Armin König

Provokativ, ärgerlich, begeisternd, oberflächlich, substanziell: die FAS heute

„Hört auf zu jammern“, schmettert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung den Bayernfans entgegen, die gerade das 0:2 gegen Inter Mailand zu beklagen haben und nun einem unerfüllten Traum nachweinen. „Der Jugend geht es so gut wie noch nie“. Zugegeben: Gemeint sind nicht Holger Badstuber, Bastian Schweinsteiger oder Philipp Lahm, so treffend gemein dies auch klingt. Nein, gemeint ist die Generation der 30jährigen, der die FAS den Erst- oder Nebenaufmacher neben den Bayern widmet. Hinzu kommt ein 6seitiges „Spezial“. Aber es gefällt mir nicht. Es gefällt mir ganz und gar nicht, wenn ich es recht überlege.

Aufmacher und „Spezial“ sind in ihrer Oberflächlichkeit und in ihrer Einseitigkeit einfach nur ärgerlich. Es trifft nicht zu, dass es es „dieser Generation 30 doch ziemlich prächtig“ geht. Wo lebt Bettina Weiguny, die Autorin? Im Taunus-Speckgürtel des Banken-Biotops, das Betriebswirten, Juristen und anderen Akademikern prächtige Chancen anbietet? Als Bürgermeister kenne ich andere Befunde. Wissenschaftlich betrachtet: Narrativ-qualitativ erhobene Befunde, auf denen substanzielle Analysen aufzubauen sind. Meine Erkenntnis: Die „Leiden der Generation Praktikum“ sind durchaus real verteilt im Bundesgebiet und keineswegs „weitgehend Phantomschmerzen“. Wobei ich Heinz Budes soziologischem Befund durchaus zustimmen würde, dass es noch keine Generation gegeben habe, „die so wenig an ihre eigenen Chancen glaubt wie diese“. Als Kontrastausgabe zur FAS empfiehlt sich der SZ-ARtikel vom 19. Mai: „Frist oder stirb – die Generation der Ausgebeuteten“.

So bleibt es kritischen Lesern unbenommen, sich ihre eine eigene Meinung zu bilden.

Das gilt dann allerdings auch für den sehr gut recherchierten Seit-5-Artikel „Was wollen Sie eigentlich“ über drei pädophile Priester. Kurienkardinal Walter Kasper und Erzbischof Robert Zollitsch, einst bischöflicher Personalreferent, müssen sich Kritik gefallen lassen, die nach dem Stand der Recherche berechtigt ist. Es ist ruhig geworden um das aufwühlende Thema. An Brisanz hat es dennoch nichts eingebüßt. So lesen vor allem kurienkritische Katholiken wie ich die heutige FAS mit Gewinn.

Auch die FDP wird die FAS wieder mit Gewinn lesen, läuft sie doch derzeit Gefahr, „alles zu verlieren: Themen, Wähler, den Koalitionspartner“. Völlig zu recht fragen Oliver Hoischen und Eckart Lohse, wen die Freien Demokraten überhaupt noch erreichen. Fast meint man, die (Wirtschafts?-)Liberalen seien aus der Zeit gefallen. Die Autoren zitieren süffisant Gorbatschows Kommentar, wer zu spät komme, den bestrafe das Leben.

Hannelore Kraft und ihre SozialdemokratInnen haben gerade noch die Kurve an Rhein und Ruhr gekriegt, um nicht zu spät zu kommen und am prallen politischen Leben zu scheitern. Schön, wie die FAS den Prozess der Wirklichkeitserfassung der NRW-SPD nach der gescheiterten Sondierung mit den sektiererischen Linken beschreibt: dass die SPD endlich erfasst hat, dass sie verloren hat und wohl ein Bündnis mit der CDU eingehen muss. Mehr gezupft hätte ich, wäre ich FAS-Redakteur, das neue Buch des CDU-Politikers Ruprecht Polenz, das mit Rücksicht auf die Unionswähler erst nach der NRW-Wahl erscheinen durfte – nach langer Geheimhaltung: „Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU“ heißt es. Und Polenz, immerhin einmal CDU-Generalsekretär (unter Angela Merkel!), sagt im Interview: „Unsere Werte sind mit dem Islam kompatibel“. Da hätte man in den CDU-Wunden ein bisschen bohren können.

Mit Begeisterung habe ich den iPad-Beschrieb „Die Welt ist das Netz, nicht die App“ verschlungen. Selbst bin ich hin- und hergerissen, ob das iPad eine Revolution oder ein Rückschritt ist. Ich neige zur Annahme, dass es eine Revolution ist. Aber: „Das hehre Ideal der Schlichtheit scheitert an der komplizierten Wirklichkeit. Das iPad ist eine Maschine für den passiven Konsumenten – oder für die seltenen Sonntage des unverbindlichen Dahinsurfens im Netz. Es ist nichts für den aktiven Nutzer, der mit eigenen Inhalten arbeiten will“, schreibt Michael Spehr. Was, wenn er Recht hat?

Bevor ich mich entscheide, will ich erst mal „Schlafen wie Löw in Südafrika“. Das macht Leselust. Sportler werden mit Begeisterung aufnehmen, dass zu viele Bayern-Spieler mit zu wenig Mumm auf dem Platz gegen Inter standen. Köstliche Einzelkritiken (Gomez „hätte auch auf der Bank sitzen bleiben können“) runden den Fußball („Das Runde muss ins Eckige“) ab. Dazu gibt’s noch Eishockey mit Uwe Krupp und Boxen mit Regina Halmich -ich kenne langweiligere Sonntagsbeschäftigungen. Wer je Eishockey live sah – ich sah die Haie zu ihren Spitzenzeiten – wird von diesem Sport begeistert sein.

International werden Bangkok, die machtvolle „Tea Party“-Bewegung der amerikanischen Konservativen und Rasmussens Rolle als Nato-Generalsekretär analysiert. Jakob von Uexküll, Stifter des Alternativen Nobelpreises, öffnet uns die Augen für Wege aus der Krise, während die Wirtschaftsredaktion anscheinend in alten Weltbildern verhaftet bleibt, Stereotypien viel Platz einräumt und schließlich den Koch gibt, wenn sie schreibt: „Mehr Geld für Bildung bringt gar nichts“. Dann geht mir die Galle hoch, muss ich mich bremsen, um nicht zornige Zeilen an die Redaktion zu richten, dass diese sich selbst richte. Was ich hiermit unterlasse….

Bleibt zum Schluss noch ein brillantes Feuilleton mit einer Analyse von Corinna Ponto zum Baader-Meinhof-System und dessen Einbindung in internationale Geheimdienst-Machenschaften. Zur Erinnerung: Corinna Ponto ist die Tochter des von der RAF ermordeten Bankiers Jürgen Ponto. Ihr Buch, das nächstes Jahr (in Kooperation mit der Susanne-Albrecht-Schwester Julia Albrecht) zum Thema erscheint, werde ich sicher lesen. Notiert habe ich mir „Cash“ von Richard Price, das von der FAS begeistert besprochen wird. Und mit Manfred Schmidt lerne ich einen wichtigen Foto-Künstler kennen.

Mein ganz persönlicher Lesehöhepunkt ist der grandiose Mappus-Verriss. Dieser plumpe Schwabe, der sich als Franz-Josef-Strauß-Verschnitt inszeniert und sich dabei lächerlich macht, wird als Kontrast zum bürgerlichen CDU’ler Norbert Röttgen treffend gezeichnet. Da habe ich wieder meinen Frieden mit der FAS geschlossen. Die Wissenschaftsseiten runden die Feiertagslektüre niveauvoll ab.

Ich wollte sie eigentlich nicht mehr lesen, die FAS. Aber ich werde meinem Vorsatz wohl auch nächste Woche wieder untreu, derweil die gute Twitter-@Apfelmuse Andrea Juchem ihren FAS-Kommentar Woche für Woche mit einem kreativen Sonntagsfoto ausdrückt. Immer wird die Titelseite originell ins Lebensumfeld der @ApfelMuse gerückt – samt Sonntagstasse. So lob ich mir kreative Managerinnen.

Armin König