Prävention gegen Drogen. 
Abends Mehrkampffinale im Kunstturnen mit Fabian Hambüchen, Eugen Spiridonov (Bous) und Christian Berczes. Eine Augenweide!

Donnerstag, 19. Mai
Wettkampftag. Um sechs Uhr in der Frühe aufgestanden, geduscht, gefrühstückt, gepackt und dann eine Stunde zur Wettkampfstätte gefahren. So ein Bundeswettkampf hat seine eigene Atmosphäre. Ich spüre, wie sich das Adrenalin in meinem Körper breit macht. Die Aufregung wächst nach der Anmeldung und dem ersten Startaufruf. Zunächst steht Kraul auf dem Programm: persönliche Bestzeit, Steigerung um 15 Sekunden gegenüber den ersten Trainingseinheiten vor vier Monaten. In meinem Alter nicht schlecht. Auch die Bruststrecke klappt prima. Wieder persönliche Bestzeit. Nach diesen Leistungen könnte ich mit Rang fünfzehn rechnen. Schwimmen ist zwar nicht meine Spezialdisziplin, aber es klappt besser als erwartet. Doch bei der Rückendistanz kommt plötzlich der Einbruch. Die 50 Meter Rückenkraul kriege ich zwar irgendwie hin, aber die Zeit ist indiskutabel. Für 1:08 Minuten gibt es leider nur mickrige 0,55 Punkte. Und so falle ich auf Platz 20 zurück. Beim Tempotauchen über 15 Meter kann ich den immerhin verteidigen. Den beiden Konkurrenten aus Heiligenwald bin ich zwar auf den Fersen, aber überholen kann ich sie nicht mehr. 
Abends in der saarländischen Landesvertretung Teilnahme an den dritten Berliner Medientagen mit Prof. Stolte, Jürgen Doetz (Sat1), Dr. Gerd Bauer und SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst. Später Diskussion mit den Medienprofis im kleinen Kreis. Es geht um Qualität im Fernsehen. Wir könnten stundenlang diskutieren. Nach eineinhalb Stunden S-Bahn-Fahrt werde ich im Schul-Quartier mit fetziger Blasmusik empfangen: „Happy birthday to you“. Hätte ich doch fast meinen eigenen Geburtstag vergessen. 

Freitag, 20. Mai 
Stefan Linnebach zeigt wieder eine tolle Leistung. Seinen Turnfestsieg von Leipzig kann er aber nicht wiederholen. Er wird Zweiter, ist trotzdem hoch zufrieden. Abends eine großartige Abschlussveranstaltung, bei der die Illinger auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions aerobic-aktiv vertreten sind. Es war der krönende Abschluss eines großen Turnfests in der Metropole Berlin. Wir hatten eine tolle Truppe, prima Wettkämpfe, Ein großer Sportverband hat gezeigt, wie kreativ und wie engagiert Ehrenamtliche sind. Die Hauptstadt hat es leider zu wenig registriert. Auch die Wege waren sehr lang. Da waren München und Leipzig gemütlicher, überschaubarer, die Menschen freundlicher und stärker beteiligt. Trotzdem war es grandios: Tolle Veranstaltungen, internationales Flair, viele Kontakte, viele neue Eindrücke – Berlin war eine Reise wert. Und ein Koffer ist bestimmt noch in Berlin. Für die nächste Reise von Illingern in die Hauptstadt. 

(c) 2005 Armin König