Armin König

TTIP und die Prognose-Märchen

Mal wieder Neues zu TTIP – ich falle ja von einer Ohnmacht in die nächste. Es ist wieder ein sehr langer Text, aber man kann nicht alles in kleinen Häppchen beschreiben, wenn es um komplizierte Sachverhalte geht.

Meine Lieblingsbroschüre ist ja inzwischen „TTIP auf einen Blick“ von der Europäischen Kommission. „Eine Übersicht und eine Einführung in die einzelnen Kapitel des Handelsabkommens in leichter Sprache.“ Ist das nicht schön? Die EU-Kommission erklärt uns das Geheimabkommen in leichter Sprache.

Da schreibt die zuständige EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die uns alle sehr gern hat:

„TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) ist ein gewichtiges Projekt – das Abkommen eröffnet enorme Beschäftigungs- und Wachstumschancen und trägt zur Durchsetzung hoher Standards im weltweiten Handel bei.

Und es betrifft auch Sie. Der einzig richtige Weg für uns ist daher, bei den Verhandlungen so transparent und offen wie möglich vorzugehen und alle Interessengruppen einzubeziehen.“

Ich will heute mal nicht auf die Transparenz (Einsehbarkeit der konsolidierten Dokumente in einem geheimen Lesesaal der US-Botschaft nur für streng ausgesuchte Mitglieder der Bundesregierung) und die hohen Standards (Erwägungsgrund H. des Europaparlaments zur Industrie) eingehen.

Stattdessen hat mich das Thema Wachstum interessiert. Und da findet man tatsächlich Studien. Dieses „enormen Beschäftigungs- und Wachstumschancen“, von denen Frau Malmström euphorisch schwärmt, schrumpfen in Studien so zusammen, dass man es nicht für möglich hält.

So schreibt Ankenbrand in ein einer schlüssigen Analyse:

„Das Institut für Makroökonomie und Konkunkturforschung (IMK) geht davon aus, dass keine nennenswerten kurzfristigen Wachstumsimpulse von TTIP zu erwarten sind. Das IMK verweist auf die ifo-Studie, die nahelegt, dass TTIP für eine Abkühlung des innereuropäischen Handels sorgt und es tendenziell zu einer Handelsumlenkung von innereuropäischem Handel hin zu europäisch-amerikanischem Handel kommt.“ (Ankenbrand, 24)

Das ist glaubhaft und nachvollziehbar, hilft aber den europäischen Krisenstaaten und der europäischen Konjunktur leider nicht.

„Dem IMK zufolge wäre jedoch eine Stärkung des innereuropäischen Handels erforderlich, um zu einer kurzfristien Belebung der europäischen Konkunktur und damit zu einer Entspannung der Eurokrise zu führen (Stephan und Löbbing, 2013, S. 17)

Die Hintergründe beschreibt die Hans-Böckler-Stiftung (ich weiß: gewerkschaftsnah)

„Die EU hat seit 1999 ihre Handelsverflechtungen mit Drittländern – den so genannten Extrahandel – zwar intensiviert. Dennoch entfallen immer noch etwa 60 Prozent auf die Geschäfte untereinander, den Intrahandel. Und im Extrahandel haben die USA in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren, Russland und China hingegen an Bedeutung gewonnen. Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA werde deshalb eher bestehende Handelsbeziehungen stärken denn in großem Umfang neue Vernetzungen schaffen, so die Wissenschaftler. Vor allem aber werden sich positive Effekte erst längerfristig zeigen, kurzfristige gesamtwirtschaftliche Wachstumsimpulse sind hingegen von diesem Abkommen nicht zu erwarten.“

Gestützt wird diese Feststellung dadurch, dass der Anteil der jeweiligen transatlantischen EU/US-Ausfuhren unter 3 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts liegt. 14 Prozent Lohnzuwachs sind da eher nicht zu erwarten (ifo-Prognose)

Also: Vermutlich bringt so ein Abkommen ja auf lange Sicht tatsächlich Wohlstandsgewinne. Erkauft wird dies durch eine Angleichung von Standards und Verzicht auf bestehende Schutzklauseln wie kommunale Wasserversorgung, nationale Standards (Meisterbrief als Voraussetzung für bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten, Diplome als Kompetenzvoraussetzungen Buchpreisbindung) und noch stärkere internationale Konzernverflechtungen.

Das bestätigen auch die Wissenschaftlier Jan Behringer und Nikolaus Kowall:

„Die Wissenschaftler halten es für höchst unwahrscheinlich, dass ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA kurzfristig nennenswerte Konjunkturimpulse setzen würde. Da die Einfuhrzölle auf Industriegüter, die zwischen beiden Wirtschaftsräumen in erster Linie gehandelt werden, bereits gering sind, werde eine vollständige Abschaffung nur wenig ändern. Bedeutsamer dürfte die transatlantische Angleichung von Qualitätsstandards, technischen Normen und Kennzeichnungspflichten sein. Allerdings seien dabei schon jetzt schwerwiegende Interessenkonflikte absehbar: So lehnen etwa das deutsche Verbraucherschutzministerium und sehr viele Konsumenten genmanipulierte Lebensmittel ab, die in den USA nicht gekennzeichnet werden müssen. Die französische Filmindustrie sucht Schutz vor einer übermächtigen US-Konkurrenz. Die deutschen Verlage möchten an der Buchpreisbindung festhalten.

„Ein vollständiges Freihandelsabkommen ist in Anbetracht dieser Vielzahl von Interessen eher unwahrscheinlich“, schreiben Behringer und Kowall. „Langfristig ist wahrscheinlich, dass das Freihandelsabkommen aufgrund der Intensivierung von Handelsbeziehungen Wohlstandsgewinne generieren wird, kurzfristige gesamtwirtschaftliche Wachstumsimpulse sind hingegen nicht zu erwarten.“