Armin König

Wer fährt schon nach Lippstadt mit der Bahn? Ein Roadmovie auf Schienen

WARNUNG – ES FOLGT EIN SEHR LANGER ERZÄHLTEXT. ABER KÜRZER GING NICHT. ROADMOVIE MIT DER DEUTSCHEN BAHN. DAS KANN DAUERN „smile“-Emoticon

Von Lippstadt nach Illingen mit der Bahn

Um 13:53 Uhr war die Welt für mich noch in Ordnung. Ich hatte einen fröhlichen Ideenwerkstatt-Vortrag beim 23. Kongress Städtebaulicher Denkmalschutz gehalten, Fragen beantwortet, mit Experten diskutiert und stand nun mit meinem Köfferchen am Bahnsteig 1 in Lippstadt.

Eigentlich sollte Punkt 13:53 Uhr der Regionalexpress einlaufen.

Doch statt des angekündigten NRW-Regionalexpress RE 1 fuhr in gemächlichem Tempo ein nicht enden wollender Güterzug mit vielen neuen Audis durch den kleinen Bahnhof Lippstadt. Das war schön anzusehen, insbesondere für Freunde schöner deutscher Kfz-Wertarbeit, verkürzte aber schon in diesem Moment die vorgesehene Umsteigzeit im Kölner Hauptbahnhof von 8 auf 3 Minuten. Wobei die DB die Route ausgesucht hatte – sowohl auf der Webseite, als auch in der DB-Handy-App.

Um 13:58 fuhr der reservierte RE 1 mit leichter Verspätung im Bahnsteig ein, um 13:59 Uhr schlossen sich die Türen. Damit verkürzte sich die Umsteigezeit auf zwei Minuten. Das geht nie auf, dachte ich Kleingläubiger.

Der NRW-Express nahm Fahrt auf, und ein Blick aus dem Fenster zeigte den Reisenden, dass der Güterzug mit den vielen Audis, der gerade das Gleis blockiert und die Umsteigezeit reduziert hatte, nun auf einem Abstellgleis hinter dem Lippstädter Bahnhof stand und wartete, dass er irgendwann wieder einen Bahnhof weiter fahren durfte. Da die Geheimnisse der DB-Logistik niemand versteht, machte ich mir zwar meine Gedanken, schloss dann aber den Kopfhörer ans Handy, um Musik zu hören, um nicht an Logistik-Durcheinander und Chaospläne denken zu müssen.

Immerhin erschien der Zugbegleiter, nachdem er zwei, drei Fahrschein-Probleme kulant gelöst hatte, frühzeitig. Auf die Frage, wie es denn mit den sehr reduzierten Umsteigezeiten in Köln aussehe, antwortete er locker: „Ach wissen Sie, bis Köln ist es noch weit. Das holen wir locker auf.“

Es folgten all die Ruhrgebiets-Schönheiten wie Soest, Hamm, Kamen, Dortmund mit betriebsbedingten Langsamfahrphasen. Die Verspätung war inzwischen auf 12 Minuten angewachsen, der freundlich-optimistische Zugbegleiter ließ sich nicht mehr blicken. Suchen konnte man ihn nicht, wollte man nicht im vollbesetzten Zug den Verlust des Sitzplatzes und gegebenenfalls des Köfferchens riskieren.

Wenn gerade mal eine ordentliche Handyverbindung zustande kam, stöberte ich also sicherheitshalber in meiner DB-App, die inzwischen meldete, der vorgesehene ICE werde „vielleicht in Köln nicht erreicht“. Mittlerweile war es 15:19, statt Duisburg wurde gerade Wattenscheid erreicht, der Zug hatte nun 19 Minuten Verspätung.

Die DB-App empfahl mir, entweder in Düsseldorf auszusteigen und in einen ICE umzusteigen oder bis Köln-Deutz/Messe zu fahren und anstelle des ICE 17 nach Frankfurt Main Flughafen den ICE 201 nach Basel zu nehmen und in Mannheim statt am Flughafen Frankfurt umzusteigen. Alles verstanden?, Alles verstanden. Aber das soll mal jemand verstehen, der keine App hat oder selten Zug fährt. Sehnsüchtig erinnerte ich mich an den Lok-freundlichen Zugbegleiter, der noch in Lippstadt frohgemut verkündet hatte: „Das holen wir locker auf.“ Bei aller Sehnsucht blieb er verschollen.

Düsseldorf flog vorüber, ich war nicht ausgestiegen, Leverkusen kam ins Visier. Ein suchender Blick aus dem Fenster: draußen am Bahnsteig war der Weg zur Bayer-Arena gewiesen, die App zeigte nun endgültig: „Sie werden Ihren vorgesehenen Anschluss nicht erreichen.“ Stattdessen empfahl die DB-App nun „aktuelle Alternativen“. Ging aber nicht über Köln Hbf, sondern nur über Köln Deutz Messe. Gut gelaunt und abenteuerlustig verließ ich den Zug in Köln-Deutz.

Von ferne waren die Türme des Doms zu sehen, und ich Ortsunkundiger machte mich auf den Weg, um Gleis 11 in einem Bahnhof zu suchen, den ich noch nie gesehen, geschweige denn besucht oder begangen hatte. Tatsächlich wurde ich fündig, mit vielen anderen Umsteigern: Gleis 11.

Dort aber stand, oh Wunder, noch der ICE 725 nach Frankfurter Flughafen auf der Anzeigetafel, der zwar um 17:44 Uhr abfahren sollte – es war jetzt 17:35 Uhr -, aber laut Anzeigetafel 20 Minuten Verspätung hatte, während der ICE 201 um 17:55 Uhr losdüsen sollte, von dem aber niemand wusste, ob er denn pünktlich oder überhaupt und wenn ja auf diesem Gleis erscheinen würde. Alles verstanden? Nöö.

Nix kapiert. Deutsche Bahn.

Fragen über Fragen und keine Antworten, denn da war kein freundlicher DB-Service-Mitarbeiter, keine große Anzeigentafel, nur ein kleines Display, das aber nur die vielen Kölner Züge bis 17:44 anzeigte und nichts darüber hinaus.

Derweil strömten nun massenhaft die Fahrgäste zweier ICEs auf Bahnsteig 11: die des verspäteten ICE 725 und die des noch nicht auf der Anzeigentafel erschienenen (weil da ja kein Platz war) ICE 201. Niemand wusste von nichts, alle tippten in irgendwelche Smartphones. Hin und wieder ertönten Lautsprecherdurchsagen, dass der ICE 725 wegen einer Störung 20 Minuten später eintreffen würde. Und zwar aus Gleis 11 in Köln Messe/Deutz. Mehr erfuhr niemand, alles blieb im Ungefähren. Ungefahren? Abgefahren? Ohne Gefahren? Bahngefahren?

Ach was. Man hat schließlich eine Holschuld als Bahnreisender.

So machte ich mich auf Wunsch anderer Reisender auf die Suche nach einer offiziellen DB-Information, fand sie auch, ließ mir erklären, dass beide Züge „aus Gleis 11“ fahren würden, erst der reguläre, der noch nicht verspätet sei, weil er ja erst losgefahren sei, dann der verspätete. Leider ließ ich Unwissender mir nicht bestätigen, dass mein Ursprungszug verspätet war und dass ich meine Umsteigemöglichkeiten wegen Verspätung nicht nutzen konnte. Das sollte noch Folgen haben, denn ich hatte Sparpreis gebucht – mit Zugbindung.

Der ICE 201 mit Halt in Frankfurt Flughafen lief tatsächlich pünktlich ein, angesichts des Chaos stürmten die Reisenden in Massen (in) diesen Zug, auch wenn sie den planmäßig früheren und jetzt später vorgesehenen ICE gebucht hatten, was man verstehen kann, wenn das Reiseziel Flughafen ist. Man kann ja nie wissen, ob das Bahn-Gefährt überhaupt kommt, bevor der Flieger abhebt.

Glücklicherweise fand ich einen Platz neben einer jungen Dame mit Hut, die gerade aus den Ferien kam – was ebenfalls noch Bedeutung haben sollte.

Denn der junge, forsche Zugbegleiter, der sich (mit jungen Damen flirtend) durch den überfüllten Zug bewegte, zeigte mir als älterem Herrn und der zufällig neben mir sitzenden Dame mit Hut nun einmal, was eine Kontrolle ist, wenn man einen älteren Herrn stramm sitzen lässt. Wie ich denn dazu komme, diesen ICE 201 zu nehmen. Ich hätte doch Sparpreis für den ICE 17 gebucht und könne doch nun nicht hier Platz nehmen. Zaghaft meinte ich, der ich sonst eher selbstsicherer auftrete, aber der RE 1 habe doch 20 Minuten Verspätung gehabt, und die von der Bahn vorgeschlagene Verbindung sei definitiv nicht mehr zu erreichen gewesen und die DB-App habe sogar vorgeschlagen, den nun erreichten ICE 725 auch tatsächlich zu nehmen – und zwar ab Deutz und nicht ab Köln Hbf. Und ich hätte doch nun nur einen anderen ICE gewählt, der mich über Umwege ans Ziel bringe.

Allerdings meinte der forsche Zugbegleiter, das könne ja jeder behaupten, und er könne ja nicht jede Verspätung wissen und überhaupt hätte der Herr Reisende sich in Deutz die Verspätung bescheinigen lassen müssen, damit er, der Zugbegleiter, nun definitiv wisse, dass der Reisende nicht aus freien Stücken einfach einen anderen ICE genommen hatte. Er habe schon einmal einen solchen Fall gehabt, und sein Zugchef habe ihm geraten, genau so vorzugehen, wie er dies jetzt tue. Das saß. Er könne nun 60 Euro verlangen. Was er aber nicht tue.

Gnädig, der junge Herr. Gibt es nicht so einen Buchtitel:? Der junge Herr Gnädig?

Nach diesem bemerkenswerten Stück Kundenfreundlichkeit habe ich Armer dem Zeitpunkt nachgeweint, als ich guten Gewissens eine Bahncard gekauft und beschlossen hatte, öfter die Bahn zu nehmen statt des Autos. Wegen der Ökologie.

Ich bekam nach der Standpauke dann doch noch anstandslos meinen Zangenabdruck (Vermutlich musste es doch mal gesagt werden). Es war aber auch wirklich eng und stressig für die Reisenden und den Zugbegleiter, der sich noch den Scherz gegenüber der Dame erlaubt, von wegen Handynummer, aber so eng wollen wir das nicht sehen, denn derweil tönte aus den Lautsprecher, dass zwei der ICE-Wagen wegen Ausfalls der Klimaanlage nicht benutzt werden könnten. So taten mir denn alle schwitzenden ICE-Ölsardinenbewohner ziemlich leid.

Der Zugbegleiter war dann bis Mannheim nicht mehr zu sehen, sein Zugchef schon gar nicht. Dafür telefonierte ein Mitarbeiter eines Automatenherstellers (Gauselmann?) mit seinem Handy so empathisch und phonstark, dass das gesamt überfüllte Abteil mithören durfte, wie geil sein letzter Geschäfts-Abschluss gewesen sei und dass er hoffe, dass „Apple das trotz der vielen Telefonunterbrechungen mit den vielen Tunnels“ bis Frankfurt Flughafen „ durchwinke“ und dass er den Abend dann gemütlich chillend ausklingen lassen könnte.

Als ich in Mannheim müde und kaputt ausstieg, stellte ich fest, dass ich ihm RUHEBEREICH des ICE-Zuges mit dem Aufkleber „Psst“ gesessen hatte.

Fazit: Ich habe Situationen erlebt, die ich mich nicht hätte träumen lassen, ich hatte Probleme bewältigt, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Aber keine Angst: Ich werde der Deutschen Bahn wieder eine Chance geben. Irgendwann muss es doch klappen…