Rudolf Fisch / Andrea Müller / Dieter Beck (Hrsg.) (2008): Veränderungen in Organisationen. Stand und Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. ISBN: 9783531159737. 444 Seiten.
Organisationen mögen keine Veränderungen. Die gehören zwar zum gesellschaftlichen und individuellen Leben, sind also normal, aber: „Die Erkenntnis, dass Veränderungen normal sind, ist allerdings kein Garant ihrer Akzeptanz. Es scheint im Gegenteil so zu sein, dass Veränderungen in dem Grade wie sie bewusst werden, auch Widerwillen und Widerstand erzeugen“, schreibt Gerd Wiendieck im Buch „Veränderungen in Organisationen“, das von Rudolf Fisch, Andrea Müller und Dieter Beck herausgegeben wurde. Vor allem Veränderungen, die nicht evolutionär erfolgen, sondern auf menschlichen Eingriffen beruhen, führen zu „Widerspenstigkeit“. Und schon hat man es mit „Betroffenen“ oder gar mit „Opfern eines Wandels“ zu tun – mit Menschen, die den Wandel „nicht initiiert oder gewollt hatten“. Was der emeritierte Organisationspsychologe Gerd Wiendieck beschreibt, ist immer häufiger gesellschaftliche Realität. Reformen, Fusionen, Strukturveränderungen – all dies ist Alltag in Wirtschaft, Verwaltungen, Institutionen, Organisationen. Deshalb ist es sinnvoll, in einem Überblick Stand und Perspektiven zu Veränderungen in Organisationen zu dokumentieren.
In drei Kapiteln ziehen renommierte Wissenschaftler Zwischenbilanz. Im ersten Kapitel geht es um Orientierung über organisationale Veränderungen. Gerd Wiendieck beschreibt in einem fundierten Rückblick Organisationen im Wandel. Dass solche Veränderungen Herausforderungen für jede Organisation sind, ist hinreichend bekannt und nachgewiesen. Die jüngsten Reformen im Hinblick auf ein „Lean“-Management werden vielfach auf den Globalisierungsdruck zurückgeführt. Wiendieck fragt mit einiger Berechtigung, „wie weit Management-Konzepte jeweils angemessene Antworten auf wechselnde Anforderungen der Umwelt waren oder auch als Moden gesehen werden können, die gern aufgegriffen werden, wenn die Erfolge bisheriger Maßnahmen nicht den Erwartungen entsprechen.“ (Wiendieck 20) Süffisant verweist er auf ein Bonmot Mintzbergs, der „den steten Wechsel der Managementkonzepte mit dem Auf und Ab der Saumlänge der Damenröcke vergleicht“ (20). Auch das Prinzipal-Agent-Konzept unterzieht er einer kritischen Beurteilung und beleuchtet Kriterien wie Downsizing, Flexibilisierung und Vernetzung. Es hilft aber nichts: Reformiert wird trotzdem. Das gilt auch für den öffentlichen Sektor, insbesondere für die öffentliche Verwaltung.
Umso wichtiger wäre es, wenn sich Theoretiker und Praktiker den Beitrag von Walter A. Oechsler zu Gemüte führen würden, der die Anwendung betriebswirtschaftlicher Verfahren in der öffentlichen Verwaltung kritisch hinterfragt und eine vernichtende Bilanz der neuen Steuerungsinstrumente (NSI) in Baden-Württemberg zieht. Auf der Grundlage einer umfassenden Rechnungshof-Studie kommt Oechsler zum Schluss, „dass sich NSI zu einer Geldvernichtungsmaschine entwickelt hat“ (Oechsler 61). Schon der Rechnungshof hatte vor „kritikloser Übernahme modernistisch formulierter Beraterklischees“ gewarnt und stattdessen handfestes, solides Ermitteln des tatsächlichen Bedarfs gefordert. Es sind nicht einfach nur Tretminen. Eigentlich sind es kleine Bömbchen. Oechsler empfiehlt deshalb Vorsicht vor den Gefahren betriebswirtschaftlicher Verfahren, die nicht selten Panik in den Organisationen auslösen – und erhebliche Ausgaben für Berater zur Folge haben.
„Wichtig ist, Gelassenheit zu zeigen, wenn Panik ausbricht. Panik wird in aller Regel von den Machern betriebswirtschaftlicher Verfahren inszeniert. Dagegen helfen ein kühler Kopf und gesunder Menschenverstand. Die Konzepte sollten kritisch hinterfragt werden. Handelt es sich um alten Wein in neuen Schläuchen? Wie steht es um die wissenschaftliche Fundierung? Was sind die propagierten Ziele? Passen die Instrumente zur Lösung der Probleme und verspricht der Anwendungskontext eine erfolgreiche Implementierung?“
Oechslers Fragen müssten viel öfter gestellt werden.
Hans Peter Bull setzt sich mit rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen der Innovationen im öffentlichen Sektor auseinander. Sein Ausgangspunkt ist der „lästige Jurist“, der den Reformern Steine in den Weg legt oder zumindest auf Bedenken hinweist „statt Reformeuphorie zu verbreiten“ (41). In gewissem Maße ist er Unfallverhüter. Ähnlich wie Oechsler ist auch Bull kein Reformgegner. Er verweist sehr wohl auf rechtswissenschaftliche Innovationen. Reformen finden in einem Spannungsfeld zwischen Effektivität, Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Praktikabilität und Legitimität statt. „Die Summe der Anforderungen an die Verwaltung geht weit über das hinaus, was sie selbst bewältigen kann“, stellt Bull fest (49). Es ist also gar nicht so einfach, den juristischen Rahmen für Verwaltungsreformen zu setzen. Das normativ geforderte „Recht auf gute Verwaltung“ (EU) ist dabei nur bedingt hilfreich. „Ganz nebenbei“ ist auch noch das Personal zu berücksichtigen, die wichtigste Ressource. Immerhin empfiehlt Bull „die auf Dauer angelegte intensive Pflege der ‚menschlichen Ressourcen‘ durch verbesserte Praktiken der Personalrekrutierung, des Personalmanagements und der Personalfürsorge, und dazu wiederum ist ein Qualitätssprung in der Verwaltungsführung notwendig.“ (51) Und damit sind wir wieder beim eklatanten Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Veränderungen in öffentlichen Organisationen. Insgesamt betont Bull die Rolle des problembewussten Juristen, der Innovationen aufgrund seines Fachwissens beurteilt und damit zur konstruktiven Gestaltung der Zukunft beiträgt. Der Jurist soll und darf also keineswegs der ewige Bedenkenträger sein, er muss aber kritisch abschätzen, wo er die lange Leine lässt und wo er Fesseln anlegt.
Rudolf Fisch fragt: „Verwaltungsmodernisierung in Deutschland – ohne Folgen für eine zeitgemäße Organisationsgestaltung?“ Dagegen sieht sein Speyerer DHV-Professorenkollege Carl Böhret „Verwaltungsmodernisierung mittels aktiver Verwaltungspolitik“. Beiden ist allerdings gemein, dass sie mit ihren Darstellungen zu kritisch-pragmatischem Nachdenken bei organisatorischen Veränderungen anregen.
Ungeachtet dieser kritischen Hinleitung im ersten Kapitel werden im zweiten Kapitel Methoden und Techniken für Veränderungsprozesse vorgestellt, zum Beispiel der „Change Explorer“ von Siegfried Greif. Im MIttelpunkt stehen Analysen Problemlöse-Workshops unter aktiver Einbeziehung der Betroffenen, Lernzielvereinbarungen und ein sehr gutes Teamklima. Die normativen Anforderungen an die MitarbeiterInnen sind allerdings hoch, und die meisten Verwaltungsbediensteten werden gar nicht erst verstehen, wie Greif das umsetzen will, was er fordert:
„Um geeignete Problemlösungen und Maßnahmen zu finden, sind kontinuierlich intensive Analysen und gemeinsame Auswertungen durchzuführen. Um die vorgegebenen Ziele zu erreichen, sind flexible, teilweise vollkommen neu zu planende und gemeinsam akzeptierte Maßnahmen gefragt, die durch bestens informierte Mitarbeiteri/innen mit hohem Zielcommitment aktiv und selbstorganisiert umgesetzt werden müssen.“ (158) Und dies alles zusätzlich zur regulären Arbeit, wie Greif selbst beschreibt. Deshalb darf infrage gestellt werden, ob das Change-Explorer-Instrumentatrium tatsächlich erfolgreich anwendbar ist oder ob so nicht neuer Widerstand gegen organisatorischen Wandel entsteht. Glücklicherweise erklären Jürgen Hauschild und Sören Salomo, warum Widerstand entsteht und wie ihm mithilfe von Promotoren begegnet werden kann.
Sehr erhellend ist der Beitrag von Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller zum Thema „Change Reflexivity“. Sie erläutern schlüssig subjektive Theorien hochrangiger Entscheidungsträger über die Gestaltung von Veränderungsprozessen in den Bereichen Verwaltung, Politik und Wissenschaft. Sie plädieren für eine begleitende Reflexion von Reformen – von der Planung bis zur Evaluation. Coaching kann dazu maßgeblich beitragen und Erfolge bewirken. Veränderungen müssen nicht nur fachlich-inhaltlich gut vorbereitet sein, sondern auch mental. Die systematische Reflexion der eigenen Annahmen und Strategien ist aber ebenso wichtig. „Naiv wäre auch die Annahme, dass Organisationen und deren Leitungsebene wie auf einer Insel agieren könnten – zu vielfältig sind die externen Einflussfaktoren“ (197) – und die haben schon manchen gut gemeinten Veränderungsprozess zum Scheitern gebracht.
Trotz dieser Hindernisse können Lernkultur und respektvolle Führung entscheidend dazu beitragen, auch schwierige Veränderungsprozesse gut zu managen, stellen Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier, Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte fest.
Der dritte Teil des Buchs stellt praktische Erfahrungen dar, insbesondere das Managen von Veränderungen in Wirtschaft und Verwaltung.
Fazit:
Reformiert wird immer, nicht nur in der Kirche (ecclesia semper reformanda). Nur der Wandel ist beständig. Doch ebenso beständig sind Verweigerer, Bedenkenträger, Bremser damit beschäftigt, Neuerungen zu Fall zu bringen, während Promotoren, Leader, Innovatoren die Organisation voranbringen wollen. Wer gewinnt, ist am Anfang nie sicher.
Wer Reformen in der öffentlichen Verwaltung und in Organisationen plant, sollte dieses fundierte Buch erfahrener Wissenschaftler und Praktiker gelesen haben, bevor er sein Projekt startet. Es beschreibt Tretminen, die in fast jedem Veränderungsprozess irgendwann hochgehen, dokumentiert kritische Phasen und Probleme, skizziert aber auch Erfolgsrezepte. Veränderungen in Organisationen werden als Herausforderung beschrieben, die kühlen Kopf, Reflexion, Selbstkritik und externe Begleitung erfordern. Und ein hohes Maß an Begeisterung und Resilienz.
Dr. Armin König