Saarland digital: Wie das kleine Land zum Bürgerland werden könnte

Saarland:
Wie das kleine Land zum Bürgerland werden könnte

[10.12.2018] Für die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung sind radikal neue Ansätze gefragt. Das Saarland bietet gute Voraussetzungen, diese umzusetzen – und sich damit auf den Weg zum Bürgerland Saar zu machen.

In Bürgerkommunen Aufgaben kollektiv lösen.Die digitale Transformation wird Deutschlands Behörden stark verändern. Auswirkungen hat dies vor allem auf die Städte und Gemeinden, denn die Kommunen sind die ersten Ansprechpartner der Bürger. Kein anderes Bundesland hat dabei so gute Voraussetzungen, seine Verwaltung von Grund auf zu reorganisieren, wie das Saarland. Vieles spricht für ein innovatives Pilotvorhaben, um Land und Kommunen umfassend zu modernisieren: die Größe (oder Kleinheit) des Landes, die dichte Besiedelung, die renommierten IT-Forschungsinstitute im Land, die überschaubare Zahl von 52 Groß- und Einheitsgemeinden und die kurzen Wege. Entscheidend ist, die analogen Strukturen und Prozesse nicht einfach auf digitale Workflows zu übertragen. Stattdessen sollte ein radikal neuer und innovativer Ansatz verfolgt werden. Die Kommunen könnten zusammen mit dem Land die Rolle übernehmen, Motor der digitalen Transforma­tion der öffentlichen Verwaltung in Deutschland zu sein und die Bürger dabei einbeziehen.
Bis zum Jahr 2020 sollen Behörden und andere öffentliche Einrichtungen in der EU grenzübergreifende, personalisierte, nutzerfreundliche und vollständig digitale Dienste anbieten. Offenheit und Transparenz, Open Data sowie das Once-Only-Prinzip, das garantiert, dass Bürger und Unternehmen Daten nach Möglichkeit nur einmal übermitteln müssen, erfordern jedoch neues Denken, neue Strukturen und neue Wege. Digital First ist ein Paradigmenwechsel.

Innovationen nicht ausbremsen

Die Vorschläge von Saarland-CIO Professor Ulli Meyer zu einer digitalen Landesverwaltung unter Einschluss der Kommunen (wir berichteten) gehen hingegen von einem traditionellen, analogen Verwaltungsansatz aus. Der Vorschlag übersieht dabei, dass es bereits funktionierende Lösungen im Rahmen interkommunaler Kooperationen im Saarland gibt. Meyer sagt: „Wir planen Projekte im Bereich des Rechenzentrums, des Serviceportals und der IT-Sicherheit.“ Soweit 4.0-Digitalisierung sich auf die Landesverwaltung und die nachgeordneten Behörden bezieht, ist dies legitim, auch in Kooperation mit der Universität des Saarlands, deren Rechenzentrum seit Jahren störanfällig ist.
Dass das Land ein eigenes Rechenzentrum plant, ist nachvollziehbar. Der Versuch, auch die Kommunen in einem ebenenübergreifenden Projekt mit einem „goldenen Zügel“ einzubinden, ist allerdings weder notwendig noch rechtlich vertretbar, da viele Kommunen schon deutlich weiter sind, und es sich um einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung handelt. Man würde damit die innovativsten unter den Saar-Kommunen ausbremsen. Zudem ist es wenig sinnvoll, privaten Hochleistungsrechenzentren staatliche Konkurrenz zu machen. Während diese privaten Rechenzentren bereits existieren und höchste Standards auch für Kommunen bieten, ist das saarländische Landesrechenzentrum erst in Planung und soll frühestens im Jahr 2020 in Betrieb gehen. Meyer umschreibt dies mit dem Schlagwort „Zukunftsinvestitionspakt 2020“. Die Zukunftsinvestitionen müssen nach Ansicht des kommunalen Zukunftsnetzwerks Saar aber noch in diesem Jahr erfolgen, um die bisherigen kommunalen Server-Inseln aus Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsgründen umgehend stillzulegen und im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften zukunftssichere Gemeinschaftslösungen anzubieten.

Zukunftsnetzwerk Saar

Im seit 2016 existierenden Zukunftsnetzwerk Saar engagieren sich derzeit 25 der 52 saarländischen Kommunen, um ihre Aktivitäten beim Datenschutz, der IT-Sicherheit und beim Outsourcing ihrer bisher lokalen Server in Hochsicherheitsrechenzentren zu bündeln. Pünktlich zum Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 haben sie den ersten und zudem einen wichtigen Meilenstein in ihrem Projekt erreicht: Alle teilnehmenden Kommunen verfügen seitdem über ein vollständiges, aktuelles Verfahrensverzeichnis. Ebenso wurde für alle Kommunen eine zentrale Software zur Dokumentation der Verfahren und eingeleiteten datenschutzrechtlichen Prozesse installiert und eingeführt.
Die Kooperationskommunen wollen auch mit dem Land unverzüglich medienbruchfrei zusammenarbeiten. Ob dazu allerdings ein gemeinsames, ebenenübergreifendes Landesrechenzentrum erforderlich ist, das auch noch mit Mitteln des kommunalen Finanzausgleichs finanziert wird, scheint fraglich. Zumal auch die vier Server-Kommunen Saarbrücken, Völklingen, Neunkirchen und St. Ingbert Kapazitäten vorhalten. Sinnvoll ist dagegen ein virtuelles Rechenzen­t­rum, das die Rechnerkapazitäten im Rahmen des Saarlandnetzes zusammenführt. Dies kann vom kommunalen Zweckverband eGo-Saar geleistet werden, der sich allerdings neu orientieren und aufstellen sollte.

Kernelemente der Verwaltung der Zukunft

Aufbauend auf den Erkenntnissen der Reformkommunen im Zukunftsnetzwerk Saar und einer Gruppe junger Bürgermeister, die ein eigenes Positionspapier vorgelegt haben, lassen sich für die Verwaltung der Zukunft im Saarland folgende Kernelemente definieren: die konsequente Entwicklung einer Saar-Bürger-App, eine Innovationskooperation von Verwaltungen, Regierung, Hochschulen, An-Instituten und Privaten für einen saarländischen Digital-Netzplan, ein IT-Handlungspakt Land-Kommune sowie die Schaffung zukunftssicherer Netzstrukturen.
Gelingen soll dies im Rahmen eines Netzwerks innovativer Verwaltungspraktiker gemeinsam mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken, dem CISPA Helmholtz Zentrum für Informationssicherheit, Wagniskapitalgebern, der Landesregierung, der Saarländischen Investitionskreditbank SIKB und gegebenenfalls mit geförderten Start-ups, die neue Entwicklungen auf den Weg bringen. Notwendig ist zudem eine SaarCloud, die Wissenschaft und Praxis verbindet sowie die Verarbeitung und Nutzung des gigantischen Daten- und Verwaltungspools der Kommunen und des Landes ermöglicht. Die Aufgaben sind vielfältig: elektronische Bauakte, digitale Abrechnungssysteme anstelle anachronistischer Haushalts- und Kassenanordnungen, automatisiertes Scannen von Rechnungen, optimiertes Projekt-Management bei kommunalen Investitionen, Controlling-Apps für Bauaufsichtsbehörden, dazu automatisierte Fristen und Wiedervorlagen sowie Qualitätsmanagement. Damit könnten kommunale und Landesverwaltung stark entlastet werden.

Herausforderung annehmen

Es wird darüber hinaus neue Anforderungen an Beschäftigte im öffentlichen Dienst geben, das ist für den Mainzer Professor und Organisationsberater Manfred Becker offenkundig. Eine Gruppe werde cyber-physische Systeme entwickeln, eine andere werde sie bedienen und Aufträge abarbeiten. Anstelle des engen Fachexperten treten die flexiblen Netzwerker: „Die persönlichen Anforderungen konzentrieren sich auf Kooperations- und Kollaborationsfähigkeit, auf Netzwerkbefähigung, Denken in Zusammenhängen und Ambiguitätstoleranz. Hinzu kommen Fähigkeiten im Umgang mit Komplexität, Dynamik und Unsicherheit, weil die Echtzeit-Philosophie der Verwaltung 4.0 fortgesetzt Veränderungen hervorruft, die lernend bewältigt werden müssen.“ Das ist eine Herausforderung für alle Beteiligten, aber es lohnt sich, sie anzunehmen. Die Städte, Gemeinden und Kreise sollten zu transparent agierenden Bürgerkommunen werden, um kollektiv Aufgaben zu lösen. Dann funktioniert auch die kommunale Selbstverwaltung wieder – und das Saarland hat die Riesenchance, zum Bürgerland Saar zu werden.

Dr. Armin König ist Bürgermeister der Gemeinde Illingen im Saarland.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Dezember 2018 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Politik, Saarland