Armin König

Ziemlich beste Freunde

Wir haben in den letzten 20 Jahren ziemlich viel gelernt. Zum Beispiel, wie man politisch korrekt mit Menschen mit Behinderung umgeht. Wir haben gelernt, dass Integration nicht reicht, obwohl es im richtigen Leben nicht einmal die gibt – und glaubt mir: ich weiß als „betroffener Elternteil“ (schon diese Betroffenheit!), wovon ich rede -, dass aus der Integration nun die Inklusion werden muss, und dass wir nun alle barrierefrei denken und handeln und dass wir alle korrekt und lieb zueinander sind, außer wenn es um Arbeitsstellen und viele andere Dinge geht. Und vor allem müssen wir immer die richtigen Wörter sagen.

Und dann kommt dieser irrwitzige französische Film daher und sagt uns: Leute, kein Mitleid, sondern Leben! Und plötzlich hat man „Ziemlich beste Freunde“, und es ist einer der schönsten Filme, die ich gesehen habe, und es ist voll das Leben.

Okay, die Kritiker maulen schon wieder und sagen: Aber dafür ist er dann doch wieder zu perfekt, und die Konflikte zwischen arm und reich, Bourgeois und Einwanderer, schwarz und weiß, behindert und nicht behindert wischt er allzu schnell beiseite. Und aus einem Querschnittsgelähmten wird nicht wieder der Paragliding-Sportler, der Philippe mal war.

Stimmt, was die Kritiker so schreiben.

Aber die beiden Protagonisten arrangieren sich – und bewältigen das Leben. Als ob das nichts wäre. Es ist kein Pilcher-Happy-End, kein Disney-Wunder, sondern eine bittersüße Komödie mit rasanten Szenen und schönen Wendungen.

Eine Geschichte, wie wir sie lieben: schön erzählt, gut gefilmt und gar nicht kitschig, gar nicht hollywoodig, sondern voll witzig und sehr unterhaltsam.

Das beginnt schon bei der irrwitzigen Verfolgungsfahrt durch die Straßen von Paris mit Driss und Philippe in einem Maserati Quattroporte V, und Philippe täuscht einen epileptischen Anfall vor, mit dem er Driss vor Verhaftung schützt. Es ist die Vorblende, auf die dann die Rückblende folgt.

Im Lexikon des Internationalen Film heißt es: „Charmantes Buddy-Movie mit pfiffigen Dialogen und guten Hauptdarstellern, das zwischen Komik und Sentiment balanciert und dafür plädiert, sozialen und kulturellen Differenzen nicht mit Hass, sondern mit Solidarität zu begegnen. Konzipiert als schwungvoller Wohlfühlfilm, mangelt es ihm allerdings an Glaubwürdigkeit, zumal die Konflikte und Probleme recht naiv verharmlost werden.“ (Quelle: Wikipedia)

Als ob Filme „glaubwürdig“ sein müssten! Sagen wir’s mal so: Die Schärfe fehlt, die den Themen Behinderung und Pflege durchaus eigen ist. Aber ich wollte diese Schärfe heute auch gar nicht. Ich wollte einfach nur einen schönen Film sehen, der mich berührt. Das hat er.

Neun Nominierungen für den César 2012, darunter bester Film, beste Regie, beste Hauptdarsteller (François Cluzet und Omar Sy) und beste Nebendarstellerin (Anne Le Ny) – absolut in Ordnung. Und Film ist ja nicht wirklich das Leben.

Aber gut erzählt ist er. Und gar nicht langweilig. Also rein ins Kino und anschauen! Und keine Scheu vor Menschen mit Handicap haben. Sie wollen einfach nur ernst genommen werden. Ganz normal eben.

Vermutlich sind auch wir dann: Ziemlich beste Freunde.