Armin König

Volkstrauertrag 2012

Rede von Bürgermeister Dr. Armin König bei der Gedenkveranstaltung im Eventhaus St. Stephan Illingen

 

Herzlich willkommen bei dieser Gedenkveranstaltung. Ich freue mich, dass alle Generationen heute vertreten sind, wie schon seit Jahren. Denn unser Anliegen – für Frieden und Verständigung einzutreten – geht alle Generationen an. Ich freue mich auch, dass unsere Freuende aus Stiring-Wendel heute wieder dabei sind, denn Deutschland und Frankreich sind die wichtigsten Impulsgeber der europäischen Verständigung.

Wir haben soeben eine eindrucksvolle Rede von Hans Krass gehört. Ich will in meiner Rede den lokalen Bezug hervorheben.

„Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen Israel!“ So steht es auf Hebräisch auf dem Torbogen der einstigen Illinger Synagoge, die in den Novemberpogromen von örtlichen Nazis niedergebrannt wurde. Die Reste  der Synagoge wurden abgerissen, geblieben ist nur der  Torbogen, der heute Teil des Media-Futura-Kunstwerks von Armin Hüwels ist, das von Daniel Scheer realisiert und von der Gemeinde in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Standorts vor dem Kulturforum Illipse und dem Pfarrheim aufgestellt wurde.

Und endlich lesen wir auch die Übersetzung auf der Edelstahltafel, die seit heute am Denkmal angebracht ist – zusammen mit der notwendigen Einordnung in den historischen Kontext.

„Durch diesen Torbogen traten Illinger jüdischen Glaubens zum Gebet in ihre Synagoge. Am Mittag des 10. November 1938, infolge der Reichspogromnacht, wurde sie von Nationalsozialisten geplündert, niedergebrannt und zerstört. Wir gedenken der jüdischen Opfer.“

Dass wir dies heute lesen und damit auch einordnen können, ist ein Verdienst des Vereins Denkmal mit e.V.,

Es ist aber auch und vor allem ein Verdienst der  Pfadfinderschaft St. Georg, die heute wie in jedem Jahr vertreten ist und die mit ihrer 72-Stunden-Aktion den Anstoß für die erläuternde Gedenktafel gegeben hat. Vielen Dank für euer tolles Engagement.

 

Dieser Volkstrauertag soll erinnern und in die Zukunft weisen.

Ähnliches haben wir allerdings 2011 und 2010 und 2009 schon gehört.

Es liegt schon etwas Vergeblichkeit in diesen Appellen angesichts der Kriege überall in der Welt, bei denen zehntausende Soldaten und Zivilisten sterben. Das hat nichts von Heldengedenken. Das ist nur Elend und Leid.

Daran soll dieser Volkstrauertag erinnern: an die gefallenen Soldaten, an die Opfer der Zivilbevölkerung an den beiden Weltkriegen – und es gab kaum eine Familie in unserem Land, die nicht betroffen war -, an die Opfer des Naziterrors, an die Opfer der Vertreibung, an die Opfer von Radikalisten, an die Opfer von Terroristen.

Aber wir gedenken auch der Opfer aktueller Kriege.

Jetzt wird im Nahen Osten wieder geschossen. In der Nähe der pulsierenden Stadt Tel Aviv – ich habe sie schon gesehen und ihre Schönheit erlebt ­– schlagen Raketen ein. Im Gazastreifen werden Ziele der Hamas angegriffen. Im Magazin „Die Zeit“ lesen wir eine Erklärung von Gil Yaron für die Eskalation.

All die Kritiker ignorierten  „den simplen Umstand, dass Israels Bewohner seit mehr als zehn Jahren unter dem Raketenhagel palästinensischer Terrororganisationen leben. Die feuern ihre Geschosse nach eigenem Gutdünken völkerrechtswidrig auf israelische Ballungszentren ab. Mal schießen sie als Reaktion auf israelische Aggression, mal präventiv, mal ohne Erklärung. Vorzugsweise um Viertel vor Acht morgens: Dann befinden sich nämlich die meisten Kinder mit ihren Eltern auf dem Schulweg und weit weg von den Schutzräumen. Nicht nur, dass dieser stete Beschuss in vergangenen Wochen massiv zunahm. Palästinensische Terrororganisationen griffen in der vergangenen Woche wiederholt Soldaten jenseits des Grenzzauns zum Gazastreifen auf souveränem israelischem Staatsgebiet an. Laut internationalem Recht eine Kriegserklärung. Die Bewohner in Israels Süden fühlten sich wie Schießbudenfiguren, verlassen von ihrer Regierung. sie fühlen sich vergessen von einer Welt, die von den regelmäßig niederregnenden zehn Raketen pro Woche nichts hören will. Doch auch diese wenigen Geschosse treiben stets Tausende Zivilisten in ihre Bunker.“

Ich will dies nicht bewerten. Vermutlich müssten wir dem auch den arabischen Konterpart entgegenstellen. Dabei wird eines deutlich  – und das schreiben fast alle Zeitungen: Das alte Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn taugt nicht mehr. Gewalt löst keine Konflikte. Gewalt bringt nur Trauer und Schmerz und löst neue Gewalt aus.

Wir, die wir uns lokal engagieren, können die Welt nicht verändern, nur ein klein wenig zu ihrer Humanisierung beitragen durch viele kleine Gedenkveranstaltungen und Aktionen, kleine lokale Friedensdemonstrationen, die dann vielleicht auch in Berlin und Brüssel registriert werden.

Wir wollen Zeichen setzen gegen das Zerstörerische, Zeichen setzen gegen Gewalt, aber auch immer wieder Öffentlichkeit herstellen für ein gutes Miteinander.

Deshalb ist Erinnern – auch ritualisiertes Erinnern – wichtig.

Und deshalb will ich auch an einen Mann erinnern, der in Illingen fast vergessen ist, obwohl er viele Menschen vor dem sicheren Tod gerettet hat. Es ist unser ehemaliger Pastor Arnold Fortuin, der mein ehemaliger Lehrer am Illtal-Gymnasium war. Am 14. September ist in Berlin ein Haus eingeweiht worden, das ihm gewidmet ist. Und das ist eine gute Nachricht. Denn jetzt kann ich sagen:

Es gibt sie noch, die guten Samariter, die sich für Menschen einsetzen, an denen andere Zeitgenossen achtlos vorübergehen, Samariter, die nicht die Augen verschließen vor offenkundigem Elend, vor gewaltigen Problemen. Es sind Samariter, die Menschen nicht abstempeln als Außenseiter, sondern sich einlassen auf Sorgen und Nöte, die Vorurteile überwinden. Es geht um Menschlichkeit, um Hilfsbereitschaft, um christliche Nächstenliebe. Diese guten Samariter ecken schon mal an, sie greifen ein, auch wenn sie mit Schwierigkeiten zu rechnen haben. Arnold Fortuin hatte gewaltige Schwierigkeiten, nachdem er sich für die Sinti eingesetzt hatte.

Es gibt sie aber auch heute noch – oder wieder, diese guten Samariter.

Einer dieser Samariter, dieser Botschafter der Menschlichkeit und des Friedens,  stammt aus Wustweiler, lebt in Köln und hat in Berlin-Neukölln ein Projekt gestartet, über das Medien aus der ganzen Welt berichten. Über ein Jahr ist es her, dass die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH aus Köln einen Wohnkomplex in der Harzer Straße/Treptower Straße in Neukölln erwarb und ihn durch systematische bestandsaufwertende und soziale Maßnahmen zu einem Leuchtturm-Projekt der Integration umgestaltete. Initiator ist der Immobilienmanager Benjamin (Helmut) Marx, der Bruder des legendären Kulturpflegers von Wustweiler, Rudi Marx. Benjamin Marx konnte das Elend in der Harzer Straße nicht ansehen, wo Menschen unter unzumutbaren Bedingungen hausten.

Er packte an, kaufte den Gebäudekomplex für sein katholisches Unternehmen, sicherte sich die Unterstützung des Berliner Erzbischofs Woelki und des Berliner Senats und stellte eines der größten und wichtigsten Integrationsprojekte in Deutschland auf die Beine. Und weil seine Schützlinge Roma sind, nannte er das Haus nach dem Mann, der zum Schutzpatron der Sinti und Roma geworden ist: Arnold Fortuin. Der frühere Pfarrer von Illingen und Begründer der „Zigeunerwallfahrt“ gilt mittlerweile als „Arnold Schindler der Sinti und Roma“, weil er in der Nazizeit Menschen vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Er wird verehrt und auch in Kirchenkreisen geachtet.

Kardinal Woelki hat ihn in seiner Predigt ganz besonders hervorgehoben, und es ist an der Zeit, dass wir an Fortuin an diesem Tag erinnern, dass wir an einem Volkstrauertag das positive Signal senden, dass man mit Rückgrat und Humanität einen Beitrag zur Befriedung der Welt leisten kann.

Es gibt also Hoffnung. Hoffnung für die Menschen. Hoffnung für Frieden.

Das setzt voraus, dass wir Partei ergreifen für den Frieden.

Aber können wir lokal etwas bewirken?

Ja, das können wir.

Indem auch wir Farbe bekennen.

Indem wir all jenen entgegentreten, die andere diskriminieren.

Indem wir all jenen entgegentreten, die nationalsozialistische Verbrechen relativieren und verharmlosen. Indem wir uns rückhaltlos bekennen zu Demokratie und Menschenrechten, zu Freiheit und Frieden.

Deutsche und Franzosen haben tatkräftig unter Beweis gestellt, wie dies geht. Sie sind zum Motor der europäischen Verständigung nach Jahrzehnten der Feindschaft geworden. Sie sind auch heute die Hoffnung Europas. Verspielen wir dies nicht durch kleinkarierte Euro-Skepsis. Ich bin ein Fan Europas. Und ich werde es bleiben, bei allen Problemen, die wir zu lösen haben.

Demokratie erfordert Einsatz und manchmal auch Zivilcourage. Beides müssen wir von jeder Generation erwarten: Um Frieden und Freiheit zu sichern. Das ist nicht einfach. Der große Friedenspapst Johannes Paul II. hat einen berühmten Satz gesagt: „Krieg ist niemals ein unabwendbares Schicksal. Krieg ist immer eine Niederlage für die Menschheit.“ Er wusste die Jugend auf seiner Seite. Ihr rief er zu: „Ihr seid die Zukunft, baut mit an einer Zivilisation der Liebe und Gerechtigkeit“.

Auch wir bauen auf die Jugend. Wir setzen auf ihr Engagement und unterstützen sie mit all unserer Erfahrung. Das Engagement junger Menschen macht Hoffnung, so wie der Weltjugendtag uns allen Hoffnung gemacht hat.

Hoffnung auf eine bessere, friedlichere Welt, in der es nicht mehr allein um Geld und Konsum geht, sondern auch um Werte und Mitmenschlichkeit.

In diesem Sinne hoffe ich, dass der Volkstrauertag auch ein Gefühl von Hoffnung vermittelt.

Wir sind selbst dafür verantwortlich. Jeder einzelne.

Dazu rufe ich Sie alle, UNS alle auf.

 

 

Foto:

Einweihung des Arnold-Fortuin-Hauses in Berlin-Neukölln in der Harzer Straße mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, Benjmain Marx, Bürgermeister Dr. Armin König, dem Präsidenten des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, dem Berliner Erzbischof, Kardinal Reiner Wölki und Familie Fortuin aus Neunkirchen (Nahe).