Armin König

Vernunft kehrt ein im Schwabenland #s21

Kaum zu glauben, aber offensichtlich wahr: Vernunft kehrt ein im Schwabenland. Befürworter und Gegner des Projekts Stuttgart21 setzen offenbar auf Vermittlung. Nach übereinstimmenden Presseberichten wird  nach der Eskalation der Ereignisse in der letzten Woche jetzt ein Schlichter gesucht. Die Grünen im Landtag brachten Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ins Gespräch. Außenminister Guido Westerwelle schlug Joachim Gauck vor, der aber keine Zeit dafür hat. Für eine Vermittlung haben sich auch Sigmar Gabriel, Birgit Homburger und Cem Özdemir ausgesprochen.  Und Ministerpräsident Stefan Mappus hat offenbar Zugeständnisse nicht ausgeschlossen, so die FAZ vom 4.10.2010.

So ist vorerst nicht geplant, weitere Bäume im Stuttgarter Schlossgarten zu fällen. Auch der Südflügel des alten Bahnhofs wird vorerst nicht abgerissen, so die FAZ. Aus dem Stuttgarter Staatsministerium hieß es gegenüber der zeitung, „Mappus sei zu umfangreichen Zugeständnissen bereit, auch wenn dies zusätzliche Kosten verursache“. Er wird am Mittwoch eine Regierungserklärung abgeben, einen Tag früher als geplant. Die S21-Gegner wollen sich Gesprächen nicht verschließen, verlangen aber einen Baustopp.

Nur Innenminister Heribert Rech, der sich als kommunikationsunfähiger Betonkopf entpuppt hatte, gibt sich weiter bockig und uneinsichtig.  Damit wird er zunehmend zur Belastung für Mappus. Rech sagte dem Bayerischen Rundfunk: „Den Bahnhofsgegnern geht es, nach meiner Auffassung, schon längst nicht mehr um das Bahnprojekt, sonder sie wollen es dem Staat einfach zu zeigen und sich damit über demokratisch gefällte Entscheidungen hinwegzusetzen.“  Das mag für einen kleinen Teil der Demonstranten gelten, nicht aber für die große Masse demonstrierender Bürger.

Für einen potenziellen Schlichter ist die Aufgabe in jedem Fall schwierig, wenn nicht unlösbar. Auch er kommt nicht an der  Feststellung vorbei, dass korrekt beschlossene Projekte demokratisch legitimiert sind und nicht willkürlich umgeworfen werden können. Es gibt auch kein Recht auf Widerstand gegen legale und legitime Entscheidungen. Aber es gibt das Demonstrationsrecht, das in Deutschland verfassungsrechtlich einen hohen Stellenwert hat.

Offenbar hat es in der Vergangenheit zu wenig Transparenz bei den Entscheidungen gegeben. Aber wir stellen auch fest, dass die Masse der Bürger sich überhaupt nicht für Politik und ihre Entscheidungen interessiert und erst dann aufwacht, wenn entweder ihre eigenen Interessen berührt sind oder wenn Prominente protestieren – wie Walter Sittler beim Stuttgarter Bahnhofsprojekt.

Für Außenstehende erscheint der ganze Konflikt irrwitzig, denn eigentlich sollte doch ein Bahnhof fit gemacht werden fürs 21. Jahrhundert, eine europäischen Fernverkehrsverbindung ausgebaut und Infrastruktur modernisiert werden – als Kontrapunkt zum Straßenverkehr. Und  nun spielen sich bei diesem Verkehrsprojekt ähnliche Dinge ab wie bei Atomprojekten oder einem Flughafenausbau. Nachvollziehbar ist das nicht.

Einen Mangel haben wir allerdings ausgemacht: Einen gravierenden Mangel an Partizipation. Darüber habe ich an anderer Stelle schon im Januar 2010 geschrieben.

So ist Partizipation der Bürger ein Ausweis starker Demokratie (Benjamin Barber). In direktem Kontext dazu steht Gerechtigkeit. Der Philosoph Wolfgang Gerhard meint dazu, dass die Bürger nicht nur fairen Zugang zu wichtigen Informationen brauchen, sondern auch sondern auch „Wissen und Kenntnis der Institutionen, Bildung und geschulte Fertigkeiten.“ Nur so könne generationenübergreifend „Hintergrund- und Verfahrensgerechtigkeit“ realisiert werden. Ziel soll es sein, sich „von der Regierungskontrolle und der Macht der Bürokratie unabhängig zu machen. Dadurch sollen die Verhältnisse der beratschlagenden Demokratie verbessert und Vorbereitungen für den öffentlichen Vernunftgebrauch getroffen werden – ein Ziel, das … der Konzeption der Gerechtigkeit als Fairneß und dem bürgerlichen Republikanismus gemeinsam ist“.

Ich selbst habe im Januar 2010 in „faire welt“ geschrieben, „dass Partizipation nur dann erfolgreich sein kann, wenn Fairness und Gerechtigkeit für alle Beteiligten gegeben ist und nicht nur für eine kleine Gruppe Privilegierter. Nur wenn Bürger aller Schichten „als Gleiche voll kooperierende Angehörige der Gesellschaft sein können“, wenn sie nicht entmutigt oder ohnmächtig sind, wenn sie Zugang zu Wissen, Informationen und Produktionsmitteln haben, wenn sie mitwirken und an Entscheidungen teilhaben dürfen, ist mit erfolgreichen Integrationsprozessen zu rechnen. Dann sind die Bürger nicht nur in der Lage, sondern in der Regel auch bereit, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln.“

Ich weiß, dass dies sehr idealistisch ist, ab er ich hoffe, dass diese Erkenntnisse tatsächlich dazu beitragen könne, dass Vernunft Einkehr im Schwabenland.  Stefan Mappus und seine Mitstreiter sollten erkannt haben, das Rambo-Manier(en) kein Beweis für eine starke Demokratie sind und dass man damit auch kein konservatives Profil gewinnen kann.

Noch hat er die Chance, Signale zu setzen. Solche Chancen hat man in der Regel im politischen Leben nur einmal. Auch Cem Özdemir hat zugegeben, dass er sich vergaloppiert hatte und sich entschuldigt. Geben Sie sich einen Ruck, Herr Mappus. Stellen Sie Eitelkeiten hintan und sorgen Sie für eine staatsmännische Lösung, indem sie Wege aus der Krise ebnen und aufzeigen.