Armin König

Zügige Sitzung, zugiger Bahnhof, stehender Flieger und ein paar wichtige Beschlüsse

Es gibt Sitzungen, da gehst du nach Hause und denkst: war da was? Und warum war ich eigentlich da? Hätte ich mir die Sitzung nicht schenken können? Und es gibt die erfolgreichen Sitzungen, nach denen du sagst: Akzente gesetzt, etwas bewegt, wichtige Beschlüsse gefasst. Gestern war so eine Sitzung. Alles wurde gut. Dabei waren die äußeren Umstände gar nicht so berauschend.

Die Hindernisse begannen schon auf dem Saarbrücker Flughafen Ensheim. Die Tür des Fliegers war kaum geschlossen, als der Pilot uns eröffnete, dass wir jetzt noch eineinhalb Stunden warten müssten, weil in Berlin schlechtes Wetter sei: Nebel und Regen. Wenn wir Glück hätten, könnten wir einen früheren Slot erwischen. Wir hatten dann Slot-Glück wie in der Spielbank, was wohl am früheren Spielbank-Aufseher Gerd Meyer lag, der auch in der Maschine saß, und mussten nur eine Stunde bis zum Abflug in der Maschine warten. Lesenderweise verging die Zeit  im Flug, obwohl wir  standen  und dabei in der Maschine saßen. Paradox – dachten wohl auch Umweltministerin Simone Peter und Sportverbandspräsident Gerd Meyer. Derweil verteilten die Flugbegleiterinnen Laugenstangen, auf dass wir nicht ausgelaugt nach Berlin jetten mussten. Eine Grüne trank roten Tomatensaft, mir bot man als Alternative einen „O-Saft“ an, der nach Orange schmeckte. Denn ich gehöre ich zur Fraktion der Flugzeug-Tomatensaft-Verweigerer. Ich trinke das ganze Jahr über keinen Tomatensaft. Warum soll ich es ausgerechnet im Flieger?! Manche trinken ihn nur dort. Mir ist das zu wacklig, ausgerechnet diesen knallroten TomatO-Saft über den Wolken zu trinken, weil dessen Freiheit wohl grenzenlos ist, sich ungefragt auf Krawatten und Sakkos niederzulassen.

Dank O statt TomatO bin ich unfallfrei in Tegel angekommen. Ich freute mich aber zu früh.

Regenschauer erwischten uns schon beim Ausstieg kalt. „Klimawandel“, sagte Amerika-Instituts-Chef Hartmut Gimmler zu Simone Peter. Ja, von Saarbrücken nach Berlin hatte sich das Klima spürbar verschlechtert. Eigentlich meinte Gimmler das Wetter, nicht das Klima, aber KLima schreibt und spricht sich leichter als Wheather. Wär das Whässer nur bässer gewesen….

Bin dann zum Flugfeldbus gesprintet, der uns sicher zum Terminal C brachte. Anschließend dann die Treppe hochgerannt, um noch einen X-Bus in die City zu erreichen, nachdem ich zuvor ein Tagesticket für sechfuffzich gelöst hatte. Ist immer empfehlenswert in Berlin, so’n Tagesticket. Habe bequem neben Schweden gesessen, die sich gegenseitig im Bus fotografierten. Gab ja auch sonst nix zu sehen, weil der Himmel so grau war. Am Bahnhof Zoo war Sense, Ende, Feierabend. Und das morgens um neun. Bin in die S-Bahn umgestiegen und zügig bis Hauptbahnhof gefahren. War zugig dort, obwohl wenig Züge dort fuhren oder standen. Habe dann zügig zugigen Hauptbahnhof von von Gerkan, Marg und Partner ganz ohne Partnerin oder Partner durchquert, um erstmals die Kanzler-U-Bahn zum Brandenburger Tor zu benutzen. War sehr neu, sehr leer, sehr flott am Ziel. Waren ja nur zwei Stationen. Zweieinhalb Minuten. Für lau. Wegen Tagesticket. 320 Millionen Euro soll das gute Stück Bahn gekostet haben, steht auf SPON unter dem Titel Drei-Minuten-Fahrt unterm Regierungsviertel.  Jedenfalls war es das schönste und sauberste Stück U-Bahn, das ich in Berlin je gefahren bin, und ich bin schon oft U-Bahn gefahren. Marmor-Anmutung und güldene Lettern – das passt zum Regierungsviertel. Obwohl: Man sagte uns im Reichstag, dass kein Bundestagsabgeordneter diese Linie benutze. Und die Kanzlerin auch nicht. Wegen der Sicherheit, was sich rund um den Reichstag bestätigte, wo weiträumig abgesperrt war. Die goldenen Buchstaben entschädigten für den grauen Himmel und das Sau-Wetter. Ich trug ein leichtes schwarzes Sommersakko, derweil der feuchte Wind den schnellen Weg durch mein leichtes Sommerhemd suchte und fand. Ach, ich habe schon schönere Sommertage in Berlin erlebt. Und während ich noch den Besuchereingang West suchte, geriet mein Daumen auf den Knopf meines knirpsähnlichen Leichtschirms, was er (der Daumen) besser nicht getan hätte, weil der Schirm sich mit einem Ruck zusammenfaltete und das ganze Regen-Wasser über meinen Schopf, das leichte Sommersakko und das noch leichtere Sommerhemd entlud.

So konnte ich nun erst einmal wirklich nicht zu meiner Sitzung. Also suchte ich Schutz und Trocknung in der Akademie der Künste. Aber die Akademie bot mir weder Schutz noch Schirm noch Trocknung, was schon viele Künstler auf ihre Weise erlebt haben, da montags Ausstellungen und Buchhandlung und Sarah Wiener geschlossen bleiben. Nach kurzem Blick über die architektonisch eleganten, aber unpraktischen Akademie-Brücken-Treppen entschloss ich mich, wieder nach draußen zu gehen, durch allerlei Pfützen zum nächsten Souvenirladen zu waten, um mich dort trocknen zu lassen. Ich muss mich wohl eine Viertelstunde dort aufgehalten und alle Buch- und Kartendeckel zwanzigmal betrachtet haben, bevor ich mich zum Reichstag und von dort zum Marie-Elisabeth-Lüders-Haus begab, wo wir mit mehr als einem Dutzend kommunalen Finanzexperten Einlass begehrten. Auf der gegenüberliegenden Seite sahen wir eine überdimensionale Waschmaschine, die auf Berlinerisch auch so heißt und Angies Kanzlerbungalow beherbergt. Klar, dass ich davon ein iPhoto schießen musste. Und niemand hat den Schuss pariert, was ohnehin ein Zeichen dieser schwarz-gelben Koalition ist, aber das ist wieder ein zu weites Feld, hätte der alte Fontane gesagt, der ja sowieso ein Brandenburger war und kein Berliner. Erstaunlicherweise erwies sich auch der Westeingang des Marie-Elisabeht-Lüders-Hauses als zugig, obwohl dort keine Züge fahren noch je gefahren sind – allenfalls ein paar Pferdedroschken in grauer Vorzeit. Im grauen Jetzt aber rauschten nur ein paar Busse ziemlich busy borüber – und megawichtige Politiker, wenngleich ich keinen von ihnen kannte. Jedenfalls trugen sie alle diesen wichtigen Gesichtsausdruck, der ihnen einen Hauch von Unantastbarkeit verleiht. Selbst ihre Hiwis und Zivis tragen ihn schon. Nur ein Netzpolitiker schaute grimmig-normal, alldieweil er sich auf den Weg zur Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft begab, die an jenem Morgen noch manche Überraschung, ein bisschen Chaos, eine überstürzte Vertagung und viel Frust auslösen sollte. Ich sah es dem Gesicht des Netzaktivisten an. Aber es juckte mich nicht. Ich war ja begossen vom Berliner Schnürlregen und meinem knirpsähnlichen Leichtschirm.

 

Trotzdem war ich guter Laune, weil wir doch schließlich in der besten aller möglichen Welten leben. Alles wird gut, dachte ich mir, wenngleich ich schon bald wieder zum Zweifeln animiniert wurde. Zeit der Aufklärung, dachte ich. Okay, die Aufklärer oder Aufpasser im Sicherheitskasten hatten ihre eigene Aufklärungsvorstellung: Wir mussten unsere Führerscheine abgeben. Dabei hatten wir weder Tomatensaft noch Aloholisches getrunken und keinen Unfall gebaut. Für den Besucherausweis benötige man den Führerschein, klärte man uns auf. Personalausweise dürften dafür nicht mehr genutzt werden.

Zehn Minuten später saßen wir tatsächlich in einem der Sitzungssäle des Marie-Eleisabeth-Lüders-Hauses und konferierten über Wesentliches.

 

zunächst beerdigten wir einen Untoten. Es gibt noch immer Politiker, die im Sinne der Marktliberalen die Gewerbesteuer abschaffen und durch einen kommunalen Zuschlag zur Einkommenssteuer ersetzen wollen. Zwar hatten Schäuble und Merkel den Plan längst aufgegeben, aber ein Häuflein Renitenter in FDP und Union wollte das Thema weiter spielen. Wir – der Finanzausschuss der Kommunalpolitischen Vereinigung – beerdigten den Untoten schließlch dritter Klasse. Bis 2013 wird er nicht mehr auferstehen. Es sei denn, ein paar falsche Doktoren bringen ihn via Brüssel wieder aus der Versenkung ans Tageslicht. Mit solchen Billardspielern, die über Band karambolieren, muss man in dieser Koalition des Vertrauens immer rechnen.

Nach diesem wesentlichen Zweidrittel-Beschluss gegen die Abschaffung der Gewerbesteuer und den Einkommensteuerzuschlag und die Verlagerung von Lasten von der Wirtschaft aufs Volk entzauberten wir auch die Steuergeschenksversprechungen. Wozu solche Schuldengeschenke, wenn die Kommunen unter milliardenschweren Kassenkrediten ächzen und die Kultur in diversen Großstädten vor dem Zusammenbruch steht?! Was brauchen wir Kultur, tönen die freien Marktradikalen, die alles in Heller und Pfenning und Euro bilanzieren, dabei aber das Eigentliche vergessen, was das Leben erst lebenswert macht. Auch in dieser Frage waren wir einig – Nordlichter wie Bayern, Saarländer und Ossis.

Nachdem wir schließlich noch Insiderwissen über Bankenrankings erfahren haben, ahnten wir, dass nix Besseres nachkommt und dass wir schon bald griechisch-römisch mit dem Bund und den Ländern ringen müssen, um unsere Zukunft zu sichern. Zugig war die Sitzung zu Ende. Wir hatten viel erreicht, und es war leicht.  Wir tauschten noch Visitenkarten aus, lobten uns gegenseitig, um schließlich – nach Verspeisung einer echt Berliner Currywurst mit Coke – via Kanzler-U-Bahn, einen zugigen Hauptbahnhof, einen lärmigen Bahnhof Zoo und einen rasanten TXL-Bus via „Otto Lilienthal“ den Heimflug anzutreten. Diesmal stand der Flieger nicht, sondern flog rechtzeitig… über den Wolken sang Reinhard Mey den Song, dass Freiheit wohl grenzenlos sein müsse. Vor mir nippte die Umweltministerin an einem Tomatensaft, während mein Hintermann ein kostenpflichtiges Bier orderte.

Hart landeten wir in Jamaicaland, was wohl weniger mit der hitzigen Ensheimer Rollbahn als mit den harten saarländischen Realitäten  zusammenhing. Sonne empfing uns, und wieder einmal wusste ich: Ick bin kein Berliner.

Ich bin e eschder Saarlänner. Ihlinger.

Und ich liebe dieses Land, allen Plattmachern zu Trotz.