Das Bundesverwaltungsgericht hat am 31.Januar 2013 ein wegweisendes Urteil gesprochen:
Das dürfte auch für die finanziell Not leidenden saarländischen Kommunen von erheblicher Bedeutung sein. Nach Einschätzung des Verfassers ist nämlich die Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 GG in vielen Fällen existenziell verletzt.
Die Leitsätze (vom Verfasser)
1. Eine Kreisumlage, die der Landkreis von seinen kreisangehörigen Gemeinden erhebt, darf nicht dazu führen, dass den Gemeinden keine finanzielle Mindestausstattung zur Wahrnehmung ihrer Pflichtaufgaben sowie von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben mehr bleibt.
2. Zwar enthält das maßgebliche Landesrecht, das die Kreise zur Umlageerhebung ermächtigt, bezüglich der Höhe der Umlage keine ausdrückliche Begrenzung. Diese folgt jedoch aus Art. 28 Abs. 2 GG, der die kommunale Selbstverwaltung institutionell garantiert und den Kommunen im „Kern“ eine finanzielle Mindestausstattung sichert, die unantastbar ist.
3. Da der Landesgesetzgeber die Kreisumlage in ein System aus mehreren Instrumenten des Finanzausgleichs zwischen Gemeinden, Kreisen und Land gestellt hat, ist eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Umlageverpflichtungen der Gemeinde geboten. Diese Grundsätze hat auch der Landkreis gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden bei der Festsetzung der Kreisumlage zu beachten.
4. Führt die Kreisumlage aber im Zusammenwirken mit anderen Umlagen dazu, dass einer Gemeinde ihre Finanzkraft praktisch zur Gänze entzogen wird, ist das Recht auf kommunale Selbstverwaltung verletzt. Allerdings ist die Grenze des verfassungsrechtlich äußerst Hinnehmbaren erst dann überschritten, wenn die gemeindliche Verwaltungsebene nicht nur vorübergehend in einem Haushaltsjahr, sondern strukturell unterfinanziert ist.”
Im Saarland ist dies in vielen Kommunen der Fall. Damit gewinnt das Urteil, das als nunmehr viertes in einer kommunalfreundlichen Entscheidungs- und Urteils-Serie einen neuen Trend wiedergibt, grundsätzliche Bedeutung. Dies kann sich auch auf den kommunalen Finanzausgleich und die Mindestausstattung der Kommunen auswirken.
Letztlich kann dies sogar zu einer Neuauflage der Diskussion über eine Länderneugliederung führen. Aber das ist ein zu weites Feld…
Dr. Armin König
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Begrenzung der Kreisumlageerhebung durch kommunale Selbstverwaltungsgarantie
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass eine Kreisumlage, die der Landkreis von seinen kreisangehörigen Gemeinden erhebt, nicht dazu führen darf, dass den Gemeinden keine finanzielle Mindestausstattung zur Wahrnehmung ihrer Pflichtaufgaben sowie von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben mehr bleibt.
Die Klägerin, eine kleine kreisangehörige Ortsgemeinde in Rheinland-Pfalz, wurde für das Jahr 2009 vom beklagten Landkreis zu einer Kreisumlage herangezogen, die bei Gemeinden mit überdurchschnittlicher Steuerkraft einen progressiven Anteil enthält. Dagegen hat die Klägerin geklagt, weil die Progression der Umlageerhebung im Zusammenwirken mit anderen Umlagen (Verbandsgemeindeumlage, Finanzausgleichsumlage, Gewerbesteuerumlage) dazu führe, dass ihr Ist-Aufkommen an Steuern und Zuweisungen zu mehr als 100 % (genau: zu 108,2 %) abgeschöpft werde. Sie müsse deshalb allein zur Finanzierung ihrer Umlageverpflichtung Kassenkredite aufnehmen; zur Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben verbleibe ihr kein Spielraum. Klage und Berufung blieben erfolglos.
Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar enthält das maßgebliche Landesrecht, das die Kreise zur Umlageerhebung ermächtigt, bezüglich der Höhe der Umlage keine ausdrückliche Begrenzung. Diese folgt jedoch aus Art. 28 Abs. 2 GG, der die kommunale Selbstverwaltung institutionell garantiert und den Kommunen im „Kern“ eine finanzielle Mindestausstattung sichert, die unantastbar ist. Daneben ist der Landesgesetzgeber an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden, der ihn verpflichtet, Kreise und Gemeinden sowie die Gemeinden untereinander bei seinen Maßnahmen zur kommunalen Finanzausstattung gleich zu behandeln. Für Differenzierungen bedarf es eines sachlichen Grundes. Da der Landesgesetzgeber die Kreisumlage in ein System aus mehreren Instrumenten des Finanzausgleichs zwischen Gemeinden, Kreisen und Land gestellt hat, ist eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Umlageverpflichtungen der Gemeinde geboten. Diese Grundsätze hat auch der Landkreis gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden bei der Festsetzung der Kreisumlage zu beachten. Zwar bewirkt ein progressiver Umlagesatz an sich noch nicht eine vollständige Entziehung der vom Grundgesetz den Gemeinden garantierten Steuerhoheit. Das wäre erst der Fall, wenn die Steuerkraftunterschiede zwischen den umlagepflichtigen Gemeinden eingeebnet werden; doch so liegt es hier nicht. Führt die Kreisumlage aber im Zusammenwirken mit anderen Umlagen dazu, dass einer Gemeinde ihre Finanzkraft praktisch zur Gänze entzogen wird, ist das Recht auf kommunale Selbstverwaltung verletzt. Allerdings ist die Grenze des verfassungsrechtlich äußerst Hinnehmbaren erst dann überschritten, wenn die gemeindliche Verwaltungsebene nicht nur vorübergehend in einem Haushaltsjahr, sondern strukturell unterfinanziert ist. Ob dies hier der Fall ist, muss das Oberverwaltungsgericht noch prüfen.
BVerwG 8 C 1.12 – Urteil vom 31. Januar 2013
Vorinstanzen:
OVG Koblenz 2 A 11423/10 – Urteil vom 28. April 2011
VG Trier 1 K 100/10.TR – Urteil vom 16. November 2010