Ich habe noch nie so eine Kardinalspredigt gehört wie gestern in Berlin. Was der Berliner Erzbischof Rainer Kardinal Woelki gestern bei der Einweihung des „Arnold Fortuin Hauses“ sagte, war nicht vergeistigt, nicht abgehoben, nicht akademisch, sondern knallhart irdisch. Zum Wohnkomplex in der Harzer Straße in Neukölln, der noch vor einem Jahr als „Müllhalde“ bezeichnet wurde, sagte er: „Er war im wahrsten Sinne des Wortes Müllhalde für all das und für diejenigen, die man los werden wollte«, sagte Woelki. Behörden hätten zwar die Not gesehen, aber konkrete Taten ließen auf sich warten. »Ausgrenzung und schlechte Wohnverhältnisse waren an der Tagesordnung.“ Den Senatsvertretern im Festzelt schrieb er ins Stammbuch „dass unsere Stadt nicht einfach die Augen zumachen kann“. Und als Skandal bezeichnete er es, „dass Menschen abgezockt werden und dass mit der Not von Menschen Geschäfte gemacht werden.“ Als Konservativen hatten viele den jüngsten Kardinal der Welt bei seinem Amtsantritt apostrophiert. Und nun sagt einer der mächtigsten deutschen Kirchenmänner so ungeheuer progressive, sozialpolitische brisante Sätze.