Armin König

Politik(er) und Twitter – sinnfreies Gezwitscher oder machtvolle Vernetzung?

Politiker sind die langweiligen Type aus dem Real-Life, die keinen Computer bedienen können, das Netz nur vom Hörensagen kennen und sich in Wahlkämpfen ihre Blogs von anderen schreiben lassen. Politiker sind altmodisch, denken in Retro-Kategorien, bilden rechts-links-Rudel und handeln unvernünftig. Politiker haben Angst vor Anarchie, Chaos, Regellosigkeit, zügelloser Meinungsfreiheit – und vor dem Wähler, dem unbekannten Wesen. Politiker halten langweilige und langatmige Reden, die auf keine Kuhhaut gehen.

Warum also sollten Politiker twittern? Sich kurz fassen? Ihre bedeutenden Ansichten in 140 unscheinbare Zeichen pressen? Das haben wir noch nie so gemacht. Wo kämen wir hin, wenn wir plötzlich alles anders machten? Und warum?!

Es müssen Verrückte sein, die es dennoch tun – oder nicht?

Warum twittere ich, wenn ich nicht verrückt bin? Und wie bin ich überhaupt dazu gekommen?

Warum also?: Weil ich neugierig bin, weil ich offen bin, weil ich Riesenchancen im Netz sehe.

Und wie?: Zufällig.

Ok, ich bin kein Web-Neuling. Ich schreibe und blogge seit 1995. Damals hatte ich kaum Leser. Die Links musste ich ihnen auf dem silbernen Tablett per mail präsentieren. Ich war stolz auf 30 Leser an Tag. Und heute? 200 am Tag sind Minimum. Im Jahr kommen locker 100.000 Clicks zusammen. Wo hat man so viele Bürgerkontakte im Real Life? Völlig unmöglich. Davon kann einer im Real Life der Politik nur träumen. Erst recht im lokalen Politikraum.

Blogs sind gut für Politiker: Man kann schreiben, Fotos und Podcasts ins Netz stellen, Oppositionsbashing betreiben, die eigene Partei kitzeln, ohne dass jemand zensiert, was man schreibt. Zuweilen liest es einer und verbreitet es im Real Life über analoge Kanäle. Dann gibts ganz real und analog verbale Hiebe. Aber darum hat man ja gebettelt: dass es einer liest und dass man dafür attackiert wird. Ein bisschen Masochismus gehört dazu. Und noch mehr Freiheitsliebe. Blogs geben unendliche Freiheiten. Das befreit und befriedigt. Menschen wollen Meinungsfreiheit. Und Blogs liefern Renommee, wenn man gut schreibt, zuweilen jedenfalls. Auch das ist wichtig, denn Menschen brauchen Anerkennung, und politische Menschen brauchen besonders viel Anerkennung. Blogs können die liefern – wenn sie einer in den unendlichen Weiten des Äthers  findet….

Warum also ausgerechnet Twitter? Warum dieser Zwischenrufe-Dienst? Dieses Morsealphabet der Rundum-Funker? Dieser Strom der Belanglosigkeiten?

Weil Twitter auch ein geniales Mobilisierungsmedium ist.

Also noch einmal: Wie bin ich dazu gekommen?

Es begann mit dem Iran-Aufstand und Neda. Twitter hat damals zum ersten Mal seine Stärken gezeigt. Das hat mich elektrisiert und es hat mir imponiert. Plötzlich war ich dabei und mittendrin.

Der Aufstand scheiterte, mein Interesse erlahmte, aber es ging nicht ganz verloren. Irgendwann habe ich zufällig mein Twitterlesezeichen wieder angeklickt und bin auf einen Dialog zweier Saarländer gestoßen. Sie hießen @Apfelmuse und @UlrichCommercon. Es ging um ein FAS-Sonntagsfoto. Das gefiel mir – und auch die Konversation der beiden machte Laune, mitzutwittern. Da wollte ich dabei sein. Von einer @wissensagentur war die Rede, irgendwann tauchte ein @happybuddha auf. @RB_NK twitterte über Lautern, @joaum ebenfalls, @textundblog über St. Pauli und über Bibliotheken. All das gefiel mir. Autodidaktisch tastete ich mich ran, erst mit RTs, dann mit eigenen Zwischenrufen. Follower kamen, Follower gingen, die ersten Followfriday-Empfehlungen halfen mir, das eigene Kontakt- und Kommunikations-Netz zu erweitern. Gleichzeitig dehnte sich mein Facebook-Netz aus, das ich ebenfalls gut bediente. Und WkW wuchs auf 1700 „Freunde.

Und nun bin ich mittendrin im Netz und schreibe für 2150 Follower oder „Freunde“, die zwar keine echten Freunde sind sind, aber als Netzkollegen sehr wohl interessant sind.

2150 Menschen im Publikum, die hat man nicht alle Tage. Bei Parteiversammlungen kommen allenfalls 50 – dann sind es schon viele. Bürgerversammlungen mobilisieren 80 bis 150 Bürger, Gemeinderatssitzungen gerade mal ein Dutzend Interessenten. Im Netz erreichst du eine Vielzahl.

Seit ich Twitter intensiv nutze, hat sich die Zahl meiner Homepage-Besucher verdreifacht – in vier Monaten. Es ist also die crossmediale Nutzung, die auch für Politiker hilfreich ist. Und Twitter spielt dabei offensichtlich eine Sonderrolle.

Es geht nicht nur um die Verbreitung eigener Ansichten. Mehr noch geht es mir darum, Informationen zu sammeln, Trends zu erfassen.

Jürgen Kruse hat Twitter als EEG des Internets bezeichnet. Das stimmt zum Teil. Ich habe gelernt, dass Twitter bis zum Rand mit Grundrauschen gefüllt ist – vor allem, wenn die Nachrichtenlage mau ist. Liegen Sensationen in der Luft, ist Twitter ideal. Dann schlagen die Kurven in Extreme aus.

Nirgendwo ist man schneller informiert.

Weltpolitik in 140 Zeichen… kann das funktionieren? Die Edelfedern der Seite 3 werden es mit Verve verneinen, Nachrichtenredakteure in Frage stellen. Ich aber, der ich Feature-Riemenschreiber und Nachrichtenredakteur war, sage euch: Es funktioniert. -Es funktioniert deshalb, weil man verlinken kann.

Ja, Twitter ergibt  Sinn. Es ist kein sinnfreies Gezwitscher, jedenfalls nicht immer. Und deshalb werde ich weiter twittern. Weil ich neugierig bin, weil ich dadurch sympathische, innovative Menschen im realen Leben kennengelernt habe, weil Twitter machtvolle Vernetzungen ermöglicht.

Und weil Twittern Spaß macht. Ganz ohne parteipolitische Hintergedanken.

Vielleicht stehen wir ja wirklich am Anfang einer digitalen Republik. Dann möchte ich dabei sein.

Deshalb twittere ich. Weil ich wittere, was in der Luft liegt. Und es liegt was in der Luft. Die alten Zeiten sind vorbei.

Ich twittere, weil hin und wieder das  ganz große politische oder gesellschaftliche Rad gedreht wird.

Manchmal twittere ich aber nur wegen der kleinen Albernheiten und Wortspäße. Auch das gehört zum Spiel: sinnfrei zu kommunizieren. Auch das ist Kommunikation.

Ja, Politiker und Twitter – das macht Sinn.

Also macht mit beim deliberativen, partizipativen Getwitter, ob mit Blitz und Donner oder lauen Lüften. Es lohnt sich.

(c) 2010 Armin König