TTIP – Tackling gegen den deutschen Mittelstand und europäische Standards

Nun finde ich ja immer öfter Hintergründe zu TTIP, die sich wie ein Puzzle zusammenfügen. Man muss sich die jeweiligen Informationen zwar zusammensuchen, sie mit anderen Dokumenten vergleichen und schließlich analysieren und kommentieren. Aber es lohnt sich, dass ich mir die Arbeit mache.

Überraschung, Überraschung, Überraschung! So geht es mir ständig.

Ich finde es schon sehr dreist, was in in engem Schulterschluss zwischen deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK), EU-Kommission, geheimen Verhandlungskommissionen und Konzernlobbyisten als Verhandlungslinie mit den USA vorgegeben wird. Da werden bisherige rote Schutz-Linien ohne Not überschritten, weil sie der Wirtschaft und den Brüsseler Bürokraten schon lange ein Dorn im Auge sind. Damit es nicht so auffällt, ist der deutsche Text moderat übersetzt. Dieser Angriff auf bisherige Schutzklauseln ist plötzlich kein (englisch-amerikanisches) „Tackling“ mehr wie im Eishockey oder im Fußball, also eine Attacke. Nein, es ist nur noch ein nettes deutsches „Angehen“.

Angehen statt angreifen – ist doch viel moderater. Es gilt aber wie immer der englische Text. Tackling halt….

Die Zielrichtung ist eindeutig: „Liberalisierung auf höchstem Niveau“, „ehrgeiziger“ denn je, gleicher Marktzugang, westliche Regeln für alle, keine Ausnahmen, auf keiner Ebene, auch nicht lokal. Steht so im Text. Im Text der EU, nicht der USA!!!

Das ist schon ein höchst brutales „Tackling“. Im Eishockey gäbe es dafür eine Zeitstrafe.

Und was heißt das?

Die Ziele sind klar: Schleifen der Ausnahmetatbestände, (US-)Ausländer werden bei Vergaben wie Inländer behandelt, keine lokalen Präferenzen mehr, keine Bevorzugung von Unternehmen (etwa öffentlichen), die gewisse Quoten erfüllen.

Das glauben Sie nicht, weil die Bundesregierung abwiegelt und Anderes behauptet?

Weil Regierungs-Parteien sich anders äußern?

Wer lesen kann ist klar im Vorteil.

Nehmen wir den Dienstleistungssektor. Der ist in Deutschland besonders umkämpft, die Wirtschaft attackiert massiv die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen. So fordert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK, Europa und die USA sollten „ihre Dienstleistungssektoren zumindest so weit öffnen, wie sie es im Rahmen anderer Handelsabkommen bereits getan haben. Gleichzeitig streben sie an, ihre Dienstleistungsmärkte in neuen Bereichen, etwa dem Verkehrswesen zu öffnen. … In den Kapiteln Dienstleistungen und Investitionen des Abkommens sollte zudem der Bereich der öffentlichen Verwaltung unterhalb der Bundesebene angesprochen werden.“ (DIHK, 1)

Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge arbeitet der DIHK darauf hin, bisherige Anforderungen in den europäischen Ausschreibungsverfahren aufzuheben, um „beträchtliche neue Geschäftsmöglichkeiten“ für die Privatwirtschaft zu generieren.

Und so passt es doch, dass die europäischen Verhandlungsdelegationen unter anderem den Auftrag haben, Regeln zu setzen, die beiden Parteien „ans höchste Liberalisierungsniveau binden“, das bisher in anderen Abkommen erzielt wurde. Ziel ist es, im Wesentlichen „alle Sektoren und Dienstleistungsarten“ zu erfassen und dabei neue Märkte zu erschließen, indem noch vorhandene seit langem bestehende Hemmnisse für den Marktzugang entweder „anzugehen“ (deutscher Text) oder zu bekämpfen, zu attackieren („tackling“).

Das Abkommen soll „höchst ambitioniert“, also „ehrgeizig“ sein. „Das Investitionsschutzkapitel des Abkommen“, das heftig umstritten ist, weil es die nationalen Gerichte und Gesetze aushebeln kann, müsste nach dem Willen der EU-Verhandlungsleitlinien „von allen Behörden und sonstigen Stellen auf subzentraler Ebene (zum Beispiel Staaten oder Gemeinden) eingehalten werden.“

Das ist eine Art Wirtschaftsumsturz von oben – durch supranationale Abkommen, die kein nationales Parlament und keine Bevölkerung je gebilligt hat.

In komplizierten Schachtelsätzen wird verklausuliert, dass man die kommunalen Vergabe-Bastionen knacken will.

„Das Abkommen wird höchst ambitioniert sein, und sein Geltungsbereich (Beschaffungsstellen, Bereiche, Schwellenwerte und Dienstleistungsaufträge einschließlich insbesondere öffentlicher Bauaufträge) wird nach Möglichkeit über das Ergebnis der Verhandlungen über das geänderte Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen hinausgehen. Mit dem Abkommen wird das Ziel verfolgt werden, einen verbesserten beiderseitigen Zugang zu den Beschaffungsmärkten auf allen Verwaltungsebenen (national, regional und lokal) und im Versorgungsbereich vorzusehen, wobei die einschlägigen Arbeiten der in diesem Bereich tätigen Unternehmen erfasst werden und eine Behandlung gewährleistet wird, die nicht weniger günstig ist als die den im eigenen Gebiet niedergelassenen Anbietern gewährte Behandlung.“

Es geht um „Inländerbehandlung“, „Meistbegünstigung“, „ungehinderten Transfer von Kapital und Zahlungen durch die Investoren“.

Alles klar?

Die Großen können sich überall ausbreiten, in Amerika und Europa, sie können die lokalen Klein- und Mittelbetriebe verdrängen (das gilt übrigens auch für Rechtanwaltsfirmen, die Law-Firms, für Wirtschaftsberatungskonzerne, Architektenfirmen – man will auch da Berufsbeschränkungen abbauen!), sie können die Kommunen mit ihren kommunalen Betrieben aus dem Markt fegen. Und wenn Verwaltungen Fehler machen, müssen sie bluten, etwa bei Schiedsgerichten. Die „Fehler der Verwaltung“ sind in den EU-Leitlinien explizit angeführt.

Schließlich geht es doch immer um größtmögliche, höchst ambitionierte Liberalisierung, wie wir sie noch nie hatten.

Und das alles sollen wir gut finden – für vielleicht 0,1 Prozent mehr Wirtschaftswachstum und keine Verringerung der Arbeitslosigkeit? Bei einer Verringerung des EU-weiten Handels, während die Big Player über den Atlantik mit Bande spielen und ungehindert Kapital von hier nach da und zurück transferieren und dabei möglichst wenig Steuern zahlen?

Das ist Tea-Party und Hayek und Friedman.

Aber keine Soziale Marktwirtschaft.

Die wollen die Amerikaner sowieso nicht.

Und die deutsche Wirtschaft auch nicht.

 

Sie denken, ich übertreibe? Ich male schwarz? Ach was! Betrachten Sie sich nur das Steuer- und Wirtschafts- und Datenschutzverhalten der US-Giganten Google, Facebook, Amazon, Microsoft, Apple. Die sind ja schon da. In allen deutschen Verwaltungen. In allen deutschen Städten. In allen deutschen Ländern. Und sie machen, was sie wollen. Und sie kennen keine Grenzen, keine deutschen Standards.

P.S.:

Ich google ja auch, ich lasse mich auch auch verappeln, ich WORDe und schreiben EXCELlente Tabellen. Nur muss ich nicht zum AMAZONas, um Bücher zu kaufen und zu lesen. Das macht meine Buchpreiskonkurrenzfähige Buchhandlung in Illingen.

 

Armin König