Armin König

Wem gehört die Stadt und wer regiert sie? – Ein geradezu höllisches Lehrstück

Kommunen unter Handlungsdruck und wie sie ihn auflösen können

Vorspiel auf dem Theater

Wem gehört die Stadt? Und wem wird sie in Zukunft gehören, wenn die Kassen der Stadt geleert, die Handlungsmöglichkeiten geschrumpft sind, die Kreativität der Stadtgesellschaft angesichts frustrierender Spardiktate erstorben ist?
Findet Stadt noch statt? Haben Politiker und Verwaltungen den Mut, trotz gewaltiger Hypotheken noch eigenständig Stadt zu planen und zu gestalten?
Oder verkaufen sie ihr Planungsrecht – das biblische Erstgeburtsrecht sozusagen – für ein Linsengericht an den Nächstbesten, der verspricht, Ruinen plattzumachen, neue Verkaufsflächen von der Stange zu generieren und mit Kaufland, Kiks und anderen Billigheimern so genannte „Frequenz“ in die City zu bringen?
Gilt dann nur noch das stupide Clintonsche Gesetz „It’s the economy – stupid“? Übersetzen wir’s mal mit: Verdammt, es geht doch immer um die Wirtschaft! Und die Menschen bleiben außen vor.
Das aber wäre höllisch gefährlich. Es ist allerdings irdische Realität. Und mancher Verwaltungschef und mancher Politiker wird nach wenigen Jahren auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ein Problem ist gelöst – zehn neue tun sich auf, die nun erst recht nicht mehr zu lösen sind.
Denn allzu oft erweist sich die Kooperation mit Projektentwicklern und Groß- oder Kleininvestoren als mephistophelischer Pakt, bei dem einer der Beteiligten seine Seele für einen billigen Vorteil verkauft. Und wenn das letzte Geschäft außerhalb der neuen Mall geschlossen, die letzte Initiative erlahmt ist, wird den Verantwortlichen bewusst, dass es auch bei Großinvestoren wie ECE nichts umsonst gibt. Umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben. Das Leben in den Innenstädten. Das ÜBERleben der Innenstädte und Ortskerne.
Das ist nun keine Übertreibung. Wer sich die Leerstände in Großstädten, in Mittelstädten, in Kleinstädten, aber auch in Gemeinden im ländlichen Raum betrachtet, die Entleerung und Entkernung der Innenstädte – eine städtebauliche Entleibung und Entseelung –, der wird zugeben, dass wir es mit einem wachsenden Problem- und Handlungsdruck zu tun haben.
Wem gehört die Stadt und wer regiert sie? Es ist eine Frage von Macht, Herrschaft und Kontrolle, von Geld und Einfluss, vom zunehmenden Unbehagen der Mittelschicht an einer Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, in der Ableger großer Konzerne die kleinen Einzelhändler verdrängen – private Geschäftsinhaber, die die Stadt und ihre Viertel über Jahre und Jahrzehnte prägten, die ihnen Charakter und ihre Originalität verliehen haben, allen Schwächen und Eigenheiten zum Trotz.
Doch Originalität ist ausverkauft.
Es herrschen Uniformität und Konformitätsdruck in den von Durth so genannten „Konsumrennstrecken“ der Fußgängerzonen mittelgroßer deutscher Städte, denen es bisher noch relativ gut ging. Der Weg ist auch hier vorgezeichnet: Erst verschwindet die Originalität, dann die Attraktivität und schließlich endet alles in Banalität.
Die kleinen Städte und mittleren Gemeinden verlieren schon jetzt Kaufkraft und Anschluss. Die Stadtzentren sind fremdbestimmt. Nicht selten haben Fondsgesellschaften im Ausland das Sagen, wenn es um Renditeobjekte deutscher Städte geht. Die Globalisierung ist längst Alltag auf dem Markt der großen Gewerbeimmobilien.
Die City ist fremdbestimmt, Macht, Herrschaft und Kontrolle, Geld und Einfluss haben mit den Stakeholdern der Städte nichts mehr gemein. Wo keine persönliche Verantwortung mehr erkennbar ist, entstehen Problemzonen, die dem Abstieg preisgegeben sind.
Und genau darum geht es bei dieser Tagung, die sich mit kommunalem Handlungsdruck in der Praxis befasst.
Dass ich das höllische Beispiel mit dem mephistophelischen Pakt gewählt habe, hat nicht nur einen symbolischen Grund.
Die höllische Metapher ist mir geradezu vor die Füße gefallen, denn vor zwölf Jahren hat in meiner Heimatgemeinde Illingen die Firma Höll die Tore geschlossen. Hals über Kopf sind die damaligen Eigentümer aus Illingen weggezogen, man könnte geflüchtet sagen, um nach einem gewagten Zukauf – es war die Zeit der Goldgräber, des Neuen Marktes, der Dotcom-Blasen, die zu Totcom-Blasen wurden, der Mergers and Akquisitions – das Heil in der Landeshauptstadt Saarbrücken zu suchen. Nun ist die Wurstbranche kein ideales Schlachtfeld für Mergers and Akquisitions: die Margen sind klein, auch der Heimfaktor spielt bei den Wurstkonsumenten eine Rolle. Bei Höll aber schienen andere Gesetzt zu gelten. Einer der Eigentümer war damals gerade Middelhoff-Kollege im Vorstand von Bertelsmann und wurde später sein Nachfolger. In Gütersloh wurde das große Rad gedreht, und so drehte man ein kleineres, wurstigeres im Saarland.
Wir Illinger, und damit kommen wir zum Handlungsdruck in der Praxis, waren die Angeschmierten. Ein halbes Jahr zuvor hatte Höll noch darauf gedrängt, ein neues Gewerbegebiet an de Autobahn A 1 zu erschließen, damit man dort eine großflächige Neuansiedlung auf der grünen Wiese planen könne. Wir haben diese Gewerbefläche erschlossen, und just als wir gemeinsam mit der Nachbargemeinde das erste interkommunale Gewerbegebiet aus dem Boden gestampft und eingeweiht hatten, verschwand Höll sang- und klanglos. Und sagte kein einziges Wort des Bedauerns. Das war schmerzlich für die Kommunen und die Region.
Nun standen wir da mit einem leeren Gewerbegebiet, das hohe Erschließungskosten verschlungen hatte, und einer innerörtlichen Industriebrache. die sich zu einem Trümmerfeld entwickeln sollte. So viel zum Grund-und Boden-Gesetz „Eigentum verpflichtet“.
Den Eigentümer war alles Wurst, was uns an Qualität wichtig war, Hauptsache viel Geld als Erlös für die Immobilie. Für uns aber ging es plötzlich städtebaulich und standortpolitisch um die Wurst. Es war ein Kampf ums Ganze, ein Kampf auf Biegen und Brechen, ein Kampf um Qualität und Ästhetik, Proportionen und um Macht, wie sich herausstellen sollte.
Um kommunale Lösungsansätze in schwierigen Lagen hat mich Prof. Spannowsky gebeten, der das Illinger Beispiel aus eigener Anschauung kennt. Ich kann Ihnen allerdings nur eine Zickzackweg nachzeichnen, der hoffentlich im Ziel endet. Die Chancen stehen diesmal besser als je zuvor. Beginnen wir mit der Theorie!

1. Akt
Die unsichtbare Hand des Marktes ist nur Lug und Trug
Die Theorie sagt: Die unsichtbare Hand des Marktes regelt das Problem. Es ist das Paradigma unserer Zeit. „Gewinnmaximierung als Triebfeder der Effizienz“ (Kirstein/Schmidtchen). Die Metapher ist nur völlig falsch.
Es gibt keine unsichtbare Hand des Marktes, es gab sie auch bei Adam Smith nicht. Und wenn die Marktteilnehmer diametral unterschiedliche Interessen haben, gibt es auch keine sichtbare Hand des Marktes, die das Problem mit Hilfe von Angebot und Nachfrage regeln könnte.
Wirtschaftsinteressen stehen im scharfen Kontrast zu Kommunalinteressen, die Widerstreit ist nicht aufzulösen: hier Eigennutz, dort Gemeinwohl, hier Profitmaximierung, dort Public Value, hier Renditevorsprung, dort Daseinsvorsorge. Da passt nichts zusammen.
Es gab lokal auf diesem Feld fünf Mitspieler: Den Eigentümer, den potenziellen Käufer, die Kommune, die Nachbarn und die Stakeholder. Die Kommune ist den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet, die als Stakeholder sicherlich auch Käufer sind. Aber sie ist eben nicht dem Kommerz verpflichtet, sondern dem Public Value (Hill), dem öffentlichen Wohl.
In der Praxis war die unsichtbare Hand des Marktes die erste Option. Die Eigentümer wollten viel Geld erzielen, es fand sich auch ein Immobilienentwickler, der allerdings die horrenden Preisvorstellungen der Nachbarn nicht erfüllen wollte. Die illusorischen Preisvorstellungen des Eigentümers sollten durch mindestens 5.000 Quadratmeter Verkaufsfläche und ein All-in-One-Shopping-Mall-Modell kompensiert werden. Planerisch und strukturell war diese Projektskizze eine Art Flugzeugträger: Die Parkplätze waren die Landebahn. War man erst einmal auf dem Flugzeugträger gelandet, konnte man dort alles erledigen und gleich wieder abdüsen. Städtebaulich wäre dies eine kommunale Katastrophe geworden. Die Hauptstraße wäre als Einkaufsstraße gestorben. Überlebt hätte der Flugzeugträger mit seiner kleinen Besatzung.
Die Gemeinde hat angesichts dieser gravierenden Fehlplanung Nein gesagt. Höll war Sanierungsgebiet und ist es noch heute. Damit war die Gemeinde auch Preisbehörde, und sie konnte Kriterien für die Sanierung festlegen. Der Tod der Hauptstraße und das Modell Flugzeugträger gehörte nicht zu den Kriterien.
In der Spieltheorie hatten nun alle verloren, die viel Eigennutz erwirtschaften wollten: Die maßlosen Eigentümer, die flächenmaßlosen Investoren und die maßlosen Nachbarn. Die Gemeinde hatte Zeit gewonnen, um in einem Partizipationsprozess Regeln aufzustellen, die dem Public Value verpflichtet waren.

2. Akt
Grabbing Hand – Von weißen Rittern, schwarzen Schafen und Ganoven
Nach der unsichtbaren Hand des Marktes folgte die Grabbing Hand (Shleifer/Vishni) der Unterwelt. Dies ist keine Romanerzählung, dies ist die Realität. Illingen ist Burggemeinde. Hier lebten einst die Herren von kerpen, deren Glanz und Herrlichkeit vor zweihundert Jahren endete. Nun tauchten erneut Ritter auf: weiße Ritter, die als Retter wie gerufen kamen.
In diesem zweiten Akt setze ein Anlieger alles daran, russische Investoren ins Spiel zu bringen. Sie hätten genügend Geld, hieß es, um alle zufriedenzustellen. So jedenfalls erzählte es ein in Illingen gut bekannter Immobilienentwickler, der allerdings, wie sein abgewetzter alter BMW vermuten ließ, seine besten Jahre längst hinter sich hatte. Doch die Aussicht auf Millionen ließ die Augen der Eigentümer des Schlüsselgrundstücks leuchten und die Herzen der weiteren Anlieger schneller schlagen, deren Gelände für die Erschließung eines großen Einkaufsmarktes in Frage gekommen wären. Das galt insbesondere für die Herren des Brachgeländes. Nun ist Ästhetik selbst in dubiosen Graumarkt-Kreisen ein wichtiges Kriterium. Unser Projektentwickler aber ließ es an der nötigen Ästhetik ebenso mangeln wie an Sorgfalt. Der Briefkopf der Telefaxe, die er in Zeiten von Email und Social media verschickte, ließ Bastelarbeit erkennen, was den Verdacht des Bürgermeisters und der Gemeindeverwaltung erregte, das Fax nutzte noch Thermopapier aus den 80er Jahren, die Faxadresse erwies sich als Briefkasten in einem rheinland-pfälzischen Gewerbegebiet. Man kann Bürgermeister ja vieles unterstellen, aber blind sind sich nicht.
Und so war ein weiterer Fehlschlag in der unendlichen Geschichte absehbar.
Mit Veränderungssperre und anwaltlicher Begleitung mussten die Gemeinde Illingen Abenteurertum auf dem Gelände der Industriebrache unseres bedeutenden Medienmoguls und Stiftungshelden verhindern.
Auch diesmal war das Sanierungsrecht unsere stärkste Waffe. Das Abenteuer endete relativ unspektakulär vor einem Amtsgericht, wo sich ein involvierter Pseudo-Investor wegen Betrugs und Wucherzinsen verantworten musste. Der weiße Ritter erwies sich als schwarzes Schaf mit einschlägiger Vergangenheit. Alte Saarländer werden sich noch an den Skandal um die Saar-Bau-Union. In dieser Zeit flogen auch dubiose Bauherrenmodell auf. Auch B-Prominente sollen damals viel Geld verloren haben.
Der angebliche Großinvestor musste also jetzt kurz vor Weihnachten in einem kleinen, schäbigen Amtsgerichtssaal die Hosen runterlassen und den Bankrott erklären. Er lebt heute von kommunaler Sozialhilfe. Die russischen Investoren sind in Illingen nie eingetroffen.

3. Akt
Zaungast oder Hauptdarsteller? Die Bürgerschaft

Max Frisch wird entdeckt, nicht als großer Dichter, denn am Illtal-Gymnasium und der Gemeinschaftsschule wird er seit Jahrzehnten gelesen, sondern als Planer und Partizipationsforderer. Sein Vorwort aus Godi Suters Buch „Die Städte sind zu Wohnen da“ wird zum Programm der Illinger – wider das Expertum der Investoren. „Die Stadt nämlich (…) ist nicht die Angelegenheit der Städtebauer, sondern der Städtebewohner. Es ist nicht nur statthaft, sondern Zeitgenossenpflicht, dass sie sich zu Wort melden. Die Fehlleistung, die sich Städtebau nennen, beruht nicht auf einem Versagen der Techniker als Techniker, sondern auf einem Versagen der Laien; sie überlassen sich den Technikern. Nun ist es aber so: Die Aufgabe stellt der Laie, der Fachmann hat sie zu lösen. Oder so müsste es sein. Wir brauchen den Fachmann: aber als Fachmann auf einem Gebiet, als Architekt, als Konstrukteur, nicht als Ideologe, nicht als Entwerfer der Gesellschaft. Kommt es dazu, weil die Gesellschaft sich nicht selbst entwirft und den Fachmann nicht einsetzt als Diener der Gesellschaft, übernimmt er eine Verantwortung, die ihm nicht zukommt; er übernimmt sich.“ Ein halbes Jahrhundert später ist Frischs Aussage aktueller denn je. Und die Illinger orientieren sich daran, nutzen ihre Kompetenz aus dem Demografieprojekt „Illingen 2030“, dem ersten demografischen Partizipationsprojekt im Saarland. Auch hier steht ein Schweizer Pate: Friedrich Dürrenmatt mit seiner programmatischen Aussage: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“
Und zum ersten Mal, wenn auch schon reichlich spät, ist Commitment zu gewinnen – dank des Demographie- und Zukunftsprogramms „Illingen 2030“ sind nun auch die Bürgerinnen und Bürger mit im Boot, die ihre Vorstellungen sehr deutlich artikulieren.
An diesen Eckpunkten – zu Fuß erreichbarer Einzelhandel, Barrierefreiheit, gastronomisches Angebot, Dienstleistungen – kommt nun kein Investor und kein Gemeinderat mehr vorbei, auch wenn der Druck auf die Politik von Monat zu Monat steigt, überhaupt etwas zu realisieren. Aber das Setzen von Eckpunkten durch Bevölkerung, Rat und Verwaltung macht nunmehr das Spiel für Null-Acht-Fünfzehn-Projektentwickler mit ihren Billig-Kästen, ihren Märklin-Lidl-Märkten, ihren pseudo-urbanen Wohnvorstellungen, ihren innerörtlichen Parkplatzwüsten, ihren auf Effizienz getrimmten Betonklotzkasten schier unmöglich. Voraussetzung ist eine sehr gute, professionelle Moderation der Partizipation. Ergänzt wurde dies durch die Bürgerbeteiligung bei der Entwicklung eines Teilräumlichen Entwicklungskonzepts für Illingen Mitte, die Hugo Kern übernahm. Sie wurde ein Erfolg.

4. Akt
Und wieder reiten weiße Ritter – der Durchbruch naht, doch die Helden sind müde
Denn im Rahmen eines kühnen Public-Private-Partnership-Modells gründet die Landesentwicklungsgesellschaft LEG ein Joint-Venture mit den Projektentwicklern von Rossing in Hessen. Man ist ganz stolz im Land und nennt es Roleg. Ordnungspolitisch gibt es gravierende Bedenken gegen diese stark privatwirtschaftlich bestimmte Modell der Regierung Müller, aber seit dem Leipziger CDU-Parteitag haben Public-Privat-Partnership-Modelle mit privater Dominanz auch bei den Schwarzen Konjunktur. Ein einstiger Bürgermeisterkollege ist Türöffner für die renditebewussten Investoren. Er lullt den einstigen Kollegen ein, macht große Versprechen – und alle glauben an den großen Erfolg der segnenden Public-Private-Hand.
Roleg kommt als weißer Ritter nach Illingen, um ein wunderschönes Zentrum zu entwickeln – es hat nur den Nachteil, dass es aus Renditegründen in den städtebaulichen Essentials immer mehr verwässert wird, je länger die Beratungen dauern. Das hängt auch mit dem Geburtsfehler zusammen, dass das Gesellschafterverhältnis unter einem massiven Übergewicht der Privaten litt. So wird Public Value massiv zurückgedrängt, am Ende zählt Profit. Die Flächen steigen, die Attraktivität sinkt. Der Eigentümer bleibt noch immer unnachgiebig beim Verkaufspreis. Anstelle des zunächst eingekauften Star-Architekten taucht plötzlich wie aus dem Nichts der schon vom Acker gejagte Billigplaner auf, der wieder seinen Flugzeugträger bauen will. Ein teuflisches Spiel. Und die Gemeinde, inzwischen finanziell klamm, steht mit dem Rücken zur Wand. Nachgeben oder städtebaulich Kante zeigen? Eine schwierige Situation. Wir entscheiden für Qualität.

5. Akt
Notbremse: Wir wollen keinen Westwall-Einkaufsbunker

Die Gemeinde will sich nicht durch pure Renditenot erpressen lassen. Schließlich haben die Bürger ein klares Votum abgegeben, haben Verwaltung und der Rat sich für Qualität entschieden. Es kommt zum Eklat. Mit der landesweiten Pressemeldung und der prägnanten Schlagzeile „Kein Westwall-Einkaufbunker in der Illinger City“ wird das konzernlastige PPP-Modell sturmreif geschossen. Roleg zieht sich zurück. Das Gebiet bleibt Sanierungsgebiet.

6. Akt
Pleite und Neubeginn

Die Finanzkrise zwingt alle Beteiligten zu neuen Überlegungen. Höll meldet Insolvenz an, die LEG-Tochter SBB kauft das Grundstück, die Öffentliche Hand hat nun das Sagen. Ein Illinger Interessent will nun investieren, da klassische Finanzanlagen nur noch wenig Rendite abwerfen und gibt sich mit 3.000 qm Verkaufsfläche zufrieden. Eine Bürgerinitiative will den alten Brauereiturm erhalten und zum „Leuchtturm“ machen. Das kostet Geld.
Mit dem Bundes-Forschungsprojekt ExWost Innovative Innenstädte, dem Zuschussprogramm Aktive Stadt- und Ortsteilzentren und mit Hilfe der Städtebauförderung wird unter Beteiligung der Bevölkerung ein Modell mit vier Szenarien entwickelt: Im günstigsten Fall erwirbt der Private, reißt Ruinen ab, investiert und baut. Durch städtebaulichen Vertrag werden die essentiellen Vorstellungen der Kommune gesichert. Im wahrscheinlicheren zweiten Fall kooperieren Investor, Kommune und Landes-SBB sowie Städtebauförderung, um mit Hilfe eines Vorhabenbezogenen Bebauungsplans ein Kooperationsprojekt mit getrennten Einflusssphären abzuwickeln. In einem möglichen dritten, innovativen Fall werden Bürger und private Dritte beteiligt, um weitere Flächen zu erschließen. Gedacht ist an eine Mischung aus Einkaufen, Dienstleistungen, Gastronomie und barrierefreiem Wohnen.
Falls alle Anstrengungen mangels ausreichender Wirtschaftlichkeit für den Investor scheitern, gründen SBB und Gemeinde eine gemeinsame Gesellschaft, um das Gelände nach Abriss der Ruinen und Ordnungs-maßnahmen schrittweise zu entwickeln. Profitable Einzelbereiche sind in jedem Fall zu generieren. Es käme zu einer kleinen Lösung mit modularer Erweiterungsmöglichkeit. Im Dezember wird eine Vor-Ort-Ideenwerkstatt mit einem Büro, das nicht zu den üblichen Verdächtigen im Raum Saar-Rheinland-Pfalz-Hessen gehört, die Bevölkerung hoffentlich mobilisieren. Wir waren noch nie so weit wie heute.

Epilog
Lehren

Es gab nie Stillstand. Das ist wichtig. Und wir haben eine Weiterentwicklung der städtebaulichen Förderinstrumente einerseits und der Kooperationsmöglichkeiten andererseits erlebt.
Ungeachtet dessen sind die Instrumente für eine nachhaltige Stadtökonomie unter den Bedingungen der Schrumpfung, des demographischen Umbruchs und des Klimawandels noch lange nicht ausreichend. Gerade in Zeiten, in denen die Kommunen unter massivem Spardruck und unter der Schuldenbremse leiden, wäre es notwendig, auf Bundes- und Landesebene alternative Förderinstrumente zu beschließen.
Es ist nicht mehr als recht und billig, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen und stattdessen einen Nachhaltigkeitsfonds für Modelle partizipativer Stadtentwicklung aufzulegen. Die Mittel wären sinnvoll eingesetzt, die Kooperation von Kommune, Unternehmen und Stakeholdern würde institutionell gefördert und damit gestärkt, die wachsenden Leerstandsprobleme mit Industriebrachen und Hausleerständen wären damit zumindest annäherungsweise in den Griff zu bekommen.
Ebenfalls wünschenswert wäre ein steuerliches Förderinstrument zu nachhaltigen Stadtentwicklung– analog zur Eigenheimförderung früherer Jahrzehnte: Wer in Städtebau und Nachhaltigkeit investiert sollte erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten auch außerhalb der Sanierungsgebiete erhalten.
Darüber hinaus muss kommunalaufsichtlich die wirtschaftliche Kooperation von Kommunen mit Privaten wieder erleichtert werden. Die Vorherrschaft der reinen Marktlehre muss gebrochen und durch einen Public-Value-Ansatz er-setzt werden. Darüber hinaus sind in jedem Prozess höchst individuelle Erfolgsfaktoren wirksam.
Die wichtigsten Erfolgskriterien sind:
Mut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen und neue Wege zu gehen,
die Kraft, Nein zu sagen und die hinauszuwerfen, die sich nicht an Absprachen halten,
Geduld, auch zähe Prozesse am Laufe zu halten,
hohe Qualitätsansprüche,
klare Vorstellungen der Kommune,
erstklassige Planer,
hoffnungsvolle Partner,
gute rechtliche Grundlagen,
schlüssige lokale Entwicklungskonzepte,
das Vertrauen von Partnern,
die Beteiligung an Forschungsprogrammen mit überregionalem Coaching,
Vernetzung und Corporate Social Responsibility,
die Bereitschaft, parteipolitische Kleinkriege zu beenden und an einem Strang zu ziehen,
Transparenz, Offenheit, Bürgernähe,
die Fähigkeit zur Resilienz – immer wieder aufzustehen, wenn wir am Boden lagen („Du darfst nie aufgeben!“)
und ein Verwaltungschef, der immer dann den Kopf hinhält, wenn’s schwierig wird, der sich auch Prügel abholt für alle, der aber auch bereit ist, immer wieder neu zu motivieren und zu mobilisieren.
Wir schaffen das. Ich war mir noch nie so sicher. Ein himmlisches Gefühl in einem manchmal teuflischen Spiel.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann hoffen sie noch heute.

Referenzen:

Brune, Walter / Junker, Rolf / Pump-Uhlmann, Holger: Angriff auf die City. Kritische Texte zur Konzeption, Planung und Wirkung von integrierten und nicht integrierten Shopping-Centern in zentralen Lagen. 2006, Düsseldorf: Droste.
Durth, Werner: Die Inszenierung der Alltagswelt, 1977, S.143.
Kirstein, Roland / Schmidtchen, Dieter: „Wie die ‚unsichtbare Hand‘ funktioniert. Gewinnmaximierung als Triebfeder der Effizienz – Ein ‚classroom-experiment‘“, in Magazin Forschung, Ausgabe 1, 2001, S. 57.
Hill, Hermann: Kommunen im wirtschaftlichen Wettbewerb unter veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen,1999, S.127 ff.
König, Armin: Bürger und Demographie. Partizipative Entwicklungsplanung für Gemeinden im demographischen Wandel. 2011, Merzig: Gollenstein.
Shleifer, Andrei / Vishny Robert W.: The Grabbing Hand: Government Pathologies and Their Cure, 2002. Cambridge: Harvard University Press

Armin König

• Vortrag, gehalten an der TU Kaiserslautern bei der Fachtagung „Städtebauliche Planung in Zeiten leerer Kassen – Potenziale für eine nachhaltige Stadtökonomie“ (Prof. Dr. Willy Spannowsky)

Dr. Armin König ist seit 1996 Bürgermeister der Gemeinde Illingen. Er ist Verwaltungswissenschaftler und Demografieexperte und unterrichtet als Dozent an der FHSV. Er ist Mitglied der KGSt-Arbeitsgruppen „Bürgergemeinde“ und „Demographie“ und des KPV-Bundesfachausschusses für Finanzen.