Die vier starken Mütter des Grundgesetzes, das Frauenwahlrecht in Frankreich und ein feministischer Roman von Mareike Fallwickl
In Europa bleibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch im 21. Jahrhundert ein zentrales Thema. Das überrascht, denn eigentlich sind die verfassungsmäßigen Voraussetzungen der Gleichberechtigung längst geklärt. Aber die gesellschaftliche Realität hinkt hinterher. Noch immer ist die Mehrfach-Belastung von Frauen ein Riesenthema.
Auch historisch ist das Thema spannend. Die ZEIT hat dies jetzt in ihrer Sonderausgabe aufgegriffen.
Die Rolle der Frauen im politischen Diskurs und die Durchsetzung ihrer Rechte waren oft mühsam erkämpft, wie das Beispiel des Frauenwahlrechts in Europa und auf der Welt zeigt.
Besonders bemerkenswert ist die Geschichte der vier Mütter des Grundgesetzes in Deutschland. Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, Helene Weber und Helene Wessel waren entscheidend an der Formulierung des deutschen Grundgesetzes beteiligt. In intensiven Debatten setzten diese vier Frauen in der Debatte mit 61 Männern den Gleichberechtigungsgrundsatz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ im Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes durch. Dies war für sie auch innerparteilich mit zum Teil heftigen Kontroversen verbunden. Ihre bahnbrechende politische Arbeit war ein Meilenstein für und in Deutschland. Obwohl Elisabeth Selbert und Friederike Nadig gegen anfangs starken Widerstand kämpften, bildete ihre Entschlossenheit das Fundament für spätere Generationen. Helene Weber brachte Erfahrung aus der Weimarer Verfassung mit und reorganisierte die katholische Frauenbewegung, während Helene Wessel als erste Frau die Führung einer Partei übernahm.
Heute, viele Jahrzehnte später, zeigt sich, dass das Thema Gleichberechtigung in Europa weiterhin aktuell ist. Obwohl gesetzliche Rahmenbedingungen wie das Grundgesetz formale Gleichheit garantieren, bestehen in der Praxis weiterhin Ungleichheiten, beispielsweise in der Bezahlung oder bei der Besetzung von Führungspositionen in Politik und Wirtschaft. Quotenregelungen und Debatten um Gehaltsunterschiede stehen im Zentrum der politischen Diskussion und verdeutlichen, dass echte Gleichberechtigung nicht nur ein Rechtsanspruch ist, sondern täglich gelebt und durchgesetzt werden muss.
Die Geschichte der Gleichberechtigung ist nicht nur ein Rückblick auf erreichte Meilensteine, sondern auch ein Aufruf, sich permanent für die Rechte aller Mitglieder der Gesellschaft einzusetzen. Das Erbe der vier Mütter des Grundgesetzes ist ein ermutigendes Beispiele dafür, wie beharrlicher Einsatz gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann.
Lohnend ist auch ein Blick nach Frankreich. Dort hat Mina Peltier in Le Monde im April eine Würdigung zu »80 Jahre französisches Frauenwahlrecht« publiziert.
Es war, so Peltier, ein langer, mühsamer Weg. Verblüffenderweise war Frankreich eines der letzten europäischen Länder, das das Frauenwahlrecht einführte.
Dabei begann der Kampf um das Frauenwahlrecht in Frankreich schon mit Olympe de Gouges 1791. Allerdings waren die französischen Streiterinnen für das Frauenwahlrecht bei weitem nicht so radikal wie die britischen Sufragetten. Ob es deshalb über 150 Jahre dauerte, bis sie endlich Erfolg hatten? Zwar wurde 1848 ein universelles Wahlrecht eingeführt, aber die Universalität galt gerade nicht für Frauen. »Les femmes en sont exclues. Elles n’ont pas leur place dans la société, mais juste au sein de la famille«, schreibt Peltier. Die Frauen waren ausgeschlossen. Ihnen war der Platz in der Gesellschaft verwehrt. Ihr Platz sollte im Schoß der Familie sein: Heim und Herd sozusagen. Und weil die französischen Frauen nachweisen wollten, dass sie »vernünftig« und nicht »politpsychologisch unreif« waren, kämpften sie nicht radikal, sondern zurückhaltend. Peltier: »Parce qu’elles veulent démentir l’argumentaire d’une immaturité psychique qui les empêcherait de voter intelligemment, ces féministes françaises n’embrassent pas la violence des suffragettes britanniques.«
Erst am 21. April 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg, erhielten französische Frauen endlich das Wahlrecht. Dies markiert einen Wendepunkt in der französischen Demokratiegeschichte.
In vielen autoritär regierten Staaten steht das Wahlrecht aber nur auf dem Papier. Dies gilt insbesondere in islamistisch regierten Ländern. Dort werden die Rechte der Frauen nicht selten buchstäblich mit Füßen getreten. Betroffen von diesen Einschränkungen sind hunderte Millionen Frauen in aller Welt. Das Wahlrecht ist ja nur eine Facette der Gleichberechtigung.
Die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung ist eine ganz andere Frage.
Dort ist der Handlungsbedarf in Europa – das uns ja am Nächsten liegt – bei allen Fortschrittn der letzten Jahre noch immer groß.
Mareike Fallwickl hat einen großen, viel beachteten Gesellschaftsroman unter dem Titel »Und alle so still« geschrieben.
Es geht um Frauen unter Druck: Überlastung durch die Pflege und in Pflegeberufen, prekäre Arbeitsbedingungen, ungerechte Bezahlung, die Schere zwischen Arm und Reich und darum, wie vor allem Frauen das neoliberale System, in dem die Einen immer reicher werden, mit ihrer vielfach kostenlosen und nicht gewürdigten Sorgearbeit am Laufen halten – bis zu einem bestimmten Punkt.
Und dann kommt plötzlich die Rebellion.
Die drei Protagonist:innen heißen Elin, Nuri und Ruth. Ihre Wege kreuzen sich vor dem Krankenhaus. Dort liegen Frauen still, in reglosem Protest und stoppen das ganze System.
Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth ist Mitte 50, sie ist allein nachdem ihr pflegebedürftiger Sohn gestorben ist, im Krankenhaus arbeitet sie bis zur Erschöpfung und darüber hinaus. Ihr Pflichtgefühl schien unerschöpflich. Wie in einer klassischen Novelle verändert ein einschneidendes Ereignis alles.
Die Handlung des Buchs spielt innerhalb von acht Tagen, in denen unglaublich viel in Bewegung kommt.
Hier sind es zwei Frauen und ein Mann.
Bei der Beratung des Grundgesetzes waren es vier Frauen (unter 61 Männern): Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, Helene Weber und Helene Wessel.
Sie standen am Anfang dieses Beitrags.
Ihr Mut ist beispielhaft.
Ihr Widerspruchsgeist auch.
Und ihr Verdienst ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Sie haben es aber nicht bei Widerspruchsgeist bewenden lassen, sondern gekämpft für die Demokratie und die Gleichberechtigung.
Armin König