Eine Gesellschaft stand nahezu still. Für zwei, drei Tage herrschte blankes Entsetzen im Land. „Wie konnte das geschehen?“ fragen Menschen, die ansonsten mit sich und ihren Problemen, ihren Prioritäten und Banalitäten mehr als beschäftigt sind. Im schwäbischen Winnenden hat ein 17jähriger Schüler in einem Amoklauf 16 Menschen hingerichtet. Die Tat ist nicht zu verstehen. Und doch werden Erklärungen versucht: Brauchen wir mehr Gewaltprävention für Kinder? Brauchen wir mehr Schulpsychologen? Haben unsere Pädagogen versagt? – eine inzwischen gern genommene Variante der Gesellschaftskritik, in der das Abwatschen von Pädagogen zum Volkssport geworden ist. Ich halte nichts davon, die Schule als solche oder die Lehrerinnen und Lehrer zu kritisieren. Sie haben diese Kritik nicht verdient. Unser Bildungssystem ist schließlich nur ein Abbild der Gesellschaft und ihrer Probleme. Die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat am Wochenende eine ganzseitige Besprechung eines Buchs veröffentlicht, in dem Joachim Gaertner den Amoklauf im amerikanischen Columbine 1999 rekonstruiert aus Selbstzeugnissen der jugendlichen Täter. Das Buch trägt den Titel „Ich bin voller Hass – und das liebe ich“. In Leipzig auf der Buchmesse ist in der letzten Woche ein Buch des Franzosen Daniel Pennac vorgestellt worden, das den Titel „Schulkummer“ trägt. Es trägt immerhin den Untertitel „Aber es gibt keinen hoffnungslosen Fall“.
Der Lehrer und Schriftsteller sieht ein großes Problem der Schule und des Unterrichts. Es ist die Angst: „Jedenfalls war die Angst tatsächlich das große Thema meiner Schuljahre – eine gigantische Barriere. Weshalb mir später, als Lehrer, nichts dringlicher war, als meine Schüler von der Angst zu heilen – damit die Barrieren eingerissen würden und das Wissen einströmen könnte“. Seit drei, vier Jahren versuchen auch wir als Gemeinde, Kinder zu ermutigen und den Eltern und den Lehrern Hilfen anzubieten, um Ängste zu vermeiden oder abzubauen. Am Freitag veranstalten wir in der Illipse einen großen Bildungskongress mit bundesweiter Ausstrahlung, bei dem unter anderem Prof. Dr. mult. Wassilio Fthenakis von der Uni Bremen, Prof. Dr. Elsbeth Krieg von der FH Hannover, Dr. Christa Preissing von der Freien Universität Berlin und Bildungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer referieren. 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ganzen Saarland haben sich bereits angemeldet. Es geht darum, Übergänge zwischen Kindertagesstätte und Grundschule zu erleichtern und das Feuer der Bildung an Kinder weiterzugeben. Damit wollen wir für unser Projekt in Hüttigweiler („Haus der Kinder“) auch ein pädagogisches Fundament erstellen. Weil wir Bildung ernst nehmen und als zentrales Thema behandeln. Wir sind als Gemeinde seit Jahren Trendsetterin. Wir wollen helfen, „Blockaden aufzusprengen, alte Gewohnheiten aufzugeben, neue Netzwerke zu schaffen, um Übergänge zu erleichtern“. Mein eigenes Referat steht unter dem Titel „Die Verantwortung des Staates für die Erziehung des Menschengeschlechts – gibt’s die?“- in Anlehnung an den großen deutschen Aufklärer und Schriftsteller Lessing. Wir sind der Meinung, dass der Staat tatsächlich diese Verantwortung hat. Aber der Staat – sei es die Kommune, der Kreis oder das Land – kann nicht die Aufgabe der Eltern, der Familie übernehmen. Das überfordert ihn, das ist auch nicht seine Funktion.
Daniel Pennac warnt davor, alles auf die gesellschaftlichen Probleme zu schieben, auf die Arbeitslosigkeit, die Ausgegrenztheiten, den Marken-Terror, unter den manche Eltern sich gesetzt sehen (wir haben uns dem übrigens nie gebeugt), die Gewalt- und Ballerspiele. Pennac hat einen schönen Satz geschrieben: „Hüten wir uns davor, das Einzige zu unterschätzen, worauf wir persönlich einen Einfluss haben und das so alt ist wie das Lehren und Lernen selbst: die Einsamkeit und die Scham des Schülers, der nichts versteht, während um ihn herum alle zu verstehen scheinen“. „Schulkummer“, so schreibt Christian Geyer, „ist ein Buch gegen Ohnmachtsgefühle, es bekräftigt im humanistischen Sinne die persönliche Verantwortung“. Wir wollen einen kleinen Beitrag dazu leisten. Aber Wunder können auch wir nicht vollbringen. Bei aller Verantwortung, die wir übernehmen, können wir die Eltern, die Erzieherinnen und Erzieher, die Lehrerinnen und Lehrer doch nicht aus ihrer ganz persönlichen Verantwortung entlassen. Vielleicht müssen wir nur unsere Prioritäten verändern. „Alles, was uns groß und wichtig erscheint, wird plötzlich nichtig und klein“, singt Reinhard Mey – nicht über den Wolken, sondern angesichts existenzieller Fragen. „Es gibt nichts, was ihr hättet tun können“, heißt es im Buch über den Columbine-Amoklauf. Das glaube ich nicht. Wir können doch etwas tun: Kinder ernst nehmen, auf ihre Ängste eingehen, ihnen die Einsamkeit nehmen und dabei den Rahmen für gute Erziehung bieten. Das ist mehr als genug. Vielleicht kann unser 1. Bildungskongress am Freitag in der Illipse ein klein wenig dazu beitragen, Kindern die Angst bei Übergängen zu nehmen. Wir hoffen auf einen erfolgreichen Kongress.