Schrumpfende Schilde, wachsende Schuld

Klimawandel ist keine schicksalhaft auftauchende Naturkatastrophe, gegen die es kein Entrinnen gibt. Es ist auch keine rein naturwissenschaftliche Herausforderung, die sich nur den Meteorologen erschließt. Vielmehr ist der Klimawandel eine schleichende, anthropogene – also von Menschen gemachte – Katastrophe. Jeder Mensch guten Willens kann verstehen, was dem Planeten Erde angetan wird.

So schrumpfen arktische Eisschilde, das Meer erwärmt sich, der Meeresspiegel steigt, die außerpolare Kryosphäre geht zurück, gleichzeitig versauert ozeanisches Oberflächenwasser, was sich auf die Ökosysteme sehr negativ auswirkt. Schließlich sind die Ozeane nicht nur Nahrungsquelle und Klimaregulator, sie sind auch ein entscheidender Teil des Ökosystems Erde. Immerhin bedecken sie 71 Prozent der Erdoberfläche – ein enormer Anteil unseres Planeten. Hier leben etwa 230.000 Arten in unterschiedlichen Lebensräumen. Klimawandel stört und verändert die Ozeane. Wer aber die Meere zerstört, zerstört den Planeten und seine Lebensgrundlagen, die er Menschen, Tieren und Pflanzen liefert.

Folgen dieses von Menschen verursachten Klimawandels sind unter anderem die Schrumpfung der arktischen Meereisbedeckung, der Rückgang der außerpolaren Kryosphäre, der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung des ozeanischen Oberflächenwassers, die rasante Zunahme extremer Wetterereignisse wie Hitze, Dürre, Stürme, Starkniederschläge, Überschwemmungen sowie die Verringerung der Biodiversität. Das Menetekel an der Wand ist unübersehbar.

Immerhin ist festzustellen, die Katastrophe noch zu verhindern ist, wenn der Homo politicus sich als vernünftig erweist und Konsequenzen aus den bisher angerichteten Schäden zieht.

Allerdings scheinen Politiker der Industriestaaten derzeit unwillig, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Sie laden damit aus ethischer Sicht Schuld auf sich, wie Andreas Lienkamp in „Klimawandel und Gerechtigkeit“ darstellt. Wenn die Ärmsten der Erde zu Tausenden Opfer des Klimawandels werden, obwohl sie selbst zu dem Problem nichts beigetragen haben, weil sie weder produzieren noch Schadstoffe emittieren, dann ist dies ein globaler Skandal, eine schreiende Ungerechtigkeit. Lienkamp steht mit dieser Meinung nicht allein. Auch die Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber verweisen auf die große „moralische Last“ des Klimawandels und derer, die ihn verursachen. Wer Gerechtigkeit zur Maxime seines Handelns erklärt, darf angesichts schreiender Ungerechtigkeiten durch egoistisches Verhalten der Industrieländer und ihrer Produzenten nicht untätig zuschauen. Oder – was noch schlimmer ist – das Gegenteil dessen praktizieren, was notwendig ist.

Wer heute den RWE-Manager Großmann im Fernsehen sah, musste an der Kompetenz deutscher Energiemanager zweifeln. Es sind die Macho-Typen, die mit einem so genannten energiepolitischen Appell die Bundesregierung gefügig machen und in die Knie zwingen wollen. Wer den schwitzenden Großmann nach Angela Merkels klarer Ansage sah, Zusatzgewinne für längere Atomlaufzeiten abzuschöpfen, der musste sich fragen: Sind das die Manager mit den Millioneneinkommen, die die Weisheit der Welt mit Schöpflöffeln gefressen haben? Sie mögen betriebswirtschaftliche Kanonen sein – gesellschaftspolitisch sind sie Zwerge. Armselig.

All denen, die die Großanzeige des BDI mit unterzeichnet haben, sei ins Stammbuch geschrieben: Sie laden Schuld auf sich, wenn Sie nicht bereit zu einer Energiewende sind.

Aber Sie können ja von den Bösen zu den Guten werden, wenn Sie Besserung geloben und sich an die Sätze halten, die Sie selbst unterschrieben haben.

Ja, werte Manager, wir nehmen Sie beim Wort. Seien Sie mutig. Beweisen Sie Verantwortung: Corporate Social Responsibility (CSR). Und Corporate Ecological Responsibility.

Sie schreiben in Ihrer Großanzeige: „Herausforderungen annehmen: Die Zukunft gehört den Erneuerbaren“. Recht haben Sie. Also machen Sie dies zu Ihrer Strategie. Sie schreiben: „Die ökologische Ausrichtung unserer Energieversorgung ist richtig“. Und sie erläutern dies auch: „CO2-freien-Energien gehört die Zukunft“. Wir finden es prima, dass Sie dies erkannt haben. Seien Sie konsequent: Verzichten Sie so schnell wie möglich auf Braunkohlestinker und Atomstrahler und ähnliche Umweltbelaster. Setzen Sie auf erneuerbare Energien, auf Solar- und Windenergie beispielsweise, auf intelligente, dezentrale Lösungen, damit wir auch bei wachsender Konkurrenz „weltweit ein Vorreiter im Klimaschutz und in der Energieeffizienz“ bleiben. Warum wollen Sie weiter auf Alt-Energien setzen, wenn den neuen Energien die Zukunft gehört. Oder ist die Eisenbahn, werter Herr Grube, als die E-Loks in Großserie eingesetzt werden konnten, weiterhin mit bewährtem Dampf gefahren? Auch die Autoindustrie konnte nach Einführung des Kats nicht nicht jahrzehntelang die Alttechnologie der Verbleiung weiterverwenden, stimmts, Herr Wissmann?

Sie haben Recht, werte Manager – Sie sollten Investitionen in erneuerbare Energien „nicht blockieren“. Stattdessen sollten Sie „Weichen stellen“ für „eine starke Infrastruktur“. Dafür brauchen wir Brennelemente-Steuern und ökologische Steuerungsinstrumente. Das gehört zur Corporate Social Responsibility der Industrie gegenüber einer Gesellschaft, die der Industrie über Jahrzehnte glänzende Geschäfte ermöglicht hat – nicht zuletzt dadurch, dass die Energiekonzerne seit den fünfziger Jahren 165 Milliarden Euro an Subventionen erhalten haben. Trifft doch zu, Herr Dr. Großmann, Herr Hatakka, Herr Villis, Herr Teyssen?!

Sie sollten der Bundesregierung und den Menschen dieses Landes dankbar dafür sein.

Irgendwann werden auch Sie es verstehen. Sie sind doch alle Schlaumeier, meine Herren Professoren, Doktoren, Honoratioren.

By the way: Frauen haben diese Anzeige nicht unterschrieben.

Nur Machtmännchen – pardon: Machtmenschen.

Meine Herren: Schluss mit Macho-Muskelspielen gegen die Kanzlerin. Brav sein.

Ökologisch. Natürlich.

Dann zeigten Sie wahren Größe. Herren-Größe.

Ackermann, geh du voran. Wie sonst auch.

P.S.: Die Süddeutsche Zeitung („Frau Merkel, bitte zum Diktat!“, 23.8.2010) zitiert den alten, grünen Schily mit den Worten: „Das Gerede von vermeintlichen Sachzwängen, die dem Ausstieg aus der Atomenergie entgegenstehen, erweist sich als bloßes Unvermögen zum energiepolitischen Umdenken.“ Der alte, moderne Schily hat’s 1986 gesagt. Der neue Dr. h.c. Schily von 2010 ist dagegen uralt, gefangen in altindustriellen Denkmustern. Umdenken oder abtreten, Männer. Ihr Appell taugt nichts.