Leere Häuser – trotzdem Zukunft

Vortrag beim 1. hessischen Demographiekongress im Hessischen Landtag zu Wiesbaden

Illingen ist wunderschön – Ein Erholungsort aus dem Bilderbuch

Illingen hat Schmuckstücke wie die Illipse – das Kulturforum…
das neue Kinderhaus…
St. Stephan mit dem Zwiebelturm und den Lehoczky-Fenstern…
schöne Wohngebiete…
und landes- und bundesweite Erfolge.

Kurz: Wir haben alles…
… was Politiker erfolgreich und glücklich macht

Gäbe es da nicht diese verflixten Wohnhaus-Leerstände – und das seit langem –, aber keiner will sie gesehen haben. Allgemeines Verdrängungsmotto: Die paar Hausruinen sind doch kein Problem. Bis eine Studentin sie gezählt hat: 77,78,79,80,81 – und dann hieß es plötzlich: hoppla, so viele.
Wir stellen fest. Demographie ist ein verschwiegenes Problem
Kollektive Verdrängung ist an der Tagesordnung

Fakt ist:
Leer stehende Häuser sind ein Signal für demographischen Wandel

Wie reagieren wir auf Leerstände und demographischen Wandel?
Die beliebteste Variante wird bundesweit gern angewandt:
Bloß nicht hochspielen – es könnte unsere Wahlchancen schmälern. Mund halten und ducken, bis die Gefahr vorüber ist.
Ich wollte dies zunächst auch. Aber meine Mitarbeiter haben mich überzeugt, aktiv zu handeln.
Die Gefahr geht nämlich nicht vorüber. Der demographische Wandel beschleunigt sich, das Problem wächst, verdrängen hilft nicht.
Fakt ist:
Probleme löst man nicht dadurch, dass man den Kopf in den Sand steckt
Probleme muss man gemeinsam anpacken und strategisch lösen.

Wir brauchen Mut zur Zukunft und gleichzeitig Mut zum Schrumpfen

Am Anfang steht die Bestandsaufnahme. Die muss systematisch erfolgen. Kooperation ist schon bei der Ist-Analyse notwendig.
Unsere Bestandsaufnahme hat eine Leerstandsquote von 1,5 bis 2% erbracht. Das ist nicht viel.
Die Lage scheint unproblematisch und beherrschbar.
Aber die Problemlage variiert sehr stark, die Fluktuation auf dem Alt-Immobilienmarkt ist hoch.
Ein ungelöstes Problem: Der wachsende Bodensatz von Problemhäusern.

Also hieß das für uns: Verfeinerung der Analyse mit Luftbildern und Bevölkerungsprognosen – haarklein, auf jeden Ortsteil umgelegt und grafisch dargestellt.
Weil Demographie auch Siedlungspolitik ist, haben wir die die Leerstände der Zukunft ermittelt.
Die Prognose ergab dann schon 9 bis 12% potenzielle Leerstände, weil in so vielen Häusern nur Menschen über 65 Jahre wohnen.
9 bis 12% sind eine kritische Größe für jede Stadt, für jede Gemeinde.

Das ist eine demographische Zeitbombe für immer mehr deutsche Gemeinden.

Kommen wir zu Lösungsmöglichkeiten. Wir empfehlen:
Leerstandskataster aufbauen
Leerstandsmanagement institutionalisieren
Einwohner informieren, aktivieren, motivieren
Rats- und Verwaltungspolitik verändern: Nachhaltigkeit
Planerische Vorgaben: Stärkung der Zentren, Verbot weiterer Neubaugebiete im Außenbereich
Abriss freiwillig oder durch kommunale Vorgaben (LBO), Zuschussprogramme

Anregungen zum Leerstandskataster
Grobes Raster durch studentische Vorarbeit erstellen
Verfeinerung durch Ortsräte (Ortskenntnis)
Ergänzung durch Versorger (Gaswerk, Wasserversorger, Abwasserverband) und Schornsteinfeger;
Kataster systematisch fortschreiben und pflegen

Anregungen zum Leerstandsmanagement
In der Verwaltung institutionalisieren (z. B. Stabsstelle mit direkter Berichterstattung gegenüber dem Bürgermeister)
Leerstandsmanagement braucht verwaltungsintern Einfluss und Macht
Einwohner brauchen ständige Ansprechpartner
Öffentlichkeit braucht ein „Gesicht“ der LeerstandsmanagerIn

Anregungen zur Bürgerinformation:
Man muss Einwohner informieren, aktivieren, motivieren
Was alle angeht, können nur alle lösen (Dürrenmatt)
Gemeinde und Bürger haben Interessen – die müssen zusammengebracht werden (Win-Win-Situationen)
Offenheit, Transparenz, Erfolgsorientierung
Die Menschen abholen, wo sie zu Hause sind, denn Demographie ist Alltag
Commitment erzeugen! Senioren aktivieren!
Sagen Sie die Wahrheit: über Immobilienpreise, über Wertentwicklungen, über Geburtenraten, über Chancen und Risiken.
Kommunizieren Sie offensiv.

Demographie ist Quartierspolitik
Nichts ist erfolgreicher als Quartiersarbeit – weil es die Menschen dort direkt betrifft.
Sie müssen in den Straßen der Orte informieren, Vertrauen schaffen, aber auch provozieren und kommunizieren – all dies gehört zur Erfolgsstrategie.
Quartiersarbeit und Leerstandsmanagement lohnen sich

Der Erfolg des Leerstandsmanagements war grandios: die Immobilienpreise sind angepasst worden, Erbengemeinschaften haben sich arrangiert – wir haben in sechs Jahren zwei Drittel aller Leerstandsprobleme gelöst.

Leerstandsmanagement ist das erfolgreichste Instrument im demographischen Wandel.

Mehr Dorf für weniger Menschen – Luxus der Leere (W. Kil)
Demographiesensible Politik ist auch Aufbaupolitik – Mehr Dorf für weniger Menschen
Kauf dir ein Stück Glück, bevor Verfall auch dein Haus in Mitleidenschaft zieht.
Kauf dir ein Stück Glück, wo früher ein Nachbar war.

Demographie ist Familienpolitik
Ohne Kinder keine Zukunft
Auf in die Mitte!
Wir müssen die Zentren stärken.
Mit Nahversorgung, Begegnungsstätten, Kindergärten, kombiniertem Wohnen.
Und einem Verbot weiterer Neubaugebiete an den Ortsrändern: Nachhaltige Flächenpolitik

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ (Ingeborg Bachmann 1959; Rede anlässlich des Hörspielpreises der Kriegsblinden“)

„Die Stadt nämlich (…) ist nicht die Angelegenheit der Städtebauer, sondern der Städtebewohner. Es ist nicht nur statthaft, sondern Zeitgenossenpflicht, dass sie sich zu Wort melden. Die Fehlleistung, die sich Städtebau nennt, beruht nicht auf einem Versagen der Techniker als Techniker, sondern auf einem Versagen der Laien; sie überlassen sich den Technikern. Nun ist es aber so: Die Aufgabe stellt der Laie, der Fachmann hat sie zu lösen. Oder so müsste es sein. Wir brauchen den Fachmann: aber als Fachmann auf einem Gebiet, als Architekt, als Konstrukteur, nicht als Ideologe, nicht als Entwerfer der Gesellschaft. Kommt es dazu, weil die Gesellschaft sich nicht selbst entwirft und den Fachmann nicht einsetzt als Diener der Gesellschaft, übernimmt er eine Verantwortung, die ihm nicht zukommt; er übernimmt sich.“ (Max Frisch 1966; Vorwort zu Gody Suter: Die großen Städte)

„Was alle angeht, können nur alle lösen.“ (Friedrich Dürrenmatt 1966; 21 Punkte zu den Physikern)

Armin König