Armin König

Ein Präsident wird gewählt

Was ist das eigentlich für eine absurde Diskussion über die moralischen Qualitäten eines Präsidentschaftskandidaten oder einer Präsidentschaftskandidatin in der Bundesrepublik Deutschland? Warum lassen wir uns diese Diskussion von interessierter Seite aufzwingen?

Es mag sein, dass das Ende der Präsidentschaft von Christian Wulff diese unselige Diskussion beflügelt hat – abwegig ist sie trotzdem. Dieses Land sucht keinen Moralapostel und keine(n) Heilige(n), sondern eine integre Persönlichkeit, die die politisch und verfassungsrechtlich definierten Aufgaben eines Staatsoberhaupts repräsentativ ausfüllt. Intellektuelle und rhetorische Brillanz sind wünschenswert, aber nicht zwingend. Da Präsidenten in Deutschland vor allem durch Reden wirken, sollte diese Kompetenz allerdings vorhanden sein. Der Kontrast zwischen Richard von Weizsäcker und Christian Wulff oder Horst Köhler gibt Hinweise darauf, was ich meine.

Politische Verständnis ist ebenfalls von Vorteil in einem politischen Amt. Auch da ist der Hinweis auf Köhler wieder angebracht.

Und schließlich ist persönliche Integrität eine zentrale Voraussetzung.

Dazu gehört selbstverständlich, dass die Persönlichkeit, die zur Wahl steht, keine „Leichen im Keller“ hat, die rechtlich oder politisch relevant sind (z.B. Korruption, Stasi-Mitgliedschaft, Extremismus, Spitzeltätigkeit o.ä.). Dazu gehören aber nicht lässliche politische Sünden, die inzwischen verjährt,  durch Entschuldigungen erledigt oder mittlerweile irrelevant sind. So würde ich auch Margot Käßmanns einstige Alkoholfahrt zu den verjährten lässlichen Sünden zählen. „So etwas“ soll nicht passieren, ist aber passiert und gebüßt. Ad acta!

Wohin es führt, wenn politische Auswahlverfahren moralisch und privat aufgeladen werden, sehen wir in den USA, wo in jedem Wahlkampf Kandidaten „abgeschossen“ werden, obwohl es politisch nicht zwingend wäre. Die so genannten Moralansprüche sind Mittel zum Zweck für politische Konkurrenten, um lästige Gegner loszuwerden.

Und zuweilen sind sie auch Mittel zum Zweck einer Medienindustrie, die damit Auflage und Quote macht. Auch hier übernehmen wir Deutschen zunehmend US-Maßstäbe, obwohl dies nicht zielführend ist. Da war mir die alte rheinisch-katholische Bundesrepublik zehnmal lieber.

Nicht zuletzt ist die moralische Aufladung von Wahlen auch Mittel zum Zweck, um von eigentlichen Skandalen, Gerechtigkeitslücken, Steuerflucht, Armut, Einkommensverteilung und ähnlichen wichtigen Fragen abzulenken. Es ist vielleicht der wichtigste Aspekt in dieser Diskussion. Wir sollten nicht über die Medienindustrie die Amerikanisierung der Politik akzeptieren. Personalisierung und Skandalisierung ersetzen aber auch in Deutschland zunehmend ernsthafte politische Debatten über wichtige gesellschaftliche Themen.

Nicht zuletzt hat die Moralisierung der Politik den Nebeneffekt, dass talentierte Quereinsteiger oder Nachwuchspolitiker abgeschreckt oder abgesägt werden können.

Politiker sind ein Querschnitt der Bevölkerung. Sie repräsentieren das Volk mit all seinen Fehlern und Schwächen. Sie sind aber keine Heiligen. Und sie sind fehlbar. Was wäre das für ein abenteuerliches Parlament, in dem nur Heilige und Scheinheilige säßen. Ich will damit nicht sagen, dass private Fragen bei der Kandidatenfindung keine Rolle spielen dürfen. Wenn einer drei, vier gescheiterte Ehen vorzuweisen hat, kann dies Ausdruck eines Verhaltens sein, das auch politisch relevant ist.

Alles Andere aber ist politisch zu entscheiden. Denn das Präsidentenamt ist das höchste politische Amt, das Deutschland zu vergeben hat. Das höchste moralische Amt wird derzeit durch einen deutschen Papst besetzt. Wir haben keinen Papst zu wählen.

Für mich sind Joachim Gauck, Klaus Töpfer, Kathrin Göring-Eckardt, Andreas Voßkuhle allesamt wählbar.

Dass es jetzt Gauck werden soll, und dass er vermutlich der Kandidat einer breiten parlamentarischen Mehrheit wird, ist eine gute Nachricht.

Gauck ist integer, kann reden und hat politisches Verständnis. Er redet nicht jedem nach dem Mund und hat Maßstäbe in Sachen Zivilcourage gesetzt.

Eine wichtige Vorentscheidung an diesem 19. Februar 2012.

Zeit für die Kraft des Integrativen. Gauck wird sie haben. Wir werden sie brauchen, diese Kraft.