Armin König

Ein Gigant – Erinnerungen an Bundeskanzler Helmut Kohl – und eine ganz persönliche Würdigung

Mit einem europäischen Staatsakt ist am Samstag der frühere Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) gewürdigt und anschließend zu Grabe getragen worden. Er hat Deutschland als „Einheitskanzler“ geprägt wie kaum ein anderer Politiker. Als „Grenzländer“ in einem vereinten Europa haben wir Saarländer ihm viel zu verdanken. Wir haben eine würdige überstaatliche Zeremonie für einen großen Europäer erlebt, überschattet allerdings von großen familiären Konflikten. Das war ein öffentlich inszeniertes Drama von geradezu griechischer Klassiker-Dimension – zum Heulen.
Ich habe diesen im Wortsinn großen deutschen Kanzler mehrfach aus nächster Nähe erlebt. Ob er Illingen kannte? Ja, er kannte Illingen. Das hatte einen ganz einfachen Grund: Seine Schwester Hildegard Getrey war hier in der ctt-Klinik St. Hedwig in Behandlung, und sie hat mir gesagt: „Wenn Sie mal ein besonderes Anliegen haben, dann wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.“ Dieses besondere Anliegen hatte ich allerdings lange vorher schon, und Helmut Kohl hat es erfüllt. Als ich mich 1995 entschied, in einer der ersten Direktwahlen des Saarlandes für das Amt des Illingers Bürgermeisters zu kandidieren, habe ich gefragt, ob ich für meinen Kandidatenprospekt ein Foto mit ihm machen dürfe. „Kommen Sie nach Karlsruhe zum Bundesparteitag“, ließ Kohl wissen. Mit mir war auch Wolfgang Alles in Karlsruhe, der in Freisen kandidierte. Wir staunten bei der großen Partei-Abendshow, dass Kohl neben dem damals populären Hammond-Orgel-Star Franz Lambert auf der Orgelbank saß und sich eine Polonäse wünschte. Er thronte auf dem Podest, während der gesamte Parteitag unter Anführung von Hannelore Rönsch und Volker Rühe an ihm vorbeidefilierte. Tags darauf ging es zur Sache. Man debattierte über die Modernisierung Deutschlands, über Wissenschaft und Politik im vereinten Deutschland. „Ein Arbeitsprogramm auf dem Weg in das 21. Jahrhundert“ stand auf der Tagesordnung. Wissenschaftler traten auf: Hubert Markl, gewählter Chef der Max-Planck-Gesellschaft, Wolfgang Frühwald, die von CERN, vom „Raumschiff Erde“, der „digitalen Existenz“, dem Zugriff auf 15.000 Fernsehkanäle und weltweiter Volltextrecherche sprachen, von einer völlig neuen, vernetzten Welt, von europäischer Kühnheit, von Technikangst und Technikfaszination. Mich hat das elektrisiert. Wir ahnten nicht, dass es Firmen wie Apple, Facebook und Google geben würde, die dies ein Dutzend Jahre später in die Tat umsetzen würden. Bundeskanzler Helmut Kohl war 1995 auf dem Gipfel seiner Macht. In einer Tagungspause bat er Wolfgang Alles und mich zum Portrait-Foto – fast unmöglich: Vor mir stand ein Riese, dessen joviale Stimme den Raum füllte („Ist denn der Junge schon abgestillt“, fragte er Alfons Vogtel) – und ich fühlte mich wie ein Zwerg. Das Foto mit Kohl ist für mich zum Talisman geworden. Ich habe Kohl rund ein dutzend Mal erlebt – ganz nah beim Landtagswahlkampf 1985, in der CDU-Landtagsfraktion, als Journalist in der Landespressekonferenz und in der Mainzer Staatskanzlei. Und natürlich habe ich Kohl als „Schlachtross“ in vielen Wahlkämpfen gesehen. Das war sein Metier. Genau wie die große staatsmännische Geste. Die beherrschte er wie kein Zweiter. Er war ein großer Kanzler, ein großer Europäer, ein Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft. Zu seiner Persönlichkeit gehören aber auch seine Unversöhnlichkeit, seine Einteilung in „Freund und Feind“, seine Sturheit, sein Narzissmus.
Für uns Saarländer hatte er ein besonderes Faible. Er kannte die saarländische Geschichte, den Bergbau, das Steigerlied, unseren Part für die deutsch-französische Verständigung – und die saarländischen Politiker von Röder über Zeyer, Lafontaine, Peter Müller und Peter Hans, den er „den Grauköpfigen“ nannte. Mit uns Saarländern hatte Kohl etwas mehr Nachsicht als mit Anderen, auch wenn wir kritisierten. Ohne ihn und seine Unterstützung wäre ich nicht der, der ich heute bin.
Helmut Kohl war ein großer Europäer, ein großer Kanzler, ein großer Staatsmann – mit nicht wenigen Schattenseiten. Wir Deutschen und insbesondere wir Saarländer haben ihm viel zu verdanken, nicht zuletzt die große Teilentschuldung. Er möge seinen ewigen Frieden mit Gottes Segen finden.

Wir verneigen uns vor ihm.

Armin König