Armin König

Totale Transparenz ist totalitärer Orwell – Wider die Vergötterung von Wikileaks – Assanges Allmachtsfantasien und Knuewers Wahlboykott

Es gab unter meinen Facebook-Freunden noch selten so intensive Diskussionen wie über Wikileaks und die Folgen. Sowohl die pro- als auch die Kontra-Fraktion haben gute Argumente. Mir macht diese Wikileaks-Praxis Angst. Dieser Umgang mit vertraulichen Daten ist zersetzend. Vertrauen wird untergraben. Es mag ja sein, dass dies die amerikanische Datenphilosophie ist. Es ist auch die Datenphilosophie riesiger kommerzieller Datenkonzerne. Und dort treffen sich dann plötzlich Google Streetview, Facebook, Twitter und Wikileaks. Private Daten sind nichts. Alles ist transparent. Niemand ist mehr sicher. Und die Konzerne bestimmen, was sie wie verknüpfen. Zusammen mit Geheimdiensten, Boulevardmedien und „Freundefindern“. Ha, das sind mir lustige Freunde!

Und dann gibt es noch die Zuträger. Informelle Mitarbeiter unserer amerikanischen Freundefinder. Botschafter der offenen Kanzleramts-Tür.

Wie dieser junge liberale Aufsteiger, von dem die US-Botschaft schreibt: „“FDP source is a young, up-and-coming party loyalist, who has offered Emboffs internal party documents in the past. Excited with his role as FDP negotiations notetaker, he seemed happy to share his observations and insights and read to us directly from his notes.“ Ich stell mir gerade vor, wie das war: Da verhandeln drei Parteien über eine Koalition, und dann geht so ein Mitschreiber zur Botschaft der besten transatlantischen Freunde und erzählt brühwarm, was Spitzenpolitiker so von sich gaben. Ist schon sehr vertrauensbildend. Ist wohl auch ein Nerd, der die altmodischen Regeln für nicht mehr so zeitgemäß hält.

Ich weiß nicht, wer dieser FDP-Mensch ist. Es gab nicht sehr viele, die bei den Verhandlungen dabei waren. Von einem, der dabei war, lesen wir im Internet, dass er jüngst US-Botschafter Philipp D. Murphy zum Gespräch über Schießlärm traf. Die Meldung ist doch wirklich ein Volltreffer. Den Namen nenn ich dann gern, wenn ich gefragt werde. Aber wie gesagt: Das heißt nicht, dass er die Quelle war. Das heißt nur, dass er offensichtlich gute Kontakte zu US-Botschafter Murphy hat und mit ihm auch zusammentraf. Und da gerät er dann schon in unseren Fokus, der junge aufstrebende Freidemokrat mit den guten Beziehungen zum US-Botschafter.

Dass Wikileaks das alles veröffentlicht, ist allerdings auch ein gigantisches Problem. Ich kann das nicht gut finden. So zerstört man das Vertrauen in die Demokratie. Im besten Fall führt dies zu Anarchie. Ich bin aber kein Freund von Anarchie. Dort siegen immer die Starken mit den dicksten Ellenbogen und den schärfsten Waffen. Meine Freunde sind Menschen mit Schwächen wie du und ich, Menschen ohne große Macht, Menschen mit Behinderung – beispielsweise. Die möchte ich geschützt wissen. Wenn aber kein Sschutz mehr ist – nirgends – wie sollen sie dann geschützt werden? Das macht mir Angst.

Und deshalb ärgert es mich auch, wenn angebliche Internet-Päpste und selbst ernannte Gurus ihren Mega-Transparenz-Wahn und ihre eigene Meinung über alles stellen, „DIE POLITIK“ (wie dümmlich!) als Ganzes diskreditieren und die Demokratie desavouieren, indem sie (wie Thomas Knuewer wegen des JMSTV) zum Wahlboykott aufrufen und damit die Rechtsradikalen stärken. Mein Gott: Wollt ihr Diktatur? Oder was wollt ihr? Nur weil ihr eure Meinung nicht durchsetzen könnt? Habt ihr Verantwortung im Leib? Dann ruft nicht zu Wahlboykott auf. Haltet euch an Regeln. Gewinnt Vertrauen zurück. Und kämpft für die Demokratie.

Ich war nicht immer Politiker. Als Journalist hatte ich einen Traumjob. Es ging mir gut dort. Trotzdem habe ich mich entschieden, in die Politik einzusteigen. Weil ich lokal Verantwortung übernehmen wollte statt nur zu kritisieren. Ich habe es nie bereut. Aber ich habe auch nie bereut, dass ich meine Traumjobs von der Pike auf gelernt habe. Ich habe für Lehramt studiert, ich habe ein klassisches journalistisches Volontariat absolviert, ich war Jungredakteur, Redakteur, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Pressesprecher, Reporter, und ich habe als Bürgermeister sehr schnell gelernt, „wie Verwaltung geht“. Und weil das so ist, unterrichte ich „nebenbei“ als Dozent an der FH für Verwaltung.

Natürlich gibt es Schwächen im System. Ich würde sie gern im „lernenden System“ der Politik und der Verwaltung beseitigen, nicht durch Beseitigung des demokratischen Systems.

Wahlboykottaufrufe und unkontrollierte Wikileaks-Enthüllungen und Entblößungen haben eines gemeinsam: Sie zerstören das Vertrauen in die Demokratie. Es sind die alten 68er Anarchie-Reflexe, wenn auch in homöopathischer Dosis. Aber auch die können Wirkung erzielen. Und deshalb bin ich gegen solche Aktivitäten. Von anarchistisch-nihilistischen Waldgänger-Pamphleten will ich gar nicht erst reden.

Damit komme ich Fazit meines Essays:

Ich warne vor einer Vergötterung des Wikileaks-Gedankens. Totale Transparenz ist totalitärer Orwell. Es kommt ja nicht von Ungefähr, dass Assange Allmacht-Fantasien nachgesagt werden. Ich warne aber auch davor, die Demokratie mit Wahlboykottaufrufen zu schwächen. Wehret den Anfängen. Das gilt auf für den von mir ansonsten geschätzten Thomas Knuewer. Da liegt der Guru nun leider total daneben. Ich mag solche Boykottaufrufe gar nicht – nein: Ich hasse sie.