Armin König

Es gibt noch guten Journalismus: SZ und Welt klasse – Radmafiosi, Apple-Hybris, Vox Populi

Das war ein guter Tag für den Journalismus. Qualitätsjournalismus lohnt sich doch: für die Leser, die Fakten und Analysen zu schätzen wissen, und für die Journalisten, denen es sicherlich Freude macht, mit brillanten Artikeln und Interviews Wirkung zu erzielen. Nicht mit platter Skandalisierung Auflage zu schinden, sondern mit Fakten und Analysen zu überzeugen – das ist eine hohe Kunst.

Der Coup des Tages gelingt der Süddeutschen Zeitung. Andreas Burkert hat ein Interview mit dem 3maligen Tour-de-France-Sieger Greg LeMond geführt, das schonungslos das „System Armstrong“ entlarvt. So klar hat das noch kein Insider beschrieben, nicht einmal Kronzeug Floyd Landys: „Schweigen, zahlen – es ist fast wie bei der Mafia“. Der 49jährige Greg LeMond rechnet ab: mit dem großspurigen Lance Armstrong, dem Marionettentheater beim Radsportverband UCI und seinem Chef Pat McQuaid, den Schauspielereien des Tour-Veranstalters A.S.O., den Durchstechereien, den Lügen, den Helfershelfern. Zu Armstrong sagt LeMond: „Ja, er hat sie alle in der Hand, die Veranstalter, die Organisation dahinter. Immer noch. Es ist ja nicht nur seine Art, die kontrovers ist: Er hat positive Dopingproben abgeliefert wie 1999…“ Aber der offizielle Radsport schweigt, der Verbandschef hat Geld von Armstrong genommen, wie inzwischen offiziell bestätigt – Spenden, wie es heißt, von 125.000 Dollar, LeMond spricht sogar von 500.000 $ -, die natürlich niemand als Schweigegeld bezeichnet hat oder bezeichnen würde, denn Armstrong ist dafür bekannt, dass er einen langen und starken Arm hat. LeMond ist ein gebranntes Kind. Armstrong sei nach kritischen Äußerungen in sein Leben gerast. LeMond hatte eine Todsünde begangen: einen Kommentar über Armstrongs Zusammenarbeit mit Michele Ferrari zu schreiben, dem verurteilten italienischen Dopingarzt. Lance rief LeMond an „und er sagte, er werde zehn Leute auftreiben, die bezeugen, dass auch ich Epo genommen hätte- wie alle halt, diese Episode ist ja seit damals bekannt. Aber seitdem nahm er plötzlich Einfluss auf mein Leben, auf meine Fitness-Firma in Montana, auf die Radfirma Trek, für die er wirbt, sie trennte sich von mir. Er versucht halt, andere zu dominieren. Wie früher im Rennen.“

Greg LeMond hält Lance Armstrong anscheinend für einen ganz schlimmen Finger: „Es wird Zeit, dass er geht. Er und seine Leute waren meiner Meinung nach das Schlimmst, was dem Radsport passiert ist. Aber es ist schon verrückt, wie groß das Bestreben ist, seine Story am Leben zu erhalten.“

Dafür musste auch Patrice Clerc gehen, der frühere Präsident des Tourveranstalters A.S.O. – ein Armstrong-Opfer auch er. Rausgeschmissen.

Jan Ulrich musste den Radsport aufgeben, weil Leugnen bei ihm nichts half, auch andere sind weg vom Tour-Geschehen. Aber der Dominator und „seine Maschine“, die die Armstrong-Story am Leben hält, sind immer noch da. Armstrong bestimmt noch immer, was läuft. „Ja, er hat sie alle in der Hand.“ Der gute Mensch, der den Krebs überwunden und nie etwas Verbotenes genommen hat. The Winner Takes It All.

Aber das Denkmal hat starke Risse bekommen, vielleicht wird es jetzt vom Sockel gestoßen. Sportlich ist Armstrong in dieser Tour 2010 k.o. gegangen. Wie er bei seinem spektakulären Sturz zu Boden ging und auf dem Allerwertesten über den harten Asphalt rutschte, das hatte in seiner ganzen Peinlichkeit und Komik Symbolkraft: ein gescheiterter Held, der ins Abseits schlittert. Wie überhaupt diese Tour von ihren Bildern und Symbolen lebt. Aufstieg und Fall der Helden – nirgendwie ist dies so hautnah zu erleben.

Und Armstrong könnte fallen, sein Kartenhaus zusammenstürzen, seit in den USA Jeff Novitzky ermittelt, der auch den Balco-Skandal ans Licht gebracht und Marion Jones gestellt hat, die später wegen Meineids sechs Monate in den Knast musste.

Zu Novitzky sagt Greg LeMond: „Ich habe gehört, dass er sich nicht beeinflussen lässt. Und das wäre sicher das Einzige, worauf Armstrong noch bauen könne: Auf seine Kontakte in die Politik. Aber es wird nichts helfen. Und im Gegensatz zu seiner Sache war Balco ein kleiner Fall.“

Was für ein Interview! Da haben sich zwei gesucht und gefunden: Ein erstklassiger Sportjournalist, der die richtigen Fragen stellt, und ein mutiger Sportler, der nicht schweigen will und keine Angst vor dem Konflikt mit dem großen Armstrong hat.

Das Interview endet mit einem Knaller: Greg LeMond behauptet, Armstrong habe versucht, einem Fahrer 300.000 Dollar zu bezahlen, damit dieser behauptet, LeMond habe Epo genommen. Dieser Fahrer arbeite heute noch im Feld. Er habe aber abgelehnt, weil der Vorwurf nicht stimme.

„Hey, wie viele Indizien braucht man denn noch für Armstrong?“ fragt LeMond. Das wird unter anderem Jeff Novitzky beantworten.

Dieses Interview ist großer Journalismus.

Gewohnt brillant ist Heribert Prantl in seinem Essay „Die neue Bürgerwehr“ im SZ-Wochenende. Angesichts der Volksabstimmungen zur Rauchen in Bayern und zur Schulreform in Hamburg stellt Prantl fest, dass Bürgerbegehren und Volksentscheide immer öfter die Politik bestimmen. Vox populi ist nicht meh rVox Rindvieh, wie Franz-Josef Strauß selig süffisant bemerkt hatte. Kritisch fragt Prantl: Sind wir vorbildliche Demokraten oder nur Stimmvieh?“ Zwar schränkt er ein, dass ein Plebiszit kreativ und destruktiv sein kann, aber er kommt zu einem wichtigen Ergebnis, einem demokratietheoretischen Paradigmenwechsel: „Aus einem plebiszitären Grundrauschen, das nun schon eine Generation lange währt, ist mittlerweile eine kraftvolle Bewegung geworden. Aktive und ehemalige Verfassungsrichter, Professoren des Staatsrechts und auch immer mehr Politiker loben das Plebiszit – nicht als Wundermittel, aber als Medizin“ [so auch im Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, A.K.]

Eine gewisse WELT-Klasse kann man auch dem Springer-Flaggschiff heute nicht absprechen. Thomas Heuzeroth nimmt sich den selbstgefälligen Steve Jobs zur Brust. Dessen katastrophales Krisenmanagement und mangelnde Lernfähigkeit sieht Heuzeroth als Beginn der „Götterdämmerung der Kultmarke Apple“. Apples Verhalten gegenüber Kunden sorgt für Kopfschütteln, zumal immer mehr Applianer zornig werden, schließlich haben sie teures Geld bezahlt. Die kleine Attacke, die Heuzeroth reitet, macht Spaß, zumal er mit dem Florett fechtet.

Doch selbst diese kleinen harmlosen Piquen reizen echte Apple-Fans zu wütenden Reaktionen. Das ist schon fast sektiererisch, wie wir in den Kommentaren zum Heuzeroth-Artikel unschwer erkennen. Mann, sind die zornig!

Trotzdem hat die Welt Recht: Wenn Apple sich nicht wirklich ändert, kann dies tatsächlich der Beginn einer Götterdämmerung sein. Die Geduld der ApfelEsser und ApfelMusen ist gewaltig. Aber beim Geld hört der Spaß auf. Und wenn die Dinger dann noch nicht funktionieren, erst recht.

Übrigens: Mein Apple iphone3 hat auch einen Scheiß-Empfang. Ich mag es trotzdem. Aber wenn jemand zum selben Preis etwas Besseres anbieten würde, würde ich wechseln. Ich bin nicht mit Apple verheiratet. Von iTunes-Musikkäufen bin ich schon weg. Ich lasse mich doch nicht knebeln. Amazon ist da viel kundenfreundlicher.

Be careful, Steve!

Armin König