Armin König

Menschlichkeit statt Pegida

(Aus dem Entwurf für mein Grußwort beim Neujahrsempfang Hüttigweiler – hier als Anlage zur Rede zu Protokoll gegeben)

In den 1960er Jahren hatten wir noch kein Auto. Es gab in der Friedhofstraße damals überhaupt noch wenig Autos. Martin Kuhn, der Gärtner, hatte eins. Aber viele Andere hatten keins. Jeder kann selbst zählen, wie viele Autos heute in den Garagen und vor den Häusern stehen – in Hüttigweiler und überall.

Wenn wir telefonieren mussten, gingen wir zum Nachbarn. Dass wir ein Tonbandgerät und zwei Schreibmaschinen hatten, war berufsbedingter Luxus. Es gab damals zwei Schwarz-Weiß-Fernsehprogramme und im Dritten das Telekolleg. Als zu den Olympischen Spielen die ersten PAL-Farbfernseher kamen, haben wir uns bei Elektro Paul Wilhelm in Schwalbach die Nasen plattgedrückt. Gekauft haben wir die Fernseher bei Waldemar Wagner oder bei Hinsbergersch oder beim Radio Schneider in Illingen.

Wir hatten weniger Geld, wir hatten mehr Zeit zum Spielen, wir haben mehr miteinander geredet. Ob wir uns glücklicher fühlten, weiß ich nicht mehr. Alte Zeiten sind ja nur subjektiv immer etwas rosiger.

Materiell geht es uns heute um ein Vielfaches besser, wir sind auch viel besser abgesichert. Und das ist gut so. „Wohlstand für alle“, wie es Ludwig Erhardt wollte, war kein leeres Versprechen. Die überwältigende Mehrheit sagt: Uns geht es gut. Sind wir nun zufriedener, glücklicher?

In der Weihnachtsausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ sind bewegende Briefe von Kindern dieser Welt zu lesen. Daran muss ich denken, wenn ich die Pegida-Demonstrationen sehe, wo die ewigen Nörgler und Unzufriedenen ihren Frust abladen. Mein Gott, was haben die Sorgen!

Ich kenne persönlich viele Menschen unterschiedlicher Nationalität, unterschiedlicher Religion und schätze sie. Natürlich male ich hier kein Heile-Welt-Szenario. Es gibt überall Gute und weniger Gute.

Das ist kein Grund, Menschen zu diskriminieren. Deutschland weiß, was Flüchtlingsschicksale sind. Es schadet nichts, die eigene Geschichte zu kennen.

Ich weiß, dass die unzufriedenen Pegida-Mitläufer keine „Zeit“-Leser sind. Vielleicht sind sie auf anderem Wege noch zu erreichen.

Für die Rädelsführer habe ich nur Verachtung übrig. Die wissen, was sie tun. Ich erinnere an zwei große Theaterstücke von Max Frisch: „Biedermann und die Brandstifter“. Und „Andorra“. Das sind Lehrstücke über Aufwiegler.

Die Mitläufer sehe ich differenzierter. Wir müssen sie ansprechen, mit ihnen reden, sie überzeugen und sollten sie zunächst nicht ausgrenzen. Das gehört sich so in der Demokratie. Als Christ appelliere ich an ihre Menschlichkeit. Aber wir müssen ihnen nicht nachlaufen, wie einige Politiker dies nun tun. Ich halte das für falsch, weil es ein Schlag ins Gesicht derjenigen ist, die Courage haben, die sich in unseren Orten engagieren, die ohne Aufhebens helfen. Und davon haben wir auch in unserer Gemeinde viele Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Und deshalb freut es mich ja auch, dass es so viele hilfsbereite Ehrenamtler gerade aus dem kirchlichen und sozialen Bereich gibt, die uns bei der Flüchtlingsarbeit unterstützen. Das ist richtig klasse, und dafür danke ich allen, die mitmachen. Illingen ist fair und human. Darüber dürfen wir uns freuen. Weil auch dies ein Stück Lebensqualität ist.

Allein könnten wir das gar nicht schaffen. Auch in Hüttigweiler sind Menschen aktiv, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten. Ich ziehe den Hut vor und sage: Respekt. Das macht ihr prima.

Um für Flüchtlinge Verständnis zu wecken, will ich nur zwei der Kinderbriefe aus der „ZEIT“ hier präsentieren.

Hawa aus Sierra Leone, wo Ebola wütet und ganze Familien ausgelöscht hat, schreibt: „Ich möchte wieder zur Schule gehen.“

„Hawa steht neben einem Haufen gebrauchter Kleidung, die verkauft werden soll, und versucht eine Ebola-Warnung zu entschlüsseln, die an die Zementwand hinter ihr geheftet ist. Sie kämpft mit dem Wort „ausrotten“, stolpert über das Wort „Quarantäne“ und springt zu dem Teil, den sie lesen kann: „Hände waschen“. Isha, Kawas Mutter, sagt, das Poster und ein Stück Seife seien ihnen während einer dreitägigen nationalen „Bleibt-zu Hause-Aktion“ im September gegeben worden. „Ich wünschte, Sie gäben uns stattdessen Essen“, sagt Hawa.

Hawas Verwandtschaft lebt in Kelema, einem der ersten Epizentren des Ebola-Ausbruchs. Sie hat ihre Großmutter seit Monaten nicht gesehen. „ Bei meiner Oma habe ich Freunde, mit denen ich spielen konnte“, sagt sie. „Früher durfte ich spielen gehen. Ihre Mutter erwidert: „Es ist gerade nicht sicher, draußen zu spielen“.

Hawa wünscht sich ihr normales Leben zurück. Sie wünscht sich, dass ihre Schule wieder öffnet. „Ich möchte wieder zur Schule gehen“, schreibt sie.“

Nicht minder bewegend ist der Brief, den Schahin aus Tobruk in Libyen schreibt. Es ist das erste Mal, dass er überhaupt wieder etwas geschrieben hat – jetzt mit der linken Hand. Das ist ein Wunder. Er hat seine rechte Hand verloren und sitzt im Rollstuhl. „Die Ärzte sagen, mit etwas Glück lasse sich sein Bein retten. Für seine Hand gilt das nicht. Schahin beginnt zu schreiben: Ich wünsche mir, dass es meinem Land wieder besser geht, weil ich auf die Schule gehen will. Ich will auf der Schule wieder mit meinen Freunden zusammen sein. Ich möchte wieder mit meinem Fuß laufen und Fußballspielen können. Und ich wünsch mir eine neue Hand.“

Daran muss ich in diesen Tagen denken, wenn wir unsere Wünsche für das Jahr 2015 formulieren: an die Briefe der Kinder aus aller Welt in der Zeit und an den Film „Honig im Kopf“ über Alzheimer.

Ich wollte ihnen beispielhaft zeigen, was wirklich wichtig ist im Leben – und welch überragenden Stellenwert die Gesundheit hat. Und wie wichtig Menschlichkeit ist. Die Art, wie wir miteinander umgehen, wie wir zusammenleben. Darauf können wir hier in unserer Gemeinde stolz sein.