Armin König

Unethisch! Wildes Spekulantengezocke auf Nahrungsmittel – und wie wir es ändern könnten

Sie wollen es nicht hören und sie wollen auch nichts ändern: Die Finanzspekulanten interessieren sich einen feuchten Kehrricht für unser Argument, dass sie doch endlich aufhören sollen mit den wüsten Spekulationen mit faulen Krediten und anderen merkwürdigen Produkten. Es sind einfach zu viele Milliarden im Spiel, und die wollen die Finanzprofis absahnen, koste es, was es wolle. Waren schon die Spekulationen auf Kosten armer US-Hausbesitzer ein dreckiger Deal auf Kosten wehrloser Menschen, so sind es die Spekulationen auf Nahrungsmittel noch mehr. Es sind Spekulationen, die den Tod von Menschen billigend in Kauf nehmen.

Der Publik-Forum-Chefredakteur, Wirtschaftsjournalist Wolfgang Kessler beklagt im neuen Publik Forum Newsletter die brutale Vorgehensweise der Finanzindustrie. In seinem Beitrag „Hunger durch Spekulanten“ schreibt er: „Erst vor Kurzem blies Börsenguru Jim Rogers, der einst mit Superspekulant George Soros den berüchtigten Quantum Fund gründete, zur großen Jagd: »Wir werden in den nächsten Jahren eine sehr ernste Nahrungsmittelknappheit auf der ganzen Welt erleben, die Preise werden himmelwärts schießen.« Und sie sind schon unterwegs. Der Preis für Kakao hat sich seit 2007 fast verdoppelt, der für Kaffee ist um 29 Prozent gestiegen, jener für Weizen um 17 Prozent. Der Nahrungsmittelindex der Welternährungsorganisation FAO, der die Preisentwicklung wichtiger Agrargüter zusammenfasst, war bis Ende Juni auf 163 Punkte gestiegen. Er liegt damit nur um 15 Punkte unter jenen 191 Punkten aus dem Jahr 2008, in dem es in einigen Ländern des Südens Hungeraufstände gab.“

Panikmache? Übertreibung? Keineswegs. Kessler hat gute Argumente. Eigentlich würden genügend Kalorien erzeugt, um auch eine wachsende Menschheit zu ernähren, allerdings würden viele Nahrungsmittel zweckentfremdet – sei es als Viehfutter, um Getreide zu Fleisch zu „veredeln“, sei als als Treibstoff zur Herstellung von Biosprit. Deshalb, so ist Kessler sicher, werde sich die Nahrungsmittelknappheit zuspitzen. Und nun folgt das wirklich Unethische.

„Auf diese Zeit bereiten sich auch die Finanzinvestoren vor. Wie vor der Krise haben sie Finanzprodukte entwickelt, die vermeintliche Sicherheit mit einer hohen Rendite verbinden. Das wichtigste dieser Produkte sind Colateralized debt obligations (CCO). Dabei werden Optionen zum Kauf unterschiedlicher Nahrungsmittel zu einem »Produkt« verknüpft, sodass die Risiken verteilt und hohe Renditen gesichert werden können. Was so gut klingt, vergleichen manche Börsenbeobachter bereits mit den Ramschkrediten auf jenem Immobilienmarkt, dessen Zusammenbruch die Finanzkrise auslöste. Dennoch steht außer Zweifel, dass solche Finanzprodukte immer mehr Geld in die Spekulation mit Nahrungsmitteln treiben werden. Und allen Spekulanten ist eines gemeinsam: Sie wollen gar keine Nahrungsmittel, sie wollen nur von Preissteigerungen profitieren. Durch ihre Aktivitäten treiben sie jedoch die Handelspreise für Weizen oder Reis auf ein Niveau, das die Ärmsten der Armen nicht bezahlen können.“

So wird durch Finanzspekulation auf Nahrungsmittel künstlich Hunger erzeugt, und das ist ein Skandal.

Dass den Investoren die Zusammenhänge bekannt sind, beweist eine Publikation der Vontobel Europa SA unter dem Titel „Mehrwert„, die auf den Internet-Seiten des Deutschen-Derivate-Verbands abgedruckt ist. Schon auf dem Titel heißt es: „Schwindende Anbauflächen lancieren den Wettlauf ums Ackerland.“ Noch deutlicher werden die Schweizer Banker und Finanzinvestoren in ihrer Unterzeile: „Die Verknappung der Agrarrohstoffe birgt große Herausforderungen, Potenzial für Investitionen und vielseitige Anlagechancen.“

Im Editorial schreibt Axel Schmid, Head of Advisory Financial Products Deuzschland und Österreich, Vontobel Europe S.A.: „Vieles wird günstiger, Agrarrohstoffe wohl kaum. Welches sind die langfristigen Preistreiber in diesem Bereich und kann der gesamte Landwirtschaftssektor davon profitieren?“ Wen meint Schmid mit Landwirtschaftssektor? Die kleinen Bauern, die einfachen Landbesitzer und -besteller überall auf der Welt? Oder den Agrarfinanzsektor, die Nahrungsmittelbörsen?

In seinem Marktbericht analysiert Heiko Geiger Fragen der Ethik, der Nachhaltigkeit durchaus differenziert – um am Ende dann doch bei Produkten zu landen, die durch Technologie und Dünger mehr aus dem Boden herausholen. Mit Blick auf Preiseinbrüche durch die Finanzkrise und neue Chancen schreibt Geiger:

„Die starken Korrekturen im letzten Herbst haben ein interessantes Einstiegsniveau geschaffen. Doch nicht nur Soft-Commodities dürften von den demografischen und klimatischen Veränderungen profitieren, sondern auch Unternehmen, die zur Effizienzsteigerung von Anbauflächen beitragen, in der Entwicklung von hochwertigem Saatgut oder in der Landwirtschaftstechnologie tätig sind. Vontobel bietet Produkte, die eine Investition sowohl in Agrarrohstoffe als auch in Titel aus der Agrarindustrie ermöglichen“, so Geiger. Und Axel Schmidt fügt hinzu: „Passend dazu gibt uns Friedrich Beschauer, Vorstandsvorsitzender von Bayer CropScience, einen interessanten Einblick in die Forschung von hochwertigem Saatgut und Düngemittel.“

Klingt alles ganz harmlos, wäre da nicht der knallharte Hinweise auf schwindende Anbauflächen, Verknappung des Rohstoffs, Potential für Investitionen und vielseitige Anlagechancen über dem Durchschnitt. Wo es Gewinner gibt, sind die Verlierernicht weit. Und das sind nach Lage der Dinge die Ärmsten der Armen. Bei den Rekordpreisen für Grundnahrungsmittel 2007 gab es Unruhen in 30 Nationen. Millionen Menschen waren betroffen. Und wir schauen zu, wie die Finanzindustrie exakt auf dieser Grundlage Produkte entwickelt, die auf höchst unethische Art Geschäfte mit Nahrungsmittelknappheit forcieren.

Von der Politik ist nicht zu erwarten, dass sie die Finanzindustrie an die Leine legen kann. Vielleicht müssen es weltweite Internet-Aktivisten?! Twitterer, Facebooker, die mit ihren Mitteln dafür sorgen, die Profiteure solcher Nahrungsmittelspekulationen zu ächten? Ich weiß nicht, ob das möglich ist. Eine Zahl hat mich in den letzten Tagen bei der Recherche für einen Artikel elektrisiert: Am Erdgipfel in Rio de Janeiro, der berühmten UNCED-Konferenz von 1992, haben 2400 Nicht-Regierungsvertreter eilgenommen. Am NGO-Forum waren gar 17.000 politisch Interessierte aus aller Welt beteiligt. Akkreditiert waren 7000 Journalisten. Man stelle sich vor, von den vielen Twitterern und Facebookern mit Verantwortungsbewusstsein und Charakter würden sich 20.000 treffen, um Nahrungsmittel-Finanzspekulation zu ächten und neue Standards für die Welt zu setzen. Man stelle sich vor, daraus würden neue Finanz-Institute und neue Fonds in aller Welt entstehen, die sich voll und ganz ethisch korrektem Wirtschaften verschrieben.

Man muss Visionen auch zu Ende denken dürfen. Ich möchte es. Und hoffen, dass wir vielleicht doch etwas bewegen könnten…

Armin König