Spannend in Hirschberg – Wie ihr die Mitte stärken könnt statt am Ortsrand Betonmassen zu verbauen
Ein Erfahrungs- und Reisebericht
Spannend war’s, aufregend war’s.
In Hirschberg an der Bergstraße wird derzeit heftig debattiert über ein geplantes Neubau-Außengebiet, das „Rennäcker“ heißt, 6 Hektar groß ist und mit massiver Verdichtung über 600 neue Einwohner bringen soll („Wachstum, Wachstum, Wachstum“ trotz Schrumpfung – immer wieder die anachronistischen Parolen, die aber nicht funktionieren!). So jedenfalls sieht es ein unverbindlicher und sehr umstrittener „Testentwurf“ vor. Den tragen Freie Wähler, CDU, SPD und FDP und der Bürgermeister wie eine Monstranz vor sich her und behaupten, nur mit diesem Rennäcker-Neubaugebiet habe Hirschberg „Entwicklung“ – was ein ziemlicher Unsinn ist.
Wir wissen seit 20 Jahren aus der Demografie- und Quartiersforschung, dass es der falsche Weg ist, Neubaugebiete im Außenbereich zu entwickeln, während die Mitte der Gemeinden verödet. Ökonomisch und ökologisch ist dies in der Regel verheerend. Dafür gibt es mittlerweile Dutzende Beispiele
Eigentlich hat Baden-Württemberg gute Programme zur Innen- und Quartiersentwicklung (Quartier2030), aber die sind in Hirschberg bisher anscheinend nicht angekommen oder nicht gewollt.
Meine Argumente habe ich schon bei vielen Gelegenheiten und Auftritten quer durch die Republik vorgebracht, etwa bei der Keynote im Ortenaukreis oder in Mosbach oder Aalen, – in aller Offenheit („Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, Ingeborg Bachmann).
Neubaugebiete im Außenbereich müssten verboten werden, vor allem in demografischen Problemkommunen. Und es ist ja auch rechtsfehlerhaft, wenn Hirschberg das so machen will, wenn nicht rechtswidrig. Es verstößt gegen höherrangiges Recht und womöglich gegen die Satzung des Nachbarschaftsverbands Heidelberg-Mannheim. Das müsste juristisch geprüft werden.
Es geht anders, und es geht besser. Mittendrin spielt zum Beispiel in Illingen die Musik, dort, wo ich 27 Jahre Bürgermeister war. Innenentwicklung wäre auch in Hirschberg möglich – wenn man es denn wollte.
Darum geht es in diesem Erfahrungsbericht.
Mein Vortrags-Besuch Hirschberg an der Bergstraße (Leutershausen und Großsachsen) hat mir Freude gemacht und neue Erfahrungen gebracht – und hoffentlich nicht nur mir . Sportfreunde kennen den Ortsteil Leutershausen übrigens – der war mal Handball-Hochburg, bevor die Rhein-Neckar-Löwen in Mannheim groß wurden. Mein Vortrag hieß: „Flächen sparen durch Innen-Entwicklung mit konsequenter Bürgerinnenbeteiligung“ – Erfahrungen aus Illingen.
Eingeladen hatte die Bürgerinitiative Hirschberg. Herzlichen Dank an Dr. Thilo Sekol und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Gehen wir gleich in die Debatte – konträr zur Kommunalpolitik in Hirschberg. Leute, hört zu:
Innenentwicklung funktioniert. Wer Anderes behauptet, sagt die Unwahrheit. Das hatte ich schon der Rhein-Neckar-Zeitung in einem großen Interview gesagt. Titel des Interviews:
„Wie eine Gemeinde für die Zukunft umgekrempelt werden kann“.
Rein in die Mitte und dort sanieren, investieren und bauen
Also ab und rein in die Mitte und dort sanieren, investieren und bauen. Das funktioniert, wenn man’s akribisch macht, ist aber mühsamer als das Bauen auf der grünen Wiese. Die „Bürgerinitiative Hirschberg gegen Flächenverbrauch“ hat dazu überzeugende Beispiele aufgelistet auf ihrer Webseite. In jedem Fall ist es nachhaltiger und besser, weil keine neuen Flächen versiegelt werden, weil die Infrastruktur mit all den Leitungen und Kabeln schon da ist und weil es im Sinne einer verdichteten Ortsmitte ist. Das ist der Trend des innovativen Bauens. Konzerne mögen das nicht, weil es aufwendiger ist und weniger Rendite bringt. Und in Hirschberg ist ein großer Konzern im Spiel (DSK). Und ein paar Grundstückseigentümer, die die Dollar- oder Eurozeichen in den Augen haben. Das ist die Ausgangslage.
Baupläne in Verbindung mit Statistik können megaspannend sein. Und ich staune immer wieder, wie mächtige Investoren die Kommunalpolitik über den Tisch ziehen wollen – zu Lasten der Gesamtbevölkerung (Spätfolgen, Leerstände, Brennpunkte, Gebührenerhöhungen). Da haben wir ja in den 2000er Jahren in Illingen unsere Erfahrungen mit Glücksrittern gemacht. Denen haben wir die Tür gezeigt. Ausnahmslos. Weil das alles schreckliche Planungen waren. Am Ende hatten wir die Sache selbst in die Hand genommen. Drei Höll-Bauabschnitte sind fertig, der vierte wohl auch bald. Das war richtig.
In Hirschberg gibt’s erst den Aufstellungsbeschluss. Aber der hat’s in sich. Statt Ortsbild eine Art Satellitensiedlung am Ortsrand (- das soll doch wohl nicht für Mannheim sein, oder?). Sehr verdichtet, sehr hoch, sehr Beton-haltig. Viel Versiegelung, viel C02, viel Großstadtplanung. Keinerlei Verbindung zur Ortsmitte. Wer so plant, legt den Samen für die Probleme von morgen. Brennpunktprobleme. Dabei hat man in Hirschberg 15 Hektar Bauflächen im Innenbereich, allein 60.000 Quadratmeter in genehmigten Bebauungsplangebieten. Trotzdem will man draußen klotzen. Wer kann so was nur machen: Großkonzerne.
Ein MORO-Verdichtungsbeirat hat’s erfunden. MORO ist ein Modellprojekt des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung.
Die Idee von MORO ist eigentlich eine ganz andere: Verdichtetes Bauen in der gesamten Stadt, nicht in einem kleinen Außenbereich. Das ist sozusagen der Missbrauch oder die Pervertierung eines MORO-Projekts.
Mich wundert, dass das genehmigt wurde. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass die Initiatoren drei Kommunen gleichzeitig betrachtet haben und dass im nahen Ladenburg tatsächlich die Mitte ausgebaut werden soll.
Für Leutershausen gilt das nicht. Ganz und gar nicht.
Fremdbestimmte Großstadtplanung für ein 6000-Seelen-Dorf
Von 21 Mitgliedern waren nur 6 Mitglieder gewählte Ortsvertreterinnen. Alles andere waren Großstadt-Expertinnen und Experten. Eine ganz merkwürdige rolle spielten zwei Professorinnen und ein Professor. Nun ja, so einen Großforschungsauftrag nimmt man doch gerne an. Und diese Externen haben dann auch die Beratungen dominiert. Ich habe alles gelesen. Das war total fremdbestimmt. Die Bürgerinnen und Bürger waren überhaupt nicht gefragt. Und aus dem Gemeinderat man sich ein paar Wortführer*innen rausgepickt: Die Fraktionsvorsitzenden. So geht Bürgerbeteiligung echt nicht. Und Planungshoheit der Kommune auch nicht. Da kenne ich mich aus.
Dabei ist die Planungshoheit das Königsrecht der Kommunen und des Rates, nicht der Investoren. Und wer hat’s angeleiert: einer der größten deutschen Wohnungsbaukonzerne, DSK. Der liefert praktischerweise die Ideen, der lässt „bei Bedarf“ auch planen, der unterstützt „bei Bedarf“ bei der Umsetzung, der baut auch an vielen Stellen, der vermietet viele Wohnungen im Land – ein Generalanbieter: Ich weiß nicht, ob das im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts und des deutschen Vergaberechts alles korrekt ist. Hab ich dem Publikum auch gesagt. Das ist ein echter Recherchefall für Correctiv. Es gilt natürlich auch beim Investieren die Unschuldsvermutung. Komisch ist es schon.
Aber noch ist ja nichts kaputtgegangen. Jetzt gibt’s erst einmal einen Bürgerentscheid gegen den Aufstellungsbeschluss.
Mehr Dorf für weniger Menschen
Erlebt habe ich ein sehr interessiertes, konzentriertes, aufmerksames Publikum – und das bei einem „Crashkurs“ zu Demografie, Neubauplanung, Bevölkerungsprognosen, zu Kosten und Nutzen und dem Sinn und Unsinn von Neubaugebieten am Ortsrand. Ich habe vielen Besucherinnen und Besuchern in die Augen geschaut. Das war klasse. Und ich habe ihnen Mut gemacht, selbst die Sache anzupacken mit neuen Ideen. Ein Vorschlag: Mehr Dorf für weniger Menschen. Dafür aber attraktiv.
Man muss nicht wachsen auf Teufel komm raus
Ein Tipp vorweg: Man muss nicht wachsen auf Teufel komm raus.
Die Rückmeldungen waren sehr positiv. Danke dafür. „Das haben wir zum ersten Mal so gehört“; „dass Sie das so offen sagen, …“; „ich bin noch unentschieden, was den Bürgerentscheid angeht, aber das war heute sehr wichtig für mich“, „können Sie das bitte mal erklären?“ Aber gern.
Es tut gut, wenn man das als Referent hört.
Die ProjektStadt-Prognosen für Hirschberg sind unwissenschaftlicher Unsinn
Es ging um die Stärkung der Ortsmitten, Gefahren für Hirschberg, den Ortskern ausbluten zu lassen, die fatalen Folgen einer Schulschließung in Hirschberg (Abwanderung; Bildungsfortzug), auch und vor allem um Illinger Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung.
Und um falsche Prognosen, die schlicht unwissenschaftlicher Unsinn sind, mit denen man einen Bedarf behauptet, den es nicht gibt – und das noch mit Zahlenfehlern. Nun ja, kommt vor, wenn man davon ausgeht, dass keiner die Begleitmaterialien der Investoren liest. Die Bürgerinitiative hat aber wirklich viele, viele Seiten gelesen. Ich auch.
Meine Prognose: Hirschberg hat Zukunft, wenn die richtigen Entscheidungen getroffen werden und die Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden. Das ist leider bisher nicht passiert.
Jetzt nehmen sie ihr Schicksal selbst in die Hand – mit dem Bürgerentscheid zum Aufstellungsbeschluss. Ausgang? Ungewiss.
Mein Tipp: Schnitt machen. Neu anfangen mit einem echten Beteiligungsprojekt. „Hirschberg verbindet“. Oder: Wir peppen Hirschberg auf.
Ich habe aber da keine Karten im Spiel. Die Entscheidung müssen die Leutershausener und die Großsachsener selbst treffen. Die kann so oder so ausgehen. Keine Ahnung, wie der Trend ist. Seit Wochen liegt das was in der Luft.
Hier könnte ich meinen Bericht eigentlich schließen, glücklich und zufrieden.
Eine kleine Anmerkung hätte ich aber noch:
Es gab auch drei potenzielle Störer aus dem Gemeinderat (!), die das 120-Millionen-Beton-Projekt am Ortsrand unbedingt wollen, darunter ein 2. stellvertretender Bürgermeister von den Freien Wählern und sein Kumpel. Die wollten die Versammlung kapern. Krawallig und ohne Manieren. Deshalb werde ich ihre Namen hier auch nicht nennen (ich habe sie freundlich nach dem Namen gefragt) – es wäre zuviel der Ehre. Das war wie im schlechten Roman. Da gehts wohl darum, wie man aus Wiesen Gold macht, aus einem weiten Feld ein Millionen-Grundstück (bei den Bodenpreisen im Rhein-Nekar-Raum…). Immer wieder dasselbe.
Schön, dass die Bürgerinnen und Bürger interveniert haben. Die wollten ja nicht die hören, die immer ihr Ding durchziehen.
P.S.: Vielleicht sollte ich ja einen Essay dazu schreiben. Für Polygon. An einen Roman traue ich mich nicht… – wegen der möglichen Klagen 😉
König, Armin (2020): Strategisches Management im demografischen Wandel : wie Kommunen die Herausforderungen bewältigen. 2. Aufl. Illingen: Art & research südwest.