Armin König

Protest gegen radikale Populisten – Die schweigende Mitte geht auf die Straße

Armin König, Foto: (c) Headshot (Diderich)

11.2.2024

Deutschland erlebt derzeit (Jahresbeginn 2024) ein Phänomen, das es seit vielen Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, nicht mehr gegeben hat, schreibt Dr. Armin König. Die politische Mitte des Landes geht auf die Straße, um für ihre Werte, ihre Ziele, ihre Positionen zu demonstrieren. Der Protest aus der Mitte der Bevölkerung gegen radikale Populisten ist ein Beleg für die neue demokratische Wachsamkeit. König forscht derzeit zu Europa- und Machtpolitik.

 

Protest gegen radikale Populisten 

Die schweigende Mitte geht auf die Straße

Demokratische Wachsamkeit gegen Bedrohungen  des Rechtsextremismus:

Die Rolle von Demonstrationen und Partizipation 

von Dr. Armin König

Europa in der Permakrise

Europa ist in einer Dauerkrise. Die »Permakrise« (EU-Kommissar Breton 2023)[1] der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten wirkt massiv auf die Befindlichkeiten der Bevölkerung und damit auch auf die Einschätzung der persönlichen und politischen Lage. Das ist das Ergebnis einer Sonderumfrage von Eurobarometer[2] im September und Oktober 2023, veröffentlich im Dezember 2023. Während 68% der Eurobarometer-Befragten die Meinung äußern, dass ihr persönliches Leben in die richtige Richtung geht, sagen das im Hinblick auf Europa nur noch 33%. Und wenn es um das eigene Land geht, sind es im Durchschnitt nur noch 27 Prozent. Dagegen sagen 60 Prozent: »things are going in the wrong direction«. (Eurobarometer Dezember 2023) 

Mit Blick auf die Europawahl im Juni 2024 ist dies ein alarmierender Befund. Europas Permakrise stresst die Bevölkerung in den meisten EU-Ländern.  

In Deutschland ist viel Vertrauen verlorengegangen

Besonders eklatant ist der Vertrauensverlust in Deutschland, wo sich die Werte drastisch verschoben haben. Deutschland gehört mittlerweile zu den besonders stressanfälligen Staaten, in denen die Verunsicherung der Bevölkerung hoch und das Potenzial für radikalpopulistische Parteien und Politiker*innen deutlich gestiegen ist. Dass die Dinge in die richtige Richtung gehen, sagten im September und Oktober 2023 nur noch 28% der Befragten. Das war ein Einbruch gegenüber März 2023 um 10 Prozentpunkte. Gleichzeitig stieg die Zahl derjenigen, die der Auffassung sind, dass die Dinge in die falsche Richtung laufen, von 45 auf 56% gestiegen. Damit spielt Deutschland in einer Liga mit Ungarn. Dramatisch schlechter sind nur noch Tschechien, Estland und die Slowakei. 

Die Steigerung der Unzufriedenheit ist signifikant und hat Auswirkungen auf Polarisierung vor allem bei Triggerthemen (Mau et al 2023)[3], auf die Zustimmungswerte für populistische Parteien und auf die allgemeine Stimmung im Land. Gleichzeitig ist die Zufriedenheit mit der Bundesregierung im Januar 2024 im ZDF-Politbarometer auf den niedrigsten je gemessenen Wert gefallen, wobei die Validität der »Sonntagsfrage« und der Umfragemethoden durchaus problematisch gesehen wird (Gschwendt et al. 2018). Darauf kann hier aber nicht näher eingegangen werden.

Drohen Wahlerfolge der AfD?

Allerdings werden die »Prognosen« medial x-fach vervielfältigt und können in mehreren Monaten im Sinne einer self-fulfilling prophecy durchaus eintreten. So wird in vielen Qualitätsmedien über mögliche Wahlerfolge 2024 der in Teilen rechtsextremen AfD in den ostdeutschen Bundesländern spekuliert. Die Zustimmungswerte für die Radikalen sind Anfang 2024 so hoch, dass diese politischen Außenseiter massiv Einfluss auf die politischen Entscheidungen in ihren Ländern und im Deutschland insgesamt nehmen können. Die radikalisierte AfD macht sich trotz Beobachtung durch den Verfassungsschutz in bestimmten Bundesländern gar nicht mehr die Mühe, sich einen seriösen politischen Anstrich zu geben. Auch bei der Europawahl 2024 ist angesichts stabil hoher Umfrageergebnisse und regionaler Wahlergebnisse mit Erfolgen der AfD und vieler anderer Rechtspopulisten zu rechnen. 

Da es sich bei Europawahlen um Nebenwahlen in den Mitgliedstaaten handelt, werden sie auch von den jeweiligen nationalen Themen bestimmt. (Braun & Tausendpfund 2021) Das ist die Crux in Deutschland.

Das Radikalentreffen in Neu Fahrland hat die Lage fundamental verändert: Ein Gamechanger?

Doch inzwischen haben die Radikalen und Extremisten offensichtlich den Bogen überspannt. In Neu Fahrland bei Potsdam trafen sich im November 2023 auf dem privaten Landgut Adlon rechtsextreme Identitäre, AfD-Funktionäre, Werte-Unions-Vorstandsmitglieder und CDU-Mitglieder zu einem konspirativ-subversiven Treffen, bei dem es um massenhafte »Remigration« von Menschen mit Migrationshintergund ging. Gemeint war nach übereinstimmender Auffassung vieler Beobachter*innen die gewaltsame Vertreibung von unerwünschten Menschen aus Deutschland – unter Bruch der Verfassung. Vortragender war der rechtsextreme Propagandist der rechtsextremen Identitären Bewegung, (IB), Martin Sellner. 

Diese Enthüllung der Plattform correctiv im Januar 2024[4] war das Momentum, das Millionen von Menschen dazu bewegt hat, auf die Straße zu gehen. Drastik, Radikalität, Rücksichtslosigkeit  und Menschenverachtung der rechtsextremen Strategie- und Masterpläne haben überall in Deutschland Menschen schockiert und aufgerüttelt. Die Deportations-Pläne (»Remigration« genannt) der Rechtsextremisten, würden sie auch nur ansatzweise umgesetzt, würden zu gravierenden Rechtsbrüchen[5] und Ungerechtigkeiten führen, vor denen viele Menschen wegen des erkennbaren Angriffs der Radikalen und Extremisten auf die Verfassung große Angst haben.   

Diese Vorschlägen sind eindeutig verfassungswidrig[6]. Das gilt insbesondere für den Plan, Menschen (auch mit deutschem Pass) abzuschieben, die nicht »assimiliert« sind,  wie es die Rechtsextremisten dies bei ihrem Potsdamer Treffen in wie Welt gesetzt haben.

Thesen: Furcht vor Rechtsradikalen mobilisiert die Mittelschicht

Unsere These 1: Die Furcht vor diesen Entwicklungen mobilisiert offenkundig Menschen, sich in Abwehrhaltung zu begeben, wachsam zu sein und sich als verantwortungsbewusste Staatsbürger zu wehren. 

These 2: Die Realität zeigt, dass die demokratische Gesellschaft über Power verfügt und aktiv wird, wenn sie herausgefordert wird. Die Proteste haben eine enorme Resonanz erzielt, die Teilnehmerzahlen sind beeindruckend. Zwischen dem 10. Januar und dem 28. Januar 2024 gingen über zwei Millionen Menschen in vielen deutschen Städten auf die Straße. Das hatten die Organisator*innen in diesem Ausmaß nicht erwartet. 

Eklatante Bedrohungen: Die extrem spaltenden und Millionen Menschen gefährdenden Regierungspläne der AfD haben viele Menschen alarmiert

Die immer offenkundigeren »Bedrohungen der Demokratie« (Brodocz; Llanque & Schaal 2008) durch rechtsextreme und rechtsradikale Ideologien und Aktivitäten sind nicht neu, geraten aber durch die Permakrise in Europa und Deutschland zunehmend in den Fokus der Politik und der Wissenschaft. Insbesondere der schier unaufhaltsame Aufstieg der AfD hat nun viele Menschen alarmiert.

Angesichts der medial vielfach kommunizierten Krisensymptome der Ampelkoalition und des sinkenden Vertrauens in Parteien und deren Spitzenvertreter*innen haben die Wähler*innen offensichtlich erkannt, dass sie sich stärker selbst engagieren müssen. Sie sind es, die in ihrer Gesamtheit nach Artikel 20 der Grundgesetzes das Volk bilden – vor dem Gesetz gleich, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Einstellungen oder Religionen. Demokratieprinzip, Bundesstaatsprinzip, Gewaltenteilung, Rechtsstaatsprinzip mit dem Vorrang von Verfassung und Gesetz, dem Gesetzesvorbehalt, Fragen der Rechtssicherheit, des Rechtsschutzes und das Sozialstaatsprinzip sind in diesem Verfassungsartikel 20 GG konzentriert. „

Gegen jeden, der es unternimmt diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ (Art. 20, Abs. 4 GG)

Bürger*innen setzen sich zur Wehr

Weil diese verfassungsmäßigen Grundlagen zunehmend bedroht sind durch Rechtsextremisten, setzen sich Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft aktiv zur Wehr und zeigen Flagge.

Demonstrationen mit hunderttausenden Teilnehmern sind ein wichtiges Mittel der Partizipation in diesem Kampf für demokratische Werte. Kritischen Stimmen, die die Wirksamkeit dieser Demonstrationen bestreiten[7], kann man entgegenhalten, dass gerade die körperlich Präsenz tausender, zehntausender oder sogar hunderttausender Menschen mehr als nur ein symbolische Akt ist. Es ist ein fundamentaler Akt der demokratischen Partizipation.

Partizipation, als direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Prozessen, wird seit den 1970er Jahren intensiv diskutiert und gilt als unverzichtbares Prinzip der Demokratie. Sie ermöglicht es den Menschen, sich zu informieren, ihre Ansichten auszutauschen und ihre Interessen durchaus auch mit Macht durchzusetzen. Ohne Macht bleiben die Menschen ohnmächtig.

Die machtvolle Medienwirkung der Kundgebungen

Massendemonstrationen haben mediale und kommunikative Wirkung. Sie sind dadurch ein Machtfaktor, wecken Aufmerksamkeit und bringen diejenigen, gegen die demonstriert wird – hier die Feinde Demokratie – in die Defensive. Das wird in der Debatte über die Wirkung und die Nachhaltigkeit solcher Kundgebungen unterschätzt.

Hannes Bajohr und Seyla Benhabib haben den Begriff der »Staatsbürgerschaft der Wachsamkeit«[8] eingeführt, der auf Judith Shklars[9] Konzept basiert und eine besondere Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger für die Verteidigung demokratischer Prinzipien betont.

Die jüngsten Enthüllungen über subversive Treffen rechtsextremer Gruppen, wie das in Neu Fahrland bei Potsdam im November 2023, verdeutlichen die akute Gefahr, die von rechtsextremen Parteien und Politiker*nnen und deren Ideologie und Ideen ausgeht.

Zwangs-Remigration als rechtsextremes Triggerthema

Die Diskussion über die sogenannte »Remigration« ist außerordentlich gefährlich und durch und durch verwerflich. Tatsächlich handelt es sich bei den in Potsdam vorgestellten Plänen und Strategien um eine Form der Zwangs-»Remigration«, die den Charakter der Deportationen trägt. »Rechtsextremes Framing für Deportationsfantasien« nennt die Antonio-Amadeu-Stiftung die in NeuFahrland vorgestellten Neonazi-Pläne des rechtsextremen Identitären Martin Sellner.

»Remigration« ist ein rechtsextremer Kampfbegriff – benutzt unter anderem von der AfD, der Identitären Bewegung (IB), der »Jungen Alternative« sowie rechtsextremistischen Kleinparteien und Publizisten  aus dem rechtsextremen Spektrum. Als Tarnvolkabel bezeichnet »Remigration« die Absicht fremdenfeindlich ausgerichteter Politik, unter Verstoß gegen die Menschenwürde, Personen »unter unwürdigen Bedingungen aus Deutschland zu deportieren« (Jury des Unworts des Jahres). 

Gerichtlich bestätigte Verfassungswidrigkeit 

Die Verfassungswidrigkeit ist im Zuge der Verfahren zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz mehrfach durch Gerichte bestätigt worden. An den Absichten unterschiedlicher rechtsextremistischer Vereinigungen, Parteien und Organisationen besteht zumindest seit 2016, so die Gerichte, kein Zweifel. Ziel der Bestrebungen ist letztlich »die Ausweisung von Bevölkerungsteile aus Deutschland und Europa, die den ethnokulturellen Kriterien der IB nicht entsprechen« (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. Februar 2020 – 10 CE 19.2517 –, juris).

Die Rechtsextremen sind eine extreme Minderheit – noch

Es geht den Rechtsextremen aber nicht nur um so bezeichnete ethnokulturelle Kriterien, sondern auch um Einstellungen und die »Assimilation« der Menschen in die deutsche Gesellschaft und Herkunft. Wer dies nach Ansicht der AfD nicht erfüllt, ist in Gefahr.

Die Reaktionen der rechtsextremen AfD auf die Massenproteste aus der Mitte der Bevölkerung zeigen ihre Verunsicherung und verdeutlichen den zunehmenden Druck, dem sie durch die Mobilisierung der bisher schweigenden Mehrheit ausgesetzt ist. Der Populismus der AfD, der auf der Spaltung der Gesellschaft in »reines Volk« und »korrupte Eliten«[10] beruht, wird durch die breite Teilnahme an den Demonstrationen konterkariert. Die Rechtsextremen haben eben nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.

Ungeachtet gewisser Kritik an etablierten demokratischen Verfahren und Institutionen zeigt sich dank der bürgerlichen Kundgebungen ein grundlegendes Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie. Die wehrhafte Auseinandersetzung mit rechtsextremen Ideen und Praktiken stärkt die demokratischen Werte und festigt das Bewusstsein für die wichtige Aufgabe, die Demokratie aktiv zu verteidigen.

Nichts ist harmlos bei Rechtsextremen

Nichts ist harmlos bei diesem und anderen rechten Treffen, nichts ist ungefährlich in dieser Runde, nichts ist ohne radikal-brutalen Hintergrund bei den Rechtsextremen. Man weiß sehr wohl, dass man auf vermintem Gelände steht und dass dies ein Thema für den Verfassungsschutz ist. Nahezu alle Diskussionen kreisten und kreisen um das Triggerthema »Remigration«. Über diese geplante Massenvertreibung hat Autor Martin Sellner im rechtsradikalen Antaois-Verlag des ebenso rechtsradikalen (oder rechtsextremistischen) Götz Kubitschek ein Buch publiziert. Kernfrage sei, so Sellner, »ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht«. (correctiv)

Das Thema ist nahezu identisch mit den wahnhaften »Umvolkungs«-Vorwürfen gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es ist das Megathema der Neuen Rechten schlechthin.

Regime Change heißt Umsturz

Sellner schreibt in seinem Machwerk »Regime Change von Rechts« (Regimewechsel, also Umsturz, von Rechts): »Das rechte Hauptziel« sei die Bewahrung der »ethnokulturellen Identität und Substanz«, dazu sei »eine radikale Wende« notwendig, um den »Bevölkerungsaustausch« aufzuhalten.

Ziel der Radikalpopulisten ist der »Regime Change«, der als Umsturz der bisherigen freiheitlich-demokratischen Grundordnung gelesen werden kann. 

Sellners Vortrag in Potsdam ist laut correctiv ebenso eindeutig wie erschreckend. »Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, ›um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln‹.«

Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und ›nicht assimilierte Staatsbürger‹. Letztere seien aus seiner Sicht das größte ›Problem‹. Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll. 

Das sind die Menschen, die den Rechtsextremisten und Radikalen nicht passen.

»Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend ›assimiliert‹ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Es ist gegen die Existenz von Menschen in diesem Land gerichtet.« (correctiv)

Das ist Nazi-Rassenideologie reloaded. Sie verstößt gegen Völkerrecht, Staatsbürgerrecht, Menschenrechte, Grundgesetz.

Die Unterwanderung ist aber fortgeschritten

Die Enthüllungen über das Treffen in Neu Fahrland und die darauf folgenden Proteste belegen, wie notwendig und zielführend der Kampf gegen die Verbreitung rechtsextremer Ideologien ist. Die Unterwanderung der demokratische Ordnung ist schon weiter fortschritten, als befürchtet. Wer an solchen Plänen zweifelte, wurde nun eines besseren belehrt. Der Marsch durch die Institutionen hat längst begonnen (Landrats- und Bürgermeisterwahlen in Ostdeutschland, Verfassungrichter-Besetzungen).

Aber dieser Kampf, der die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erfordert, um die demokratischen Prinzipien zu wahren und zu stärken, ist nicht aussichtslos, im Gegenteil. Er zeigt Wirkung und trägt zur Stärkung gefährdeter oder ramponierter demokratischer Strukturen bei.

Dieser Kampf gegen den Rechtsextremismus muss allerdings nachhaltig sein und darf sich nicht nur in spontanen Protesten äußern. Er muss sich auch in den demokratischen Prozessen, insbesondere in Wahlen, niederschlagen. 

Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, durch besseres Regieren das Vertrauen der Bevölkerung in demokratische Institutionen und Prozesse zu stärken. 

Das ist die Hauptaufgabe von Bundeskanzler Olaf Scholz, dessen Führungsqualitäten bisher nur in Ansätzen erkennbar sind. Er bestimmt die Richtlinien der Politik, er muss dies auch in der Koalitionsregierung der Ampel gegenüber der SPD, der FDP und den Grünen deutlich machen. Vor allem die innerkoalitionäre Opposition durch die FDP und ihren Chef Lindner ist dabei eine massive Belastung. Auch für ihn gilt: Schlecht zu regieren ist schlecht für das Land. Die Verantwortlichen der Bundesregierung und der Landesregierungen müssen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

Gutes Regieren nutzt

Good Governance, wie von der OECD definiert, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Schaffung transparenter, rechenschaftspflichtiger und effizienter Regierungsinstitutionen trägt nach Erkenntnissen der Wissenschaft dazu bei, den Nährboden für rechtsextreme Ideologien auszutrocknen und Populisten das Wasser abzugraben. Es ist unbestritten, dass dies ein langfristiger Prozess ist und dass Veränderungen nicht von heute auf morgen zu erwarten sind.

Wichtig ist, die Pseudo-Argumente der Populisten, die von »Umvolkung« sprechen und Ängste und Fremdenfeindlichkeit schüren, zu bekämpfen und ihre Pläne zur sogenannten »Remigration« oder anderen verfassungswidrigen Maßnahmen offenzulegen. Diese Pläne verstoßen nicht nur gegen die Menschenwürde und das Gleichheitsprinzip, sondern bedrohen auch die demokratische Ordnung und den sozialen Zusammenhalt.

Die Proteste gegen Rechtsextremismus, die sich in Graswurzelbewegungen formieren, sind ein Beispiel für die Stärke der Demokratie. Manuel Castells und Benjamin R. Barber betonen die Bedeutung dieser basisdemokratischen Bewegungen für eine »starke Demokratie«.

Die vehementen Reaktionen der rechtsextremen AfD auf die Vorwürfe zeigen die Notwendigkeit, aber auch die Erfolgschancen, dieser Bedrohung entschieden entgegenzutreten. Das ist auch notwendig. Rechtsextremismus zeichnet sich durch nationalistische, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellungen aus und stellt eine direkte Gefahr für die demokratische Ordnung dar.

Die breite Mobilisierung der Zivilgesellschaft, die Stärkung demokratischer Institutionen und die klare Ablehnung von Hass und Diskriminierung in unserer Gesellschaft sind wichtig.

Die Menschen wollen ernst genommen und gut regiert werden

Mindestens ebenso wichtig wäre allerdings gutes Regieren, Good Governance. Die  Ampelregierung wird als zerstritten und chaotisch wahrgenommen. Die Eurobarometer-Werte sind Alarmsignale und sollten von der Bundesregierung und den Parteien nicht nur registriert, sondern auch konsequent analysiert werden. Daraus müssen Konsequenzen in der Regierungsarbeit gezogen werden. Ein »weiter-so« geht nicht.  

Die Menschen wollen ernst genommen werden. Sie erwarten konsequentes, kohärentes, effektives, rechtsstaatliches, responsives gutes Regieren. Die Kriterien für Good Governance sind durch die OECD, die Weltbank, die EU-Kommission und die Wissenschaft klar benannt worden.

Zur Good Governance gehören laut OECD (2003) fundamental:

  • Achtung der Rechtsstaatlichkeit;
  • Offenheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber den demokratischen Institutionen
  • Fairness und Gerechtigkeit im Umgang mit den Bürgern, einschließlich Mechanismen für Konsultation und Beteiligung
  • effiziente, effektive Dienstleistungen
  • klare, transparente und anwendbare Gesetze und Vorschriften;
  • Konsistenz und Kohärenz in der Politikgestaltung;
  • und hohe Standards für ethisches Verhalten.

Auch im Eurobarometer haben Rechtsstaatlichkeit, Verteidigung der Demokratie, Anhörung und Verlässlichkeit einen hohen Stellenwert.

Die demonstrierenden Menschen aus der Mitte der Bevölkerung zeigen der Politik, was sie eigentlich tun müsste: die Demokratie durch gute Beispiele, durch Vorbildlichkeit, Compliance und vertrauensbildende Maßnamen verteidigen.

Geldströme der AfD kappen und ein Parteiverbot vorbereiten

Das bedeutet aber auch, dort Klartext zu reden, wo die Radikalen und Extremisten besonders stark sind und keine falschen Annäherungsversuche zu machen. Über eine Kappung der Finanzströme und ein Parteiverbot der AfD muss zwingend nachgedacht werden.

Dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser am 13. Februar 2024 in der Bundepressekonferenz angekündigt hat, 

Diskussion über ein Parteiverbot der AfD

Fahrt aufgenommen hat die Diskussion über ein Parteiverbot der AfD. Die Meinungen sind gespalten.

So hat der Philosoph und ehemalige Politiker Julian Nida-Rümelin in einem Namensbeitrag für die Süddeutsche Zeitung sehr engagiert und emotional für ein AfD-Verbot geworben. »Sind wir noch zu retten?« fragt er und gibt auch eine klare Antwort in der Diskussion um die AfD.

»Unser Konzept einer wehrhaften Demokratie wird allein durch den wichtigen Protest gegen Nazis nicht überleben. Extremisten müssen bekämpft werden, durch einen starken Staat und eine realistische Politik.« (Nida-Rümelin 2024)

Ex-Verfassungsrichter Peter Müller, der das Urteil zum NPD-Parteiverbot maßgeblich mitgeprägt hat und bis 2023 noch Richter des Zweiten Senats war, sieht ein Parteiverbot als »ultima ratio« und mahnt zur Vorsicht. Ein Parteiverbot ersetze die politische Auseinandersetzung nicht.

Das ist durchaus richtig. Aber der Rechtsstaat darf auch Zähne zeigen.

Andreas Fischer-Lescano, Leiter des Fachgebiets «Just Transitions« am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel, sieht ein AfD-Verbotsverfahren als »demokratische Pflicht«.

All diejenigen, die noch daran gezweifelt haben, dass die AfD tatsächlich durch und durch rassistische Züge trägt, alle, die Teilen der AfD noch einen Hauch von Anständigkeit attestierten, sehen sich nun eines Besseren belehrt.

Diese Partei, die von Bernd Lucke als Anti-Euro- und Anti-Schuldenpartei gegründet wurde, ist tatsächlich zu einem »Monster« (Hans-Olaf Henkel: »Wir haben ein Monster geschaffen«) geworden, einer »NPD light« (Henkel), aber mit riesigem Einzugsbereich.

Diese radikalisierte Partei, die ohne Ende polarisiert, ist zu eine Gefahr für die deutsche Demokratie geworden. Die Demokratie muss sich wehren – im Sinne der Menschen, nicht nur des Systems.

»Eine solche Partei greift die Grundlagen unserer Existenz an. Es ist daher die verfassungsrechtliche Pflicht von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, hier nun – idealerweise konzertiert – voranzuschreiten, konkrete und öffentlich dokumentierte Prüfschritte für die Einleitung eines Verbotsverfahrens einzuleiten, einen realistischen Zeitplan und eine adäquate Strategie für eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit, die Christoph Möllers zu Recht eingefordert hat, zu erarbeiten. Zumindest diese Prüfung und dokumentierbare Prüfschritte werden für einen, ggf. auch gerichtlich einklagbaren pflichtgemäßen Ermessensgebrauch zu verlangen sein.« (Fischer-Lescano, Verfassungsblog)

Damit trifft Fischer-Lescano den entscheidenden Punkt. Die alten Beschreibungen gelten nicht mehr. Die Welt hat sich geändert, das Weltbild der Radikalen ist noch extremistischer geworden. Und das Beispiel der Reichsbürger und der Lübcke-Ermordung beweist, dass Extremisten bereit sind, über Leichen zu gehen. Das ist eine realistische und ernst zu nehmende Gefahr. Jegliche Verharmlosung verbietet sich. Gefordert sind alle. Aber es ist zu einfach, wenn die Politik jetzt alle Verantwortung auf die Bürgerinnen und Bürger schiebt. In einer repräsentativen Demokratie haben die Gewählten die Pflicht, sich mit ganzer Kraft und ganzem Herzen für die Menschen dieses Landes einzusetzen und den Hassern Widerstand zu leisten. Umsonst ist dies nicht zu haben.Diese Art der direkten Partizipation zwingt die Regierenden zu einer konstruktiven, bürgernahen »Cohabitation« mit der Bevölkerung. Das ist neu in Deutschland und sollte als Chance betrachtet werden.

Erkenntnisse und Ergebnisse

Noch ist es zu früh für abschließende Ergebnisse. Wichtige Erkenntnisse können dennoch gezogen werden. 

1. Europas Permakrise stresst die Bevölkerung in den meisten EU-Ländern. Deutschland gehört mittlerweile zu den besonders stressanfälligen Staaten, in denen die Verunsicherung der Bevölkerung hoch und das Potenzial für radikalpopulistische Parteien und Politiker*innen deutlich gestiegen ist. 

2. Durch Regierungsdefizite der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP und regierungsinterne Konflikte ist in bisher beispiellosem Ausmaß Vertrauen in Politik und Exekutive verlorengegangen. 

3. Ob und inwiefern dies Auswirkungen auf Legitimität, Polarisierung der Gesellschaft und Wahlergebnisse hat, ist angesichts der Unsicherheiten der Prognosemethoden (»Sonntagsfrage«, soziale Erwünschtheit von Antworten) unklar. Dies muss mit alternativen Methoden der Wahlforschung überprüft werden. 

4. Angesichts regionaler Wahlerfolge und stabiler Umfragen ist bei der 10. Euroawahl mit höheren Wahlergebnissen der AfD und anderer radikalpopulistischer Parteien als bei bei der 9. Europawahl zu rechnen.

5. Ziel der Radikalpopulisten ist der »Regime Change«, der als Umsturz der bisherigen freiheitlich-demokratischen Grundordnung gelesen werden kann. Wer an solchen Plänen zweifelte, wurde nun eines besseren belehrt. Der Marsch durch die Institutionen hat längst begonnen, die Unterwanderung der Gesellschaft ist bereits fortgeschritten (Landrats- und Bürgermeisterwahlen in Ostdeutschland, Verfassungrichter-Besetzungen).

6. Das Radikalentreffen in Neu Fahrland hat die Lage fundamental verändert: Möglicherweise war es ein Gamechanger. In Neu Fahrland bei Potsdam trafen sich im November 2023 auf dem privaten Landgut Adlon rechtsextreme Identitäre, AfD-Funktionäre, Werte-Unions-Vorstandsmitglieder und CDU-Mitglieder zu einem konspirativ-subversiven Treffen, bei dem es um massenhafte »Remigration« von Menschen mit Migrationshintergund ging. Gemeint war nach übereinstimmender Auffassung vieler Beobachter*innen die gewaltsame Vertreibung von unerwünschten Menschen aus Deutschland – unter Bruch der Verfassung. Vortragender war der rechtsextreme Propagandist der rechtsextremen Identitären Bewegung, (IB), Martin Sellner. Die extrem spaltenden und Millionen Menschen gefährdenden Regierungspläne der AfD haben viele Menschen alarmiert. Diese Enthüllung der Plattform correctiv im Januar 2024[4] war das Momentum, das Millionen von Menschen dazu bewegt hat, auf die Straße zu gehen. Drastik, Radikalität, Rücksichtslosigkeit  und Menschenverachtung der rechtsextremen Strategie- und Masterpläne haben überall in Deutschland Menschen schockiert und aufgerüttelt. 

7. Die Furcht vor massenhaften Rchtsbrüchen, Menschenrechtsverletzungen und einer Gefährdung der Demokratie mobilisiert offenkundig Menschen in hohem Ausmaß, sich in Abwehrhaltung zu begeben, wachsam zu sein und sich als verantwortungsbewusste Staatsbürger zu wehren. 

8. Massendemonstrationen haben mediale und kommunikative Wirkung. Sie sind dadurch ein Machtfaktor, wecken Aufmerksamkeit und bringen diejenigen, gegen die demonstriert wird – hier die Feinde Demokratie – in die Defensive. Das wird in der Debatte über die Wirkung und die Nachhaltigkeit solcher Kundgebungen unterschätzt.

9. Zwangs-Remigration als rechtsextremes Triggerthema muss trotz der Kundgebungen ernst genommen werden. Die Pläne sind verfassungswidrig und menschenverachtend. Nichts ist harmlos bei Rechtsextremen. Die Radikalpopulisten haben angesichts möglicher Regierungsbeteiligungen oder Regierungsmacht keine Angst mehr vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz, obwohl dies mit negativen Konsequenzen verbunden ist. 

10. Gutes Regieren nutzt. Dazu gehören Achtung der Rechtsstaatlichkeit, Offenheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber den demokratischen Institutionen, Fairness und Gerechtigkeit im Umgang mit den Bürgern, einschließlich Mechanismen für Konsultation und Beteiligung, effiziente und effektive Dienstleistungen, klare, transparente und anwendbare Gesetze und Vorschriften, Konsistenz und Kohärenz in der Politikgestaltung und hohe Standards für ethisches Verhalten, Mautaffäre, Maskenaffären, Vetternwirtschaft, chaotische Kommunikation, fehlende Grundwerte verstören und sorgen für hohe Verunsicherung. Wenn die Bundesregierung  nicht zu gutem Regieren in der Lage ist, muss sie das Ampel-Experiment beenden. 

11. Die Realität zeigt, dass die demokratische Gesellschaft über Power verfügt und aktiv wird, wenn sie herausgefordert wird. Die Proteste haben eine enorme Resonanz erzielt, die Teilnehmerzahlen sind beeindruckend. Zwischen dem 10. Januar und dem 28. Januar 2024 gingen über zwei Millionen Menschen in vielen deutschen Städten auf die Straße.  

12. Diese Art der direkten Partizipation zwingt die Regierenden zu einer konstruktiven, bürgernahen »Cohabitation« mit der Bevölkerung. Das ist neu in Deutschland und sollte als Chance betrachtet werden.

Anmerkungen

[1] Die »Permakrise« ist ein neues Modewort, die die europäische Dauerkrise beschreibt. Thierry Breton hat es am 19. September 2022 erstmals in seinem Blog benutzt: „Because judging by the last few years, and the forecasts for the future, we are living in an era of »permacrisis« in which we can no longer improvise. We must be better prepared to anticipate and respond to the next crisis.« (Wenn wir die letzten Jahre beurteilen und die Prognosen für die Zukunft in den Blick nehmen,  leben wir in der Ära einer »Permakrise«, in der wir nicht mehr improvisieren können. Wir müssen besser vorbereitet sein, um die nächste Krise zu antizipieren und darauf zu reagieren.« Siehe auch: WHO (2022): Statement von Henry Kluge: The European Region is in a »permacrisis« that stretches well beyond the pandemic, climate change and war. ECPR (2023): Citizenship in Permacrisis: Policies, Politics and Citizen Behaviour.

[2] European Parliament EP(2023): Parlameter 2023. Special Eurobarometer EB044EP : EP Autumn 2023 Survey: Six months before the 2024 European Elections. Befragt wurden 26.523 Personen in 27 EU-Ländern. Die Befragung ist repräsentativ.

[3] Als Triggerpunkte (wie in der Medizin) gelten laut Mau et al. vor allem »Ungleichbehandlungen oder Übervorteilungen«, „verletzte Anspruchshierarchien“, „Normalitätsverstöße“, Ordnungsverlust, Deviant, Schmutz, „Identitätsbedrohung durch Verschiebung des Normalen«, »Entgrenzungsbefürchtungen“, „Anspruchsinflation“m «Verhaltenszumutungen, Eingriffe in Handlungsroutinen und ie Autonomie der Bürger, so genannte Sprechverbote, BVeggie-Day, Tempolimit und Stigmatisierung von Verhalten (vgl Mau et al. 276)

[4]: Correctiv (2024): NEUE RECHTE: Geheimplan gegen Deutschland. Von diesem Treffen sollte niemand erfahren: Hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer kamen im November in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. 10.1.2024. https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/

[5] Tatsächlich handelt es sich bei den in Potsdam vorgestellten Plänen um eine Form der Zwangs-Remigration, die den Charakter der Deportationen trägt. Ziel der Bestrebungen ist letztlich »die Ausweisung von Bevölkerungsteile aus Deutschland und Europa, die den ethnokulturellen Kriterien der IB [Identitäre Bewegung, d. Verf.] nicht entsprechen« (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. Februar 2020 – 10 CE 19.2517 –, juris). Es geht den Rechtsextremen aber nicht nur um so bezeichnete ethnokulturelle Kriterien, sondern auch um Einstellungen, »Assimilation« der Menschen in die deutsche Gesellschaft und Herkunft.

[6] Die verfassungswidrige und mutmaßliche rechtsextremistische Ausrichtung der AfD, ihrer Jugendorganisation und der Identitären Bewegung ist mehrfach in Gerichtsverfahren belegt worden, etwa an Begriffen wie Ethnopluralismus oder Remigration. Demnach liegen »hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen« der AfD vor. (VG Köln, Urteil vom 13. Oktober 2022 – 13 K 4222/18 –, juris).  Demnach kaschieren die Begriffe Ethnopluralismus und Remigration, ethnokulturellen Identität nur oberflächlich, dass die AfD »einen völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff vertrete, der in Widerspruch zum Volksbegriff des Grundgesetzes stehe« (VG Köln). Das ist glasklar formuliert, nicht zuletzt wegen der „kontinuierlichen Agitation« der AfD  gegen Ausländer und Menschen mit  Migrationshintergrund. Wenn sogar im Deutschen Bundestag von einem ex-AfD-Mitglied und nunmehr fraktionslosen Abgeordneten im Sinne von Björn Höcke oder Martin Sellner die »millionenfache Remigration« gefordert wird, wenn ein Hetzer wie Höcke in einer Rede feststellt, man werde »auch ohne Probleme mit 20 bis 30 Prozent weniger Menschen inDeutschland leben können« (zitiert von »Der Westen« am 30.1.2024 und vom ehemaligen CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz am 31.1.2024 auf »X«; beide können sich auf mitgeschnittene Redeausschnitte berufen), dann ist diese kontinuierliche menschenfeindliche Agitation der AfD mittlerweile im Zentrum der politische Debatte angekommen.

[7] Das gilt vor allem für konservative Printmedien aus dem Springer-Verlag und für die Neue Zürcher Zeitung.

[8] Angelehnt an Judith Shklar schreibt Hannes Bajohr, die »Vermeidung der als grausam verstandenen passiven Ungerechtigkeit« verlange »unter Umständen eine besondere  taatsbürgerschaft der Wachsamkeit‹, die ein ganz eigenes Charakterprofil voraussetzt.« (Bajohr 315-316). Den Begriff »Staatsbürgerschaft der Wachsamkeit« für Shklars Ansatz hat Seyla Benhabib (2013; 77) geprägt.

[9] Shklar, Judith (2013). Der Liberalismus der Furcht. Der Liberalismus der Furcht. 2. Aufl. Herausgegeben und übersetzt von Hannes Bajohr. Vorwort Axel Honneth; ergänzende Essays von Seyla Benhabib, Michael Walzer, Bernard Williams. Berlin: Matthes & Seitz.

[10] Mudde, Cas and Cristóbal Rovira Kaltwasser (2017). Populism: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press.

Literatur

Primärquelle

Correctiv (2024): NEUE RECHTE: Geheimplan gegen Deutschland. Von diesem Treffen sollte niemand erfahren: Hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer kamen im November in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. 10.1.2024. https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/

Sekundärliteratur

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