Das Saarland und seine Abhängigkeiten, seine Fesseln, Reformfeindschaft, Subventionen für Stahl und Kohle

Wiederentdeckt – REFORMSTAU!

Das Saarland und seine Abhängigkeiten, seine Fesseln, Reformfeindschaft, Subventionen für Stahl und Kohle

Geschrieben habe ich den Beitrag 2001

„Als die Idee zu diesem Buch („Sprengt die alten Fesseln“) entstand, wurde Deutschland von einem ausgepowerten und nicht mehr reformfähigen Bundeskanzler Helmut Kohl und das Saarland von einer ebenso ausgelaugten sozialdemokratischen Regierung unter Oskar Lafontaine regiert. Der Ministerpräsident selbst war vor allem mit seiner Bundespartei beschäftigt, die er immerhin in einem bemerkenswerten Kraftakt von einer 32-Prozent-Partei [das wäre heute ein Traum! Anm. AK 2025] zur Regierungsfähigkeit zurückgeführt hat. Ohne diese Leistung wäre Gerhard Schröder nicht Bundeskanzler geworden. Doch dies ist ein anderes Thema.

Im Saarland selbst, das wir hier modellhaft vorstellen wollen – als mögliches „Entwicklungslabor für neue Ideen“ –, herrschte Flaute. Ausgebrannt und lustlos wurstelte die Regierung vor sich hin. Zudem ließ die Diskussion über den Finanzausgleich erkennen, dass die Existenzfähigkeit des Saarlandes erheblich gefährdet war.

Diskussionen drehten sich wieder und wieder um die alten Themen der Schwerindustrie, insbesondere um die Kohlepolitik, die dieses Land über Jahrzehnte geprägt hat. „Kohlevorrangpolitik“ hieß das dann immer und „Priorität für den Montankern“. Es war nicht nur die Abhängigkeit von einem maroden Subventionssystem, das dem kleinen Flächenland im Südwesten Deutschlands enorme Folgeprobleme bereitet hat, sondern auch die mentale, die mindestens ebenso schwer wiegt. Diese mentale Fixierung auf die Alt-Industrien hat dem Saarland sehr geschadet; die Konzentration der finanziellen Hilfen für Kohle und Stahl hat das Land fast ruiniert.

Stellen Sie sich nur eine einzige Minute vor, von den mehr als 25 Milliarden Mark, die in Fässer ohne Böden geflossen sind, sei auch nur eine einzige Milliarde konsequent in die Erneuerung der Saarwirtschaft gesteckt worden. Nein, die alten Regierungen von CDU und SPD haben wider jede Vernunft auf strikte Zukunftsorientierung verzichtet und stattdessen zu stark Vergangenheit konserviert, um das eigene Wählerklientel zu bedienen. Das hat bei Röder angefangen, ging bei Zeyer weiter und wurde von Lafontaine fortgesetzt. Als ich Zeyer für die Fortsetzung dieser Fehler kritisiert habe, bin ich fast aus der CDU geflogen.

Immerhin kam unter Lafontaine doch noch der große Sinneswandel, erkennbar auch an beeindruckenden Wissenschafts-Instituten an der Saar-Uni. Das hätte sich auch anderswo fortsetzen müssen.

Doch als die Verantwortlichen endlich erkannt hatten, dass sie umsteuern mussten, kam die deutsche Einheit – und so war plötzlich kein Geld mehr für den Strukturwandel da, denn den neuen Bundesländern ging es noch schlechter. So wurde umverteilt – zu Lasten der alten Bundesländer, und dies traf das bis dato stark unterstützte Saarland besonders hart.

Die Chance des Jahrhunderts, Milliardensummen für konsequente Erneuerung auszugeben, wie die Bayern dies seit langem pflegen, war zunächst einmal verpasst. Und so lamentierten sie abermals und schoben „dem Bund“ die Schuld für eigenes Versagen zu.

Panta rei – alles fließt. Selbst in der öffentlichen Verwaltung wird nicht nur über Reformen diskutiert, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schienen. Rathaus-Chefs und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sogar bereit, sich von lieb gewordenen Gewohnheiten zu verabschieden, um fit fürs neue Jahrtausend zu werden. Wind of Change – eine neue Chance! [Das war leider viel zu optimistisch. Ich habe die Beamtenmentalität unterschätzt! AK 2025]

Doch es gibt noch immer genügend Bedenkenträger, die grundlegende Veränderungen verhindern wollen. Schon werden die alten Schützengräben wieder ausgehoben. Gewiss gibt es Verhinderer, die ihren Widerstand auch lautstark artikulieren. Wenn sie den Weg nicht mitgehen wollen, werden sie wohl oder übel auf der Strecke bleiben (müssen). Oder sie passen sich an und reagieren flexibel auf neue Herausforderungen.

Ich gehe den nicht ganz bequemen Weg, in fast allen Politikbereichen Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Im Duden der sinn- und sachverwandten Wörter steht neben „Selbstverständlichkeit“ der Ausdruck „Plattheit“ – und einige Zeilen weiter oben der Begriff „Selbstverliebtheit“ mit den Verwandten Narzissmus und Selbstbefriedigung. Mit Selbstverliebtheit, Plattheit und Unbeweglichkeit aber ist Politik in Zukunft nicht mehr erfolgreich zu gestalten.

Die Folgen sind absehbar: Wer Dogmen in Frage stellt, muss zunächst einmal mit heftiger Gegenwehr der Etablierten rechnen, die ihre Pfründe verteidigen. „Sprengt die alten Fesseln“ – das ist zunächst einmal eine Provokation für all diejenigen, die sich im jetzigen System bequem eingerichtet haben.

Für einen Bürgermeister in Amt und Würden wäre es einfach, den bequemen Weg der Anpassung an den Mainstream zu gehen. Trotzdem ziehe ich es vor, eine Diskussion über die Zukunft eines Bundeslandes, das vielleicht modellhaft für andere Länder stehen kann, zu führen – und damit auch der Diskussion über den Föderalismus neue Impulse zu geben.

Es geht nicht darum, besserwisserisch oder oberlehrerhaft Ratschläge zu geben. Entscheidend ist, dass die Diskussion Kreise zieht – und dass daraus neue Projekte entstehen, die dieses Land, das zwischen 1985 und 1999 durch politische Fehlentscheidungen im Strukturwandel gebremst wurde, zukunftsfähig machen.

Vieles wird in Reinform nicht umsetzbar sein. Auch ist nicht daran gedacht, das föderale System von heute auf morgen auf den Kopf zu stellen. Aber Reform muss schon sein. Ein Reförmchen genügt nicht. Für Anregungen bin ich dankbar. Diskussionsbeiträge sind ausdrücklich erwünscht.“

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Kommentar (heute, 2025):

Erstaunlich, wie wenig sich an der Grunddiagnose geändert hat. Der Text ist über zwei Jahrzehnte alt – und doch wirkt er aktueller denn je. Noch immer lähmen Besitzstandswahrung, mentale Fixierungen und föderale Trägheit notwendige Veränderungen. Noch immer fehlt eine klare Zukunftsorientierung in vielen politischen Bereichen. Was wir damals forderten, ist heute dringlicher denn je: Mut zur Reform, Bereitschaft zum Perspektivwechsel – und endlich ein echter Aufbruch in die nächste Epoche. Reformen sind kein Luxus. Sie sind überfällig.

In Sachen Kohle macht die RAG-Stiftung, was sie will – zu Lasten der Menschen in diesem Land wird der Untergrund geflutet. Die Grubenflutung ist in meinen Augen ein Skandal- Aber das will ja niemand hören in der Politik. Da gab es wohl „Deals“ in der Vergangenheit.

Und für die Stahlindustrie sind mal wieder Milliarden Euro vorgesehen. Für „grünen Stahl“, den es nicht gibt und der vermutlich auch nie wettbewerbsfähig wird ohne Subventionen.

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Persönliche Anmerkung:

Ich war schon 2001 kritisch, auch meiner damaligen und langjährigen Partei CDU gegenüber. Das habe ich auch öffentlich gemacht.

Leider bin ich nur kommunal mit Reformen vorangekommen.

Landesweit stecken wir seit zwei Jahrzehnten auf wichtigen Feldern fest (Digitalisierung, Modernisierung, Kooperationen).

Und bundesweit erleben wir eine Rolle rückwärts ins 20. Jahrhundert.