Armin König

Der Tag der Präsidentenwahl wird Deutschland verändern

Ein subjektiver Kommentar an ein Tag voller Emotionen

Deutschland hat einen neuen Bundespräsidenten: Es ist Christian Wulff, der erst im dritten Wahlgang mit Mehrheit gewählt wurde – dann aber mit absoluter. Wir gratulieren ihm herzlich und wünschen ihm im neuen Amt von Herzen alles Gute. Ich bin sicher, Wulff wird alles daransetzen, ein Präsident aller Deutschen, ein Präsident der Herzen zu werden. Und wenn er sich gute Redenschreiber sucht, kann er auch mit dem Wort Politik machen. Ob er das will, wissen wir nicht. Wir hoffen es, und vielleicht schreibt es ihm ja einer…

Joachim Gauck hat mich in mehrerer Hinsicht überrascht. Er ist ein charismatischer Mensch, der reden kann, der einen klaren Standpunkt hat, der Menschen hinter sich vereinen kann. Wie Gesine Schwan hat auch er um Wähler geworben, aber viel geschickter und viel wirkungsvoller als die Köhler-Gegenkandidatin. Ich hätte ihn gern zu meinem Favoriten erkoren, wäre er nicht von Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin auf so durchsichtige Art instrumentalisiert worden. Auch das hat mich überrascht. Was mir gefiel, war die Bereitschaft von Wulff und Gauck, mit vorbildlicher Fairness um Mehrheiten zu werben. Das gibt es im Haifischbecken der Politik also doch noch, und dies lässt hoffen.

Deutschland hat gewonnen, weil es selbstbewusste Wahlmänner und -frauen gewonnen hat, die ihre eigene Meinung mit Rückgrat vertreten. Das macht das Geschäft für die Parteien nicht leichter, aber es macht die Demokratie lebendiger.

Deutschland hat gewonnen – auch deshalb, weil die Politik ins öffentliche Leben zurückgekehrt ist. Die Deutschen lassen sich nicht länger von billiger Unterhaltung ablenken. Sie interessieren sich wieder für Politik, sie wollen sich einmischen und mitmischen. Und sie lassen sich nicht mehr so gern ein X für ein U vormachen. Eine neue Ernsthaftigkeit ist eingekehrt, und die ersten, die dies leidvoll erfahren haben, waren die Freien Demokraten, denen jetzt allmählich dämmert, dass sich der Wind gedreht hat. Aber noch haben sie weder den richtigen Kurs noch eine Idee, wohin sie sich wenden sollen.

Die großen Verlierer dieser Wahl aber sind die Linken und Angela Merkel.

Die Linken, die bis heute nicht in der deutschen Demokratie angekommen sind, haben sich als Reaktionäre geoutet, mit denen niemand Deals eingehen sollte. Sie sind ewig Gestrige, in der Wolle gefärbte Sozialisten, nostalgische Verklärer eines Staates, der MIllionen Menschen unterdrückt und ihrer Freiheit beraubt hat. Eine Wahl Gaucks wäre ein historischer Moment für die Linke gewesen. Nun hat sie sich auf Jahre ins Abseits gestellt. Und Oskar Lafontaine und Gregor Gysi haben auf offener Bühne die Maske abgelegt und vor Millionen Deutschen bewiesen, wes Geistes Kinder sie sind. Es war ein erbärmliches Schauspiel.

Eine Verliererin des Tages ist aber auch und vor allem Angela Merkel. Die Bundespräsidentenwahl 2010 war eine gewaltige Schlappe für sie. Dass im ersten Wahlgang vermutlich 41 von der Union und der FDP nominierte Mitglieder der Bundesversammlung nicht für Christian Wulff stimmten, war mehr als ein Denkzettel. Es war eine Misstrauenserklärung gegen das System Merkel. Schon bei der KanzlerInnenwahl hatte sie die Koalition nicht vollständig für sich begeistert. Jetzt ist ihr fast ein kleiner Landtag abhanden gekommen. Das ist eine Sensation.

Jetzt werden auch viele an der CDU-Basis sagen: Nein, wir wollen dieses System Merkel nicht mehr. Sie hat diese Partei entkernt und entseelt. So lange sie als flexible Managerin der Macht Erfolg hatte, sind wir ihr nolens volens gefolgt. Dafür gibt es seit heute keinen Grund mehr. Und deshalb müssen wir ab heute über die Neuaufstellung der CDU und die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz diskutieren. Die Christlich Demokratische Partei hat eine große Tradition. Sie steht für Werte, die diese Republik weltweit erfolgreich gemacht haben: Freiheit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Familiensinn, Verantwortung für Schwächere, Bewahrung der Schöpfung. Sie steht aber auch über Deutschlands kulturelle Werte, für Gründergeist, für Mut zu Innovationen. Und sie steht für Europa und Westbindung. Bündnisse haben Deutschland stark gemacht, Netzwerke haben Einfluss jenseits politischer Macht gesichert. Wofür steht Merkel? Wir ahnen es nur, doch wir wissen es nicht. Und allmählich dämmert es uns, dass sich das nicht mehr ändern wird. Sie wird noch eine Weile Kanzlerin sein, aber das ist ein endliches Geschäft.

Die Luft ist dünn geworden. Alle potenziellen Rivalen sind aus dem Rennen, weggedrängt, haben aufgegeben, resigniert, sind mangels eigener Stärke vom Wähler aussortiert worden. Die CDU ist zur Ein-Produkt-Partei geworden. Sie hat nur noch Merkel anzubieten und sonst nichts. Das ist zu wenig. Kein Autokonzern könnte so überleben, kein Dienstleister, keine Organisation.

Und deshalb müssen wir das jetzt ändern.

Und deshalb wird der Tag der Präsidentenwahl auch Deutschland verändern.

Verändert hat sich schon die politische Kultur. Immer häufiger sehen sich Verlierer als virtuelle Gewinner: Auch diesmal war dies wieder so. Diese undemokratische Unart begann mit Gerhard Schröders rüpelhaften Auftreten am Abend der verlorenen Bundestagswahl, seither kultiviert die SPD das Zelebrieren von Niederlagen, denen sie den Anschein von Siegen geben will. Ein völlig absurdes Verhalten, das die Wähler für Esel hält. Solche politischen Eseleien aber rächen sich.

Ein Wort noch zu Twitter. Dort spricht nicht das Volk, aber die sich dort aussprechen, gewinnen zunehmend Popular-Macht. Es ist eine anarchistische Machtkonstellation mit partiellem Herdentrieb. Aber es ist auch ein Medium mit unglaublich vielen klugen Menschen, die kluge Meinungen vertreten, die ihrerseits retweetet und damit massentauglich gemacht werden. Das ist außergewöhnlich spannend.

Nie zuvor ist im Internet so wirkmächtig über Politik gestritten worden. Die Gauckisten waren in der Überzahl. Gerade Gauckisten waren es auch, die – nachdem sie Teil einer Kampagne geworden waren – in einer Art und Weise intolerant agierten, wie es ihrem Kandidaten nie in den Sinn gekommen wäre. Ich habe das bisher auf Twitter nicht so erlebt.

Vielleicht haben die Gauckisten unter den Twitterern ja wirklich geglaubt, sie könnten einen Präsidenten machen. Das hat wohl auch zum partiellen Beleidigtsein zahlreicher #notmypraesident-Aktivisten beigetragen, als ihr Kandidat nicht gewählt wurde.

Die Twitteria wird sich beruhigen, die deutsche Parteipolitik nicht. Die SPD wird sich stark und stärker fühlen, ohne es bisher zu sein, die CDU wird sich in Flügelkämpfen aufreiben, die FDP ist dabei, sich um Kopf und Kragen zu reden, die Linke hat dies bereits getan, nur die Grünen können sich als Sieger fühlen.

Deutschland hat die Politik wiederentdeckt, die direkte Demokratie gewinnt an Einfluss, die Diskussion um die Direktwahl des Bundespräsidenten und der Ministerpräsidenten wird nicht mehr aufzuhalten sein, und die CDU wird sich entscheiden müssen, ob sie die Zukunft gewinnen oder mit einer Kanzlerin auf Abruf auf Talfahrt gehen will.

Politics are back in Germany. Das ist gut so. Jetzt gilt es, die Demokratie fit zu machen fürs 21. Jahrhundert. Denkbar, dass wir die klassischen Volksparteien mittelfristig dafür nicht mehr brauchen. Um so mehr brauchen wir einen Präsidenten, der uns in diesen unsicheren Zeiten Orientierung gibt.

Sie haben die Chance, Herr Wulff. Nutzen Sie diese Chance. Werden Sie unser aller Volkspräsident.

Alles Gute auf Ihrem Weg.
Wir brauchen Ihr Engagement. Viel Glück dabei.