Armin König

Über langweilige Fortbildungen, elende Powerpointfolien, knackige Moleskine-Notizen und Emotionen, die sich lohnen

Kennt ihr diese Weiterbildungen? Du hast dir einen Termin freigeschaufelt, ein Ticket gebucht, bist in ein Flugzeug gestiegen, nach Berlin gejettet, hast nach diversen Staus dein Tagungslokal erreicht, und dann wird der Beamer in Betrieb gesetzt. Kluge Menschen haben unendliche viele Daten, Sätze Zahlen, Fakten, die sie sowieso vorlesen, auf Folien geschrieben, die kein Mensch lesen kann. Und wenn er sie liest, kann er nicht gleichzeitig zuhören. Und so schweift der Blick durch die Runde, und du stellst fest, dass auch deine Mitstreiter Mühe haben, die Konzentration zu halten. Du denkst an ein Bad im Freien oder an Kreta oder an Sylt oder die Lippen deiner Frau, doch nicht an Compliance und Commitment und Fokussierung und was noch alles auf den klugen Powerpoint-Folien kluger Referenten steht. Du wirst all diese Folien auch noch als „Handout“ erhalten – im Wortsinn ausge’händigt‘ – und kannst nachlesen, was an Stichworten vorn auf auf der Landwand vor dir vorbeizieht. Du blickst alle fünf Minuten auf dein iPhone, antwortest auf Twitter-Postings deiner Timeline, die du normalerweise nicht beachtet hättest und überlegst, wo du am Abend essen gehen könntest in Berlin…
Zum Glück habe ich mir angewöhnt, immer ein klassisches Notizbuch mit in die Weiterbildungen zu nehmen, am liebsten meine Moleskine-Klassiker. Dazu einen Lamy, weil der flüssig schreibt.
Ich missachte die dämlichen Powerpoint-Folien, die schon Steve Jobs gehasst hat, und mache mir meine eigenen Notizen und Gedanken.
Und daran erinnere ich mich. Weil ich sie von Hand geschrieben habe. Plötzlich sind da Situationen, Emotionen, Sinneseindrücke. Es lebt wieder auf.
Warum ich das alles vorausschicke?
Weil ich ohne diese Notizen die Veranstaltung abgehakt hätte: viel Gerede, wenig Konstruktives. Nach Monaten habe ich wieder einen Blick auf die alten Notizen geworfen – und siehe da: sie sind brauchbar. Brauchbarer als jede Powerpoint-Präsentation mit vielen Megabites an Informationen.
Plötzlich stelle ich fest, dass sich doch Tipps aus der Fortbildung praktisch anwenden lassen
In diesem speziellen Fall heißt das:
Wir stellen erfreut und erleichtert fest, dass es doch so etwas wie „strategisches Kommunalmanagement“ geben kann und geben sollte.
Es sind zwar nur ein paar handgeschriebene Notizen, dahingekritzelt fast, aber jetzt kann ich mir wieder vorstellen, was mit „Fokussierung des Engagements“ gemeint war: weil dahinter in Klammern steht: „(kein Gemischtwarenladen)“. Sind wir das nicht alle: Gemischtwarenläden? Und gibt es im Real Life noch die Kolonialwarenläden aus unserer Kindheit? Ich erinnere mich an Gerüche von Brot und Käse, von Sauerkraut und rohem Fleisch. Ich sehe die alte Molkerei vor mir, den Schmicklerschen Kolonialwarenladen, ich höre die scheppernden Milchbleche. Emotionen, Sensationen.
Wo sind sie geblieben, die Haushaltwarengeschäfte und Tante-Emma-Läden?
Einfach von der Bildfläche verschwunden.
Kann das mit unseren Kommunen auch passieren: dass sie ihren Charakter als Gemischtwarenläden verlieren? Dass sie in ihrer jetzigen Form kaum Zukunft haben? Dass all die charakteristischen Geräusche und Gerüche verschwinden? Und mit ihnen die Kundinnen und Kunden und die Verkäufer, die Bürgerinnen und Bürger und ihre Repräsentanten? Kein Gemischtwarenladen. Stattdessen Fokussierung des Engagements!
Klingt vernünftig.
Eine Zeile darunter stehen die Wörter: „Umfassende Kommunikation“. Und dahinter, in Klammern: („nicht von oben herab, nicht nur in eine Richtung)“. Auch das hat der Redner so nicht gesagt. Aber so konnte ich es mir merken. Eine Piraten-mäßige Forderung: umfassende Kommunikation, Offenheit, Transparenz. Wobei ich anmerken will, dass ich kein Pirat bin. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Ich lese in meinen alten Aufzeichnungen, dass „die eigene Position durch Kooperationen und Vernetzung gestärkt“ werden soll. Und dahinter steht: „runter vom Kirchturm“. Ich steige überhaupt nicht auf Kirchtürme. Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass eine „Stärkung der Position durch Vernetzung“ im Zeitalter der Digitalisierung sinnvoll ist (jetzt bloß nicht „Sinn macht“ schreiben!, alter Germanist).
Phrasendreschmaschinen würden jetzt ausspucken: Über den Tellerrand schauen. So groß kann mein Teller gar nicht sein.
Was wir brauchen, sind „Horizonte“.
„Neue Horizonte“.
Und das steht auch da.
Ich habe dann noch „Commitment“ notiert, was eigentlich keiner verstanden hat. Und eigentlich geht es ja auch um Begeisterung und Mitmacheffekte udn um Sozialkapital.
Bleiben noch die „Vitalisierung der eigenen Organisation“ – Klammer auf… „Arsch hoch und aktiv werden“ – und die „Erfolgskontrolle“.
Und schon haben wir alle wichtigen Punkte aus einem Kick-off-Grundrauschen destilliert.
Man könnte einen eigenen, ganz anderen Vortrag daraus entwickeln, ohne lästige Powerpoint-Folien.
Man sollte vielleicht einfach nur erzählen. Sich auf die Sprache konzentrieren, den Klang der Stimme, auf den die wenigsten Referenten achten, die Zuhörer begeistern. Und ihnen – wenn schon Beamer – hin und wieder ein paar knackige Fotos servieren.
Leider werde ich bei meinen eigenen Vorträgen auch immer genötigt, Powerpoint-Folien an die Wand zu werfen. Immer öfter gehe ich allerdings dazu über, mich auf Fotos zu beschränken. Und ansonsten einfach nur zu erzählen. Dass man Probleme nicht dadurch löst, dass man den Kopf in den Sand steckt, dass man selbst schon ganz schön in der Sch.. gesteckt hat udn doch in der Lage war, sich zu befreien. Dass man den Bürgern die Wahrheit sagen kann und trotzdem gewählt wird. Und dass das Schönste an solchen Vorträgen das kühle Bier nach Ende der Veranstaltung ist.
Und wenn dann einer ein Moleskine-Notizbuch dabei gehabt und sich einige wenige Notizen gemacht hat, kann er auch noch ganz klassisch Telefonnummern notieren, die er dann später vielleicht einmal anruft.
Von Hand Schreiben kann so produktiv sein…
Die Moral von der Geschichte? Es gibt keine Moral in der Geschichte. Nur ein paar kleine Erfahrungen. Und Erlebnisse, die dank einiger weniger Notizen hängen geblieben sind.
Erinnerungen an eine langweilige Fortbildung, bei der ich eingeschlafen wäre, wenn ich mir keine Moleskine-Notizen gemacht hätte udn wenn sie nicht mit Emotionen, die sich lohnen, verbunden wären.
Gut, dass ich meine alten Notizbücher nicht wegwerfe.
Ich wundere mich immer wieder und immer neu, was ich schon alles gedacht und geschrieben habe.
Tun Sie’s auch. Es lohnt sich.
Auch eine Art „strategisches Engagement“.