Vortrag beim Lions-Club Kaiserslautern
Wenn man Demographie auf eine knallige Schlagzeile bringen will, dann kann man sagen: „Keine Kinder keine Rente“ oder, nicht ganz so dramatisch, “Weniger Kinder, weniger Rente”, und damit sind wir mitten in einem topaktuellen Thema.
Es hat in den letzten Tagen und Wochen in allen Nachrichtensendungen eine zentrale Rolle gespielt. Ich nenne nur die Stichworte Ursula von der Leyen, Zusatzrente, Generationengerechtigkeit und Altersarmut. Die Rentendiskussion wird zu einem zentralen Politikfeld des demographischen Wandels. Dort werden die politischen Schlachten der Zukunft geschlagen.
Es geht um nichts weniger als um die Grundausrichtung künftiger Politik in Deutschland.
Sicher: Es wird keine bruchartigen Veränderungen geben. Trotzdem werden wir eine gesellschaftliche Radikalreform erleben, bei der es entscheidend um die Frage geht, ob dieses Land zukunftsfähig ist oder nicht.
Damit werden auch ideologische Auseinandersetzungen verbunden sein. Es geht in erster Linie darum, was der Staat künftig leisten kann, was er leisten muss, was Generationengerechtigkeit ist, was Kinder wert sind, welchen Rentenwert und welchen gesellschaftlichen Wert Erziehung hat, wie Wirtschaft künftig funktioniert, wenn Humankapital fehlt, ob und wie Erziehung und Beruf besser miteinander in Verbindung zu bringen sind, ob Familienpolitik zu einem Standortfaktor in der kommunalen und regionalen Politik wird, welche Boni Firmen ihren Facharbeitern geben, damit sie mit ihren Familien nicht abwandern.
Es geht – und damit ist ein mindestens ebenso spannendes Thema angesprochen – um würdiges Altern, um die Frage, wie Menschen, die diesen Staat aufgebaut und über Jahre gestaltet haben, im Alter leben werden, auch um die Frage, wie Pflege gewährleistet wird. Es geht um Geld, es geht um Gesundheitspolitik, es geht um Infrastruktur, um Bildungspolitik, um Mobilität, um längere Lebensarbeitszeiten, es geht ums Zusammenleben, es geht um Menschlichkeit und Gerechtigkeit.
Im Kern geht es um die Frage, wie wir künftig leben wollen.
Verkürzt man das Thema auf Nachrichtenformat, kann man sagen: Die Gesellschaft in Deutschland altert. Das gilt umso mehr für das Saarland. Wir sind hier Vorreiter einer Entwicklung, die uns alarmieren müsste.
Wir haben zu wenig Kinder, zu wenig Nachwuchs für das Berufsleben. Und schon jetzt ist erkennbar, dass wir in Zukunft zu wenig Facharbeiter haben und zu wenig junge Leute, die die Renten von morgen bezahlen.
Unsere Gesellschaft altert nicht nur, sie schrumpft auch in vielen Regionen.
Wir erleben das Ende des Wachstums-Paradigmas, und wir wissen bisher nicht, wie wir damit umgehen sollen. Außerdem haben wir künftig viel mehr Singles – junge Singles und vor allem alte Singles, einsame alte Singles auch.
Die Gesellschaft wird auch multinationaler, multikultureller. Die Frage des Migrationshintergrunds und der Integration wird in den nächsten Jahren eine zunehmende Rolle spielen.
Demographen bringen die Entwicklung auf die einprägsame Formel: Weniger, älter bunter – ich füge hinzu: einsamer und ärmer – ein seltsames Gemisch, ein brisantes Konglomerat.
Demographie geht alle an, und es gibt kaum ein politisches Feld, das nicht vom demographischen Wandel berührt wird. Wir können diesem Thema also nicht entgehen, wir können ihm auch nicht ausweichen, und deshalb freut es mich, dass Sie sich mit der Frage des demographischen Wandels heute auseinandersetzen.
Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar, und es nutzt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken, bis die Probleme vorübergehen, sie werden nämlich nicht vorübergehen.
Demographischer Wandel findet statt. Er ist kein Phänomen von morgen, sondern Realität heute. Die Deutschen sterben nicht aus. Entsprechende Äußerungen sind statistisch selbst für einen langen Prognosezeitraum zu widerlegen. Prägnant gesagt: sie sind Quatsch.
Aber: Behauptungen, der demographische Wandel sei ein medial aufgeblasener Popanz und nicht wirklich von Bedeutung, sind statistisch ebenfalls widerlegt. Wir müssen also ernsthaft Maßnahmen im Rahmen des demographischen Wandels ergreifen, die frühzeitig Anpassungen ermöglichen.
Zweite Frage: Ist demographischer Wandel überall in Deutschland gleich?
Klare Antwort: Nein.
Es gibt nicht den demographischen Wandel für ganz Deutschland. Stattdessen stellen wir seit Jahren regional unterschiedliche Entwicklungen fest. Im Metropolregionen erleben wir Wachstum, im Saarland in der Westpfalz, in Teilen Niedersachsens, Schleswig Holsteins, Hessen und Bayerns erleben wir dagegen Schrumpfung und Abwanderung.
Zu den wichtigsten demographischen Symptomen und Mustern gehören Kindermangel, Leerstände von Wohnungen, Häusern und Geschäften sowie Erosionstendenzen in Stadtkernen und Industriebrachen.
Problematisch ist die gespaltene Dynamik zwischen wachsenden Boomregionen und schrumpfenden Ländern. Das gefährdet die Leitvorstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland.
Deshalb wird die Konkurrenz um Arbeitsplätze und junge Menschen weiter wachsen. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Ich warne aber vor einfachen Mustern: Großstädte sind nicht unbedingt die klaren Gewinner: Wohnungsdruck, Migrationsdichte, Sicherheitsfragen, Integrationsprobleme und Immobilienpreise sind Hindernisse für eine neue Urbanisierung. Auch der Trend zu Nachhaltigkeit und Entschleunigung gibt den suburbanen Räumen Chancen. Schwierig wird’s für den ländlichen Raum. Er muss neue Imageprofile entwickeln und eine Grundausstattung der Infrastruktur sichern.
Können wir gegensteuern?
Klare Aussage: nein.
Die großen demographischen Trends lassen sich kurzfristig nicht steuern. Das gilt vor allem für Geburtenraten und Kinderwunsch. Sie sind abhängig von langfristigen persönlichen Einstellungen und sozialen Prägungen. Und deshalb soll so ein Quatsch wie lokales Babygeld verboten werden. Das ist rausgeschmissenes Geld.
Die Rahmenbedingungen dafür können in der Regel nur auf nationaler und europäischer Ebene gesetzt werden.
Demographischer Wandel lässt sich aber in lokalen Teilbereichen mittelfristig steuern, wenn es um Infrastruktur, Kooperationen, Bündnisse, Bürgerbeteiligung und um Kommunikation geht. Vor allem das Ehrenamt kann verstärkt genutzt werden. In diesem Bereich gibt es großes Potenzial, die Herausforderungen des demographischen Wandels gemeinsam zu bewältigen. Dies ist auch notwendig.
Denn:
Wo zentrale Fragen zu bewältigen sind, muss die Bevölkerung intensiv beteiligt werden. Seit Stuttgart 21 gilt ein neues Paradigma. Mit Basta-Politik ist kein Staat mehr zu machen, hat Heiner Geißler gesagt. Und damit hat er verdammt ziemlich recht.
Ich nenne dies MIT-Komm-Strategie. Motivation, Information, Teilhabe und intensive Kommunikation.
Wir haben dies in meiner Gemeinde, in Illingen, praktisch getestet. Und es hat prima funktioniert.
Auf Initiative der Bevölkerung haben wir ein Haus der Kinder gebaut, dass von der Krippe über die Kita bis zur Ganztagsschule alles unter einem Dach bietet. Geplant und realisiert wurde es von Eva Steinebach. Es ist ein tolles Haus geworden, ein Modellprojekt des demographischen Wandels.
Wir haben weitere tolle Partizipationsprojekte in die Tat umgesetzt. So ist in ein leeres altes Arbeitsamt ein neues Jugendzentrum eingezogen. Jugendliche durften planen, mitentscheiden und mitgestalten. Obwohl sie jahrelang auf einen neuen Standort warten mussten, waren sie während des gesamten Prozesses hochmotiviert. Und so engagiert gingen sie auch zur Sache. Sie haben kein Jugendzentrum, das ihnen Erwachsene vorgesetzt haben, sondern ein Juz, wie sie es sich selbst wünschten. Es ist ihr Zentrum, auf das sie achtgeben und das sie in Schuss halten. Auch dies ist ein großer Erfolg. Partizipation funktioniert also auch bei Jugendlichen. Man muss sie nur richtig beteiligen.
In einem anderen Ortsteil erprobten wir praktische Quartiers Arbeit. Wir haben drei Häuser abgerissen, Gelände an die Nachbarn verkauft und jetzt gemeinsamer Arbeit von Jung und alt Über 200 Arbeitsstunden einen Dorfplatz angelegt. Gefeiert wurde dies auf typisch saarländischer Art mit Urpils und Lyoner. Auch das hat funktioniert, ebenso wie das erste saarländischer Leerstands Kataster. Immer ging es darum, die Bevölkerung einzubeziehen, denn was alle angeht, können nur alle lösen.
Es ist mein Credo bei allem was wir tun. Was alle angeht können nur alle lösen.
Im demographischen Wandel gibt es vieles, was alle angeht. Ob es um die Schließung von Einrichtungen geht, die Fusion von Vereinen, die Kosten für Infrastruktur, die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden, ob es um Quartiersarbeit geht, um ehrenamtliches Engagement, um Zeitspender, immer wollen die betroffenen Bürger gefragt sein. Und das ist gut so. Die Mit-Kommen Strategie ist ein Schlüssel des Erfolgs. Deshalb plädiere ich Land auf Land ab dafür.
Der wichtigste Punkt in der ganzen Debatte: die Prioritäten der Politik müssen sich verschieben. Wir brauchen nachhaltige Systeme, wir brauchen Generationengerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit. Wir wollen keinen Kannibalismus der Kommunen, sondern Kooperationen. Wir müssen Netzwerke, Nachbarschaftshilfen, Selbsthilfeaktivitäten und lokale Beratungsangebote ausbauen. Vieles wird sich verändern. Dabei ist die freiwillige Mithilfe der Bürger in der Zivilgesellschaft unbedingt notwendig.