Armin König

Gefährden graumelierte Skeptiker unseren Fortschritt? #s21

Ein subjektiver Diskussionsbeitrag, der um Debattieren einlädt. Debattieren Sie mit!

Die heftigen Auseinandersetzungen um das kommunale Projekt „Stuttgart21“ zeigen erstmals, dass das Funktionieren des repräsentativen Systems auch auf lokaler Ebene massiv in Frage gestellt wird. Dabei war das Projekt auf allen Ebenen demokratisch legitimiert, auch die Gerichte haben dies bestätigt. Das hindert ein Teil der Bürger aber inzwischen nicht mehr, auch gegen bereits beschlossene und baureife Projekte zu protestieren und sogar zu rebellieren. Die Widerstand hat eine neue Qualität. Dabei sind es nicht die üblichen Verdächtigen, die auf die Straße gehen. Noch ist es zu früh, eine soziologische Profilanalyse der Protestierenden vorzunehmen. Allerdings gibt es auf Grund der medialen Großberichterstattung Indizien dafür, dass nun auch bürgerliche Best-Ager und Senioren demonstrieren: gebildete Fortschrittsskeptiker, graumelierte Couch-Potatoes aus dem Alt-68er Lager, die Politik lange als Fernsehkonsumenten erlebt haben und nun beschlossen haben, das Ganze nicht mehr länger mitzumachen, Grüne, konservative Bewahrer.

Es fällt allerdings auf, dass nach den Müttern, die verständlicherweise gegen umstrittene Bildungsentscheidungen protestierten (u.a. gegen Grundschulschließungen im Saarland), nun Senioren  im politischen Aktions- und Diskursfeld eine größere Rolle als bisher spielen wollen. Ihre Kombattanten finden sie im saturierten Feuilleton der gehobenen Tages- und Wochenpresse – bei 68-Sozialisierten.

Natürlich muss sich die Jugend fragen, ob sie nun der Generation, die all die Jahre die Ressourcen des Staates genutzt und ausgereizt hat, erlaubt, die Chance auf Fortschritt und neue Ideen zu verbauen. Sie muss ihre eigenen Gesetze schreiben. Aber sie sollte sehr wohl auf die Skeptiker hören.

Es könnte nämlich sein, dass die Protestierenden empfindlich geworden sind angesichts diverser Unglücke, die durch blinden Ingenieurs-Fortschrittsglauben ausgelöst wurden, wie  es Dieter Bartetzko in der FAZ vom 16. Oktober 2010 suggeriert. Seine reißerische Überschrift „Auf Vernichtung läuft’s hinaus“ passt allerdings zur Richtung der Fortschrittsskeptiker, denen schon der PC ein Übel war, die den Homo Faber als Unheilsbringer ansehen und nun die heile Welt der Stuttgarter Schlossgartenbäume beschwören. Doch so heil ist die Welt nicht mehr, war sie nie.

Wenn im Diskussionsforum angemerkt wird (@plabberpapp), dass das Problem nicht die demokratische Legitimation sei, sondern „das Ausnützen von Lücken, die hinterher dazu führen, dass die Realität nichts mehr mit den Genehmigungen zu tun hat“, dann ist der Hinweis ebenso wichtig wie die Annahme, dass „wir der älteren Generation danken“ sollten, dass sie „stellvertretend für BErufstätige die Initiative ergriffen und Flagge gezeigt“ hat.

Abwägung ist jetzt das Gebot der Stunde.

Dass die Entscheider und die wirtschaftlich Mächtigen ihrerseits dieses Gebot missachten, dass sie Partizipation als irrelevant betrachten und mit ihrer Kommunikationsverweigerung kläglich scheitern, ist die andere Seite der Medaille. Völlig absurd und arrogant wird es, wenn die deutsche Wirtschaft nach den massiven Protesten gegen „Stuttgart 21“ und andere Großprojekte fordert, die Einspruchsrechte der Bürger zu begrenzen. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, hat offenbar nichts kapiert, meinen kritische Twitterer. Keitel sagte der Berliner Zeitung: „Wir haben im weltweiten Vergleich eine einmalige Beteiligung von Bürgern und Verbänden“. Das gefällt ihm aber nicht: „Manchmal müssen wir überlegen, ob das nicht zu viel und zu langwierig ist und es am Ende sogar mehr schadet als nützt“, gab Keitel zu bedenken. Durch die „starke Öffentlichkeitsbeteiligung“ verlängerten sich die Genehmigungsverfahren derart, dass bei deren Abschluss der technische Fortschritt die Bedingungen grundlegend verändert habe. Keitel beklagte ein „latentes Misstrauen“ in der Bevölkerung, das alle Bereiche der Wirtschaft treffe. Als ob nicht gerade die Wirtschaft – und hier insbesondere von Keitel vertretene Großindustrie – massiv zum Vertrauensverlust beigetragen hätte. Und Bahnchef Grube befördert in seiner Sturheit die Skepsis gegenüber den Mächtigen der Wirtschaft noch.

Nein, sie wollen nicht kommunizieren, die Herren der Industrie. nicht wirklich. Was die Politik seit Jahren und Jahrzehnten mit mehr oder weniger großem Erfolg praktiziert – durch Diskussion und Kommunikation Kompromisse zu finden – liegt den so genannten Entscheidern aus der Wirtschaft dann fern, wenn es um Interessen der einfachen Bürger geht. (Dass dies zu Milliarden-Fehlinvestitionen führen kann, habe ich im Mai 2009 in der Zeitschrift „Verwaltung und Management“ beschrieben: „Partizipationsdefizite als Managementfehler in Wirtschaft und Verwaltung und ihre Vermeidung durch optimierte Kommunikation“ (v&m 3/2009, S. 160-162)

Da macht es dann wieder Mut, dass ein Urgestein der Politik, der in Ehren ergraute, aber stets vitale Heiner Geißler, den Bürokraten und stromlinienförmigen Effizienzfanatikern zeigt, wie man kommuniziert und wie man Partizipation organisiert.

Kommunikation ist keine Frage des Alters, Partizipation auch nicht.

Benjamin Barber hat partizipative Demokratie als „starke Demokratie“ bezeichnet. Sie ist aber kein Allheilmittel. Und oft befördert sie nur den Mainstream, schließt aber kreative Lösungen aus. Aber sie ist unverzichtbar.

Man muss das wissen, wenn man Bürgerprojekte beginnt.

Die Alten gewinnen in den nächsten Jahren Mehrheiten durch den demografischen Wandel. Das muss nicht von Nachteil sein. Trotzdem ist die Gefahr latent, dass das Bewahren des Status Quo den Fortschritt gefährdet und die Chancen der Jugend untergräbt. Das aber darf nicht sein.

Fazit:

Nein, graumelierte Skeptiker gefährden nicht unseren Fortschritt. Aber es ist wichtig, dass auch die junge Generation ihre Position engagiert vertritt. In intensiver Kommunikation muss in der Abwägung die best mögliche Lösung gefunden werden.